„Die Deutschen sparen viel, aber falsch“

Prof. Bert Rürup, Chefvolkswirt des Handelsblatt Research Institute, über die deutsche Aversion gegen Aktien und den Erfolg „seiner“ Basis-Rente, um das Altersarmutsrisiko von Selbstständigen zu reduzieren.

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07:06 Uhr | 30. Juni | 2020
Wirtschaftsweise Prof. Bert Rürup wirkte an vielen Rentenreformen der Bundesregierung mit

Wirtschaftsweise Prof. Bert Rürup wirkte an vielen Rentenreformen der Bundesregierung mit_Bild: Handelsblatt Research

procontra: Herr Professor Rürup, auch Ihr Name steht für die Reformen der Altersvorsorge vor 15 Jahren. Wie beurteilen Sie ihren Erfolg aus heutiger Sicht?

Bert Rürup: Dem Ziel einer finanziellen Nachhaltigkeit in der staatlichen Alterssicherung ist man mit den Reformen ein gutes Stück nähergekommen als dem Ziel, ein flächendeckendes kapitalgedecktes Ergänzungssystem zu etablieren.

procontra: Damit sprechen Sie die Riester-Rente an. Warum hat die Kapitaldeckung in Deutschland einen so schweren Stand, insbesondere wenn sie auf Aktien basiert?

Rürup: Nun ja, in den ersten Jahren nach Einführung der generös geförderten kapitalgedeckten Riester-Rente wurden viele Verträge abgeschlossen – mutmaßlich auch, weil damals der Garantiezins der Versicherungen noch bei ordentlichen 3,25 Prozent lag und in der Folgezeit auf mittlerweile 0,9 Prozent gesunken ist und wohl noch weiter abgesenkt werden wird. Die Kopplung an Garantien war nicht unwichtig, denn Garantien waren und sind bei deutschen Sparern sehr beliebt. Allerdings sind Garantien auch Renditefresser.

procontra: Gibt es weitere Gründe für das sinkende Interesse an der Riester-Rente?

Rürup: Wichtiger noch als das Absinken des Garantiezinses dürfte gewesen sein, dass immer mehr intransparente Produkte mit relativ hohen Kostenquoten auf den Markt geworfen wurden. Und mit der Zeit kamen einige Anbieter in den Ruf, mehr an ihre Vertriebe als an die Kunden zu denken. Hinzu kam – bedingt durch die Finanzkrise und der niedrigen Zinsen für Anleihen – eine rückläufige Rendite für viele Verträge. Niedrige Zinsen bedeuten aber nicht zwangsläufig niedrige Renditen.

Doch durch die mit den meisten Produkten verbundenen und von der Masse der Sparer gewünschten Garantien waren und sind viele Anbieter gezwungen, einen Großteil der Beiträge ihrer Kunden in sichere zinstragende Anlageformen zu investieren. Zumal diese keine oder nur eine geringe Eigenkapitalunterlegung erfordern. So sind heute nur 16 Prozent der Sparer direkt oder indirekt über Investmentfonds überhaupt in Aktien investiert.

„Der Staat sollte Optionen anbieten, aber nicht für spezielle Sparformen werben“

procontra: Was bedeutet das mit Blick auf den Lebensstandard?

Rürup: Die Aversion gegenüber Aktien hat zur Folge, dass das durchschnittliche Geldvermögen der deutschen Haushalte oft nicht einmal die Hälfte des Vermögens ausmacht, über das die Durchschnittshaushalte in ähnlich wohlhabenden Ländern verfügen. Kurzum, die Deutschen sparen viel, aber zumeist falsch. Gerade in der gegenwärtigen und wohl noch einige Zeit andauernden Niedrigzinsphase verzichten sie damit auf langfristige Renditemöglichkeiten – ungeachtet der unregelmäßigen Crashs an den Aktienmärkten. Diesen Crashs kann und sollte man gerade beim Altersvorsorgesparen, das ja auf ein lebenslanges sicheres Alterseinkommen abzielt, mit Lifecycle-Modellen in der Ansparphase begegnen.

procontra: Hätte der Gesetzgeber sich bei seinen Reformen der kapitalgedeckten Altersvorsorge mehr für Aktien ins Zeug legen müssen?

Rürup: Zumindest an Reformeifer hat es damals nicht gefehlt. Mit dem Altersvermögensgesetz 2002 wurde die Riester-Rente eingeführt, die es ja auch in der Fonds-Variante mit einem mehr oder weniger großen Aktienanteil gibt. Daneben existieren weitere aktienbasierte Altersvorsorgeprodukte, die staatlich gefördert werden, aber nicht sonderlich verbreitet sind. Der Staat sollte Optionen anbieten, aber nicht für spezielle Sparformen werben.

Aktuell muss sich die Politik allerdings schon fragen lassen, ob es wirklich klug ist, wenn über die geplante Finanztransaktionssteuer gerade das Aktiensparen von Kleinsparern diskriminiert wird und eine Art Subventionsprogramm für ausländische Börsenplätze auf den Weg gebracht wird.

procontra: Die Einführung der Basis- beziehungsweise Rürup-Rente haben Sie bisher gar nicht erwähnt. Hat das einen Grund?

Rürup: Die Basisrente hat nichts mit den Rentenreformen in den vergangenen 20 Jahren zu tun und ist auch nicht für alle Erwerbstätigen gleichermaßen interessant. Diese auf eine Vollversorgung angelegte Rente war mit dem Umstieg zur nachgelagerten Rentenbesteuerung zwingend erforderlich. Nicht zuletzt, um auch den nicht über die berufsständischen Versorgungswerke abgesicherten Selbständigen eine Möglichkeit zu eröffnen, steuerbegünstigt Altersvorsorge betreiben zu können.

procontra: Wie läuft das in der Praxis ab?

Rürup: Die Basisrente ist vor allem für Selbständige mit einem stark schwankenden Einkommen interessant, da die Einzahlungen in einen solchen Rentenvertrag das steuerpflichtige Einkommen verringern. Da man nicht gezwungen ist, jedes Jahr den gleichen Betrag zurückzulegen, kann man seine Steuerbelastung glätten, wenn man in Jahren mit einem geringeren Einkommen weniger und in Jahren mit einem hohen steuerpflichtigen Einkommen viel in dieses System einzahlt. So sind derzeit 90 Prozent des aktuellen Höchstbetrags von 25.046 Euro für Singles oder 50.092 Euro für Verheiratete steuerlich absetzbar. Auf diese Weise kann man ein Stück weit Altersvorsorge und Steueroptimierung bei der progressiven Einkommensteuer kombinieren.

„Die Etablierung einer säulenübergreifenden Renteninformation ist überfällig“

procontra: 2018 gab es nur rund 2,2 Millionen Basisrentenverträge bei etwa 4 Millionen Selbstständigen. Wie ist die daraus resultierende Abdeckung von 55 Prozent nun zu bewerten?

Rürup: Die Anzahl von 2,2 Millionen Verträgen ist nicht schlecht aber noch ein Stück weit steigerungsfähig. Denn das Angebot der Basisrente zielt zwar primär auf Selbstständige, steht grundsätzlich aber allen Menschen im Erwerbsalter offen – unabhängig von der Art ihrer Erwerbstätigkeit. Damit ist die Basisrente ein sehr zeitgemäßes Konzept.

procontra: Gleichwohl ist die Kritik an der Basisrente nie abgerissen. Sie gilt als zu unflexibel und renditeschwach. Was sagen Sie dazu?

Rürup: Die weitgehend aus steuerfreien Beiträgen erworbenen Ansprüche an eine Basisrente sind genau wie die Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung oder an die berufsständischen Versorgungswerke. Sie sind nicht übertragbar, nicht veräußerbar, nicht beleihbar, nicht vererbbar, nicht kapitalisierbar und pfändungssicher. Wem diese Auflagen zu rigide sind, der muss ja keine Basisrente abschließen. Aber ich sehe keinen Grund dafür, dass diejenigen die seit 2005 freiwillig über die Basisrente steuerbegünstigt vorsorgen können, anders behandelt werden sollen als die Erwerbstätigen, die per Gesetz zur Vorsorge in einem anderen Rentensystem verpflichtet sind.

procontra: Viele Selbstständige sind von Altersarmut bedroht. Sollte es für sie – wie vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geplant – eine Versicherungspflicht geben?

Rürup: Ich wäre nach dem Vorbild der Handwerkerversicherung für eine zumindest temporäre obligatorische Versicherung aller Selbstständigen in der gesetzlichen Rentenversicherung – sofern sie nicht älter als 50 Jahre sind oder den Nachweis einer anderweitigen Vorsorge für ihr Alter erbringen können. Die Bildung von dis-poniblem Vermögen ist allerdings kein Ersatz für Ansprüche auf ein lebenslanges Alterseinkommen.

procontra: Wo sehen Sie sonst noch Verbesserungsbedarf für das System der Altersvorsorge?

Rürup: Bei der überfälligen Etablierung einer für alle Altersrenten umfassenden Renteninformation. Ziel muss es sein, Klarheit über erwartbare Alterseinkünfte schaffen, um Attraktivität der privaten und betrieblichen Altersvorsorge zu stärken. Dazu müssen alle Ansprüche, unabhängig von der Säule, in der sie erworben wurden, transparent in einer Dokumentation gebündelt werden.