„Klarstellung zu Falschaussagen über das Absicherungsniveau von Berufsunfähigkeitsversicherungen“ lautet die Überschrift einer aktuellen öffentlichen Stellungnahme des Zukunft für Finanzberatung e.V. (ZfF). Der 2018 gegründete Zusammenschluss aus verschiedenen Branchenverbänden und -dienstleistern stört sich stark an einer Studie, die das Beratungsunternehmen Premiumcircle durchgeführt und am Montag veröffentlicht hat. Die BU-Anbieter würden dadurch in ein falsches Licht gerückt. Premiumcircle würde „augenscheinlich populistische Schlüsse aus unzureichender Datenlage“ ziehen, heißt es.
Die umstrittene Studie hat sich mit den Bereichen der Antragsannahme und Leistungsbewilligung in der BU vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie beziehungsweise von Covid-19-Erkrankungen beschäftigt. Das Fazit für die untersuchten Lebensversicherer fällt dabei sehr vorwurfsvoll aus:
Im Antragsprozess gibt es aktuell keine spezifizierten, verständlichen und transparenten Gesundheitsfragen im Zusammenhang mit COVID-19. Im Gegenteil, die unternehmensindividuelle Auslegung, Einschätzung und Bewertung auf Basis der bereits vor der Pandemie vorhandenen pauschalen Gesundheitsfragen erhöht das Risiko einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung für Versicherungsinteressenten und Vermittler teilweise erheblich.
Und:
Im Leistungsfall sorgen die in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen unverändert etablierte Fülle von unverbindlichen Formulierungen und unbestimmten Begriffen dafür, dass es auch für die Auswirkungen von COVID-19 im BU-Leistungsprozess keine einheitlichen und verbindlichen Leitplanken gibt. Das Ergebnis der Leistungsprüfung ist weiterhin eine unternehmensindividuelle und einzelfallabhängige Blackbox. Das Risiko einer Leistungsablehnung ist durch COVID-19 teilweise deutlich erhöht.
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Die Unterstützer der ZfF-Stellungnahme – dort werden neben vielen bekannten Namen aus der BU-Makler-Szene wie zum Beispiel Philip Wenzel oder Guido Lehberg auch die Versicherungsunternehmen Nürnberger, Volkswohl Bund, Gothaer und Canada Life sowie die Maklerpools BCA und Maxpool aufgeführt – greifen zuvorderst die Datengrundlage an, aus der Premiumcircle seine Erkenntnisse gewonnen hat. Zwar wurden für die Studie 59 BU-Versicherer angefragt, jedoch haben von diesen nur sieben Unternehmen „verwertbare Daten“ aus Sicht der Studienautoren geliefert. Die Angaben von zwei Unternehmen konnten nicht verwertet werden, 13 Unternehmen lehnten eine Teilnahme ab und 37 Unternehmen hatten überhaupt nicht auf die Anfrage reagiert.
„Aus dieser Umfrage deshalb einen kausalen Zusammenhang für den Gesamtmarkt der Versicherungsunternehmen herzustellen, entbehrt nach unserem Dafürhalten als Vertreter der Versicherungsvermittler, einer fundierten Grundlage“, argumentiert man beim ZfF. Aus der geringen Teilnahme könne man auch nicht schließen, dass die anderen Versicherer etwas zu verbergen hätten. Es sei viel mehr anzunehmen, dass es bisher noch kaum Erfahrungswerte in den Leistungsabteilungen zum Thema Covid-19 respektive Long-Covid gebe und indessen viele der in den Raum gestellten Fragen vom Leistungsumfang der Policen standardmäßig abgedeckt seien, heißt es weiter.
Befragte BU-Versicherer erklären sich
Marcus Drews, Managing Director bei Canada Life Deutschland, wird in der Stellungnahme mit den Worten zitiert: „In unserem Fall können wir sagen: Covid-19 ändert nichts an unseren allgemeinen Prozessen bei der Antrags- und Leistungsprüfung sowie an den Versicherungsbedingungen. Im dem abgefragten Zeitraum gab es übrigens lediglich einen einzigen Leistungsfall mit Bezug zu Covid-19, den wir ganz normal reguliert haben.“
Auch die Antworten der LV 1871 flossen in die Erkenntnisse der Studie ein. Deren Leiterin der Risiko- und Leistungsprüfung, Sandra John, erklärt gegenüber procontra dazu: „Unsere Gesundheitsfragen decken alle relevanten Informationen ab, um die Risiken einer Berufsunfähigkeit einschätzen zu können. Die Corona-Pandemie hat diesbezüglich nichts an dem Schutz geändert, den wir Versicherungsnehmern bieten. Deshalb sehen wir aktuell keine Notwendigkeit für ergänzende Prüfungen.“ Bereits im Januar hatten sich auf procontra-Nachfrage die LV 1871, aber auch andere, unter Maklern beliebte BU-Versicherer zu ihrem Antrags- und Leistungsverhalten rund um Covid-19 geäußert. Eine Studie des Verbraucherportals Finanztip hatte sich kürzlich ebenfalls mit diesen Themen beschäftigt.
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Der ZfF nimmt in seiner Kritik Bezug auf die Darstellung zweier Studieninhalte in Presseberichten. Die Studie käme demnach zu dem Schluss, dass eine BU-Leistung verweigert werden würde, wenn der Versicherte sich bei einer Reise in ein Risikogebiet angesteckt hätte, da das in diesem Falle eine absichtliche Herbeiführung der Berufsunfähigkeit gleichkäme. Der Branchenzusammenschluss wirft ein, dass die Bedingungen der BU-Versicherer nur dann Leistungen nach Reisen in Risikogebiete ausschließen, wenn dort Kriegsereignisse vorlägen. Wer in einem Hochrisikogebiet für Zecken Urlaub mache, dem könne man auch keine absichtliche Herbeiführung von FSME vorwerfen, wird als Vergleich gezogen. Dass hierbei ein Ausschluss wegen Vorsatz geltend gemacht werden könnte, sei bei weitem nicht gegeben.
Auf procontra-Nachfrage hat sich Premiumcircle heute zu diesem Kritikpunkt geäußert. Ein befragter Versicherer habe hinsichtlich der Leistungsablehnung aufgrund einer Reise ins Covid-19-Risikogebiet auf den AVB-Zusatz „Ausschluss möglicher Vorsatz“ verwiesen, der laut Premiumcircle allen BU-Verträgen zugrunde liege. Diese Antwort zeige exemplarisch auf, wie die Regelungen der AVB im Leistungsfall ausgelegt werden könnten, wird erklärt. Dies wurde in der Welt am Sonntag, die am Wochenende als erstes über die Studie berichtete, als „Extrembeispiel“ und „vor Gericht kaum haltbar“ bezeichnet. Premiumcircle wirft seinen Kritikern beim ZfF vor, Behauptungen ohne Einsicht in die Studie aufgestellt zu haben.
Haltungsschäden wegen Home-Office?
Die Gegner der Studie missbilligen zweitens deren Erkenntnis, dass Leistungsansprüche aufgrund von Haltungsschäden abgelehnt würden, wenn diese aus der Corona-bedingten Arbeit im Home-Office resultieren. „Ein Versicherer wird hier bei der Leistungsprüfung auf die konkret ausgeübte Tätigkeit abstellen wie sie regelmäßig auch vor Corona-Pandemie ausgeübt wurde, da der Wechsel ins Home-Office in der Regel nicht freiwillig stattfand“, erklärt man beim ZfF.
Hierzu gab Premiumcircle gegenüber procontra an, dass zwei BU-Versicherer Angaben gemacht hätten, wonach pandemiebedingtes Home-Office im Leistungsfall Auswirkungen auf die Ermittlung des Tätigkeitsprofils der zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeit habe. Konkret nach Haltungsschäden sei aber nicht gefragt worden.
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