Berufsunfähigkeit: 2 BGH-Fälle, die Sie kennen sollten

Der Streit um Leistungen aus der BU-Versicherung ist zuletzt mehrfach durch alle Instanzen durchgefochten worden. Wie der Bundesgerichtshof (BGH) in zwei Fällen zur Nachprüfung und zum maßgeblichen Einkommen entschieden hat.

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06:10 Uhr | 15. Oktober | 2019
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Ohne Nachprüfungsverfahren samt Änderungsmitteilung hat der Kunde weiter Anspruch auf BU-Rente, selbst wenn er wieder gesund ist, sagt Rechtsanwalt Tobias Strübing. Bild: Wirth Rechtsanwälte

Wenn ein Versicherer eine BU-Leistung nicht zahlen will, muss er ein Nachprüfungsverfahren anstrengen (procontra berichtete), bei dem der Kunde per Mitteilung über das Ende der Leistungspflicht informiert wird. Dies gilt selbst dann, wenn der Versicherer die BU-Leistung gar nicht anerkannt hatte, sondern erst vom Gericht dazu verurteilt wird. Unterbleibt die Nachprüfung oder erfolgt verspätet, hat der Kunde bis dahin Anspruch auf BU-Rente.

Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 13. März 2019 verkündet (Az.: IV ZR 124/18). Der Versicherer zog daraufhin seine Revision zurück. Die Erklärung des Versicherers, das Nachprüfungsverfahren samt Änderungsmitteilung durchzuführen, wirkt nur für die Zukunft, was laut BGH dazu führen kann, dass Leistungen gezahlt werden müssen, obwohl keine Berufsunfähigkeit mehr besteht.

Konkret hatte der Kunde auch für einen Zeitraum BU-Leistungen geltend gemacht, zu dem er unstreitig nicht mehr berufsunfähig war. „Der BGH hat aber nicht gesagt, es gibt nur für den Zeitraum Geld, in dem der Kunde nachweislich berufsunfähig war, sondern für den längeren Zeitraum - bis der Versicherer die Nachprüfung erklärt hat“, sagt Rechtsanwalt Tobias Strübing, Partner der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte sowie Fachanwalt für Versicherungsrecht.

Strenge Regeln für Versicherer, BU-Leistung zu streichen

Der Kunde konnte wegen schwerer Depressionen nicht mehr als IT-Systemadministrator arbeiten und beantragte Leistungen aus seiner BUZ-Versicherung. Der Versicherer lehnte ab, wurde aber vor Gericht zur Zahlung verurteilt. Drei Jahre später nahm der Mann einen neuen Job als SAP-Anwendungsbetreuer an, verlangte aber weiterhin BU-Leistung, da er dort weniger verdiente.

Der Versicherer nahm weiterhin keine Nachprüfung vor, ob noch Berufsunfähigkeit vorliegt. Daher musste er die BU-Rente noch zwei weitere Jahre bezahlen – bis während des Rechtsstreits endlich die Änderungsmitteilung des Versicherers eintraf, die auch die erforderliche Vergleichsbetrachtung von altem neuem Einkommen des Kunden enthielt.

Gibt der Versicherer die Erklärung nicht rechtzeitig ab, ist er verpflichtet, die vereinbarten Rentenleistungen zu zahlen, unabhängig davon, ob der Kunde wieder gesund sei und auch wieder arbeiten gehe. Eine rückwirkende Leistungsfreiheit für den Versicherer dürfe laut BGH nicht möglich sein. „Diese Entscheidung führt zu mehr Rechtssicherheit bei der Regulierung von BU-Leistungsfällen“, so Strübing.

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Künftige Gehaltserhöhungen in BU-Rente eingerechnet?

In einem anderen Fall hatte der BGH über die Bemessungsgrundlage für die BU-Leistung zu entscheiden. Der Kunde wollte in der BU-Rente auch künftige, tarifvertraglich bereits vereinbarte Gehaltserhöhungen eingerechnet wissen. Der Versicherer legte dagegen nur das tatsächliche Einkommen zum Zeitpunkt des BU-Antrages zugrunde.

Mit Urteil vom 26. Juni 2019 entschied der BGH: Bei dem für die Verweisbarkeit des Kunden auf eine andere berufliche Tätigkeit gebotenen Einkommensvergleich ist das beim BU-Fall tatsächlich erzielte Einkommen grundsätzlich nicht auf den Vergleichszeitpunkt fortzuschreiben (Az.: IV ZR 19/18). Darauf machte Björn Thorben Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht bei der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft, in einem Blog-Beitrag aufmerksam.

Hier hatte der Versicherer dem Dachdeckerhelfer (40-Stunden-Woche mit 10 Euro Stundenlohn) die Berufsunfähigkeit wegen Bandscheibenvorfalls anerkannt, wollte später aber nachprüfen, ob er inzwischen eine andere Tätigkeit ausüben kann. Nach einer Umschulung zum Kaufmann im Großhandel bekam er einen Job mit 28-Stunden-Woche und verdiente 1.000 Euro brutto pro Monat.

Klare Anforderungen des BGH an Vergleichstätigkeit

Der Versicherer stellte daraufhin seine BU-Leistung ein. Begründung: Der Mann habe ursprünglich 12.340 Euro pro Jahr verdient. Die neue Tätigkeit entspreche daher seiner bisherigen Lebensstellung. Der Kunde war jedoch der Ansicht, dass eine Verweisung auf die neue Tätigkeit nicht in Betracht kommt, da er zuvor 15.523 Euro brutto pro Jahr verdient habe. Das Landgericht Gera gab dem Versicherer Recht, das OLG Jena dem Kunden. Der BGH verwies die Sache ans OLG zurück.

Grundsatz: Eine Vergleichstätigkeit ist dann gefunden, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert. Zudem sollte sie in ihrer Vergütung und der sozialen Wertschätzung nicht spürbar unter dem Niveau des bislang ausgeübten Berufs liegen, hatte der BGH bereits Ende 2017 geurteilt (Az.: IV ZR 11/16).

Das OLG Jena muss nun nachträglich prüfen, wie die frühere Tätigkeit konkret aussah, welche Anforderungen sie stellte, welche Fähigkeiten sie voraussetzte, welches Einkommen sie bot und wie sich die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten real darstellten. Das vom OLG zugrunde gelegte Durchschnittseinkommen ist laut BGH zudem viel zu hoch. Das OLG habe zu Unrecht das Einkommen im Ausgangsberuf fortgeschrieben.

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Künftige Lebensumstände irrelevant

„Die Berufsunfähigkeitsversicherung sichert nicht die künftige Verbesserung der Lebensumstände“, unterstrich der BGH. Die Lohn- und Gehaltsentwicklung im Ursprungsberuf nach Eintritt des Versicherungsfalles habe daher grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. „Damit hat der BGH die bisher juristisch umstrittene Frage, ob für den Vergleich das früher erzielte Einkommen auf den späteren Zeitpunkt der Verweisung fortzuschreiben sei, nun abschließend geklärt“, sagt Jöhnke.

Übrigens: Der BGH hatte kürzlich auch zu entscheiden, wie der Berufsbegriff auszulegen ist, wenn der Kunde parallel zur bisher ausgeübten Tätigkeit eine selbstständige Tätigkeit ausübt und einen Berufswechsel dahin plant. Mit Beschluss vom 16. Januar 2019 kamen die obersten Zivilrichter zu dem Schluss, dass lediglich Einkommen aus Tätigkeit zur Erhaltung der Lebensgrundlage maßgeblich ist (Az.: IV ZR 182/17). Darauf machte Jöhnke aufmerksam (procontra berichtete).

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