Auf den ersten Blick liest sich die Geschichte der privaten Pflegezusatzversicherungen wie eine schillernde Erfolgsstory: In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der abgeschlossenen Pflegetagegeldversicherungen & Co. mehr als verdoppelt. Über 2,74 Millionen Verträge existierten Mitte 2018, hinzu kommen noch einmal knapp 850.000 staatlich geförderte Pflegezusatzpolicen, der sogenannte „Pflege-Bahr“.
Auf den zweiten Blick wirken diese Zahlen allerdings nicht mehr so überwältigend. Denn noch nicht einmal 5 Prozent der erwachsenen Deutschen haben ihre Pflegebedürftigkeit abgesichert. Dabei wäre dies dringend geboten. 440.000 Menschen in Deutschland und damit jeder sechste Pflegebedürftige war Ende 2017 auf Hilfe vom Sozialamt angewiesen, da die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung sowie Rente und andere Einkommen nicht dazu reichten, die Pflegekosten zu bezahlen. Im Jahr 2006 hatte diese Zahl noch bei 360.000 gelegen.
Dies hängt auch mit dem wachsenden Eigenanteil zusammen, den Menschen für einen Pflegeheimplatz aufbringen müssen. Im Juni 2018 lag er laut Angaben der privaten Krankenversicherer durchschnittlich bei 1.831 Euro im Monat, in manchen Bundesländern noch einmal deutlich darüber. Das waren 8 Prozent mehr als im Vorjahr. Verantwortlich hierfür seien vor allem die gestiegenen Personalkosten, die, wie der Versicherungsberater und Pflege-Experte Gerhard Schuhmacher erklärt, „vor allem im Bereich der stationären Pflege zu gravierenden Preissteigerungen“ geführt hätten (siehe Interview).
Zurückhaltung beim Kunden
Auf die Abschlusszahlen von Pflegezusatzversicherungen scheint sich diese Entwicklung allerdings nicht auszuwirken. Stattdessen erlahmte die Nachfrage 2018. Bis Mitte des Jahres kamen nach Angaben des PKV-Verbands gerade einmal 8.025 neue Verträge hinzu, beim „Pflege-Bahr“ waren es rund 15.000. Für die Zurückhaltung der Kunden sieht Maximilian Waizmann mehrere Gründe. „Zum einen ist es vielen Menschen sicherlich unangenehm, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen“, glaubt der Makler aus Olching (Bayern). Oftmals geschehe dies erst, wenn man im eigenen Umfeld mit einem Pflegefall konfrontiert werde. „Zum anderen ist Pflege ein Risiko, das eher alte Menschen betrifft – viele jüngere Menschen denken daher, dass es für sie noch zu früh ist, dieses Thema abzusichern.“
Hinzu kommt eine gewisse Sorglosigkeit: Laut einer Continentale-Studie zum Absicherungsverhalten der Deutschen erklärten 85 Prozent der Befragten, dass eine Pflegezusatzversicherung für sie nicht wichtig sei. Gründe hierfür waren unter anderem das Vertrauen in die eigene Familie beziehungsweise in die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Pflegeversicherung. Eine gefährliche Wette. Denn zum einen haben sich die Familienstrukturen in den vergangenen Jahrzehnten merklich verändert; oftmals haben die Kinder den Heimatort für Jobs im Rest der Republik oder im Ausland verlassen. Auch Ehen halten nicht zwingend bis zum Lebensende. So stieg die Zahl der Single-Haushalte in den vergangenen Jahren auf über 16 Millionen.
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Bleibt die gesetzliche Pflegeversicherung: Dass der Staat das bestehende Teilkaskosystem grundlegend reformiert, ist zwar nicht auszuschließen. Immer mehr Stimmen fordern eine Vollkaskoversicherung. Ob und wann eine solche grundlegende Reform jedoch kommt, ist unsicher. Die Kosten hierfür dürften nämlich hoch ausfallen, ist Stefan M. Knoll, Vorsitzender der Deutschen Familienversicherung, überzeugt. „Dies ist sozialpolitisch, im Sinne der Generationengerechtigkeit, unvernünftig und verantwortungslos gegenüber der Generation meiner Kinder. Die Menschen müssen selbst vorsorgen.“
Impuls aus der Wirtschaft
Auch nach Waizmanns Meinung sollten die Kunden von sich aus aktiv werden: „Ab einem Alter von 40 bis 50 Jahren sollte man über den Abschluss einer Pflegezusatzversicherung nachdenken.“ Makler sollten dann aktiv das Gespräch mit dieser Klientel suchen. „Besonders Frauen müssen in den Fokus der Debatte gerückt werden“, ist DFV-Chef Knoll überzeugt. Schließlich sei ihre Lebenserwartung höher, das Demenzrisiko zudem doppelt so hoch und ihre Rente im Alter meist geringer.
Unterstützung könnte dabei aus der Wirtschaft kommen: So vereinbarte im November vergangenen Jahres der Düsseldorfer Henkel-Konzern zusammen mit der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und der Deutschen Familienversicherung die nach eigenen Angaben erste betriebliche Pflegezusatzversicherung in Deutschland. Unter dem Namen „Care Flex“ werden nun rund 9.000 Mitarbeiter des Chemiekonzerns automatisch mit einem Basis-Tarif abgesichert – die Gelder hierfür werden aus der betrieblichen Altersvorsorge der Mitarbeiter umgeschichtet.
1.000 Euro leistet „Care Flex“ bei stationärer Pflege in den Pflegegraden 2 bis 5. Das reicht zwar nicht, um den Eigenanteil, der in Düsseldorf laut Angaben von Henkel bei rund 2.400 Euro liegt, zu decken. Allerdings bietet „Care Flex“ die Möglichkeit, weitere Leistungen hinzu zu buchen und auch Familienmitglieder mitzuversichern. Als „Vorbild“ lobte Erwin Rüddel, Vorsitzender des Bundestags-Gesundheitsausschusses, das Modell. Andere Unternehmen könnten nachziehen.
Für Makler könnte in dieser Entwicklung auch eine Chance liegen. Schließlich werden auf diese Weise zahlreiche Menschen mit dem Thema Pflege und den Unzulänglichkeiten des jetzigen Systems konfrontiert.
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