Aufsicht: Zinswende entlastet Pensionskassen kaum
Geopolitik, Pandemie, Inflation, Zinswende – angesichts der mannigfaltigen Herausforderungen für die Versicherungsbranche sieht BaFin-Exekutivdirektor Frank Grund düstere Wolken am Horizont. „Versicherer müssen ihr Geschäft sturmfest machen“, mahnte Grund am Mittwoch auf der Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht. „Wir brauchen in den Unternehmen ausreichende Puffer bei Kapital und Liquidität“, so der Chef der Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht weiter.
„Das niedrige Zinsniveau bleibt weiterhin eine Herausforderung für die Anbieter und zugleich ein kurzfristiges Risiko, mit dem sich die Aufsicht prioritär beschäftigt, hatte BaFin-Präsident Mark Branson bereits auf der BaFin-Jahrespressekonferenz 2022 im Mai prognostiziert. Die hohe Inflation fordere alle Versicherer heraus: Schadenaufwendungen und Kosten steigen. „In der Lebensversicherung dürfte das Neugeschäft zumindest vorübergehend zurückgehen, da die Kaufkraft der privaten Haushalte leidet“, so Branson damals.
2023 wird ein schwieriges Jahr
Dabei gehe es der Versicherungsbranche derzeit noch gut, betont Grund. Allerdings bewege sich die Branche in einem Umfeld, das wahrlich nicht ermutigend sei. Für die Aufsicht steht fest: Auch wenn 2022 noch ganz ordentlich ausfallen dürfte, werde 2023 ein schwieriges Jahr. „Die Unternehmen müssen daher bereits jetzt umsichtig agieren“, so Grund.
Was dies im Einzelnen bedeutet, erläuterte der oberste Versicherungsaufseher am Beispiel der Schaden- und Unfallversicherer. Die müssten aufgrund der steigenden Inflation bestehende Rückstellungen gegebenenfalls bereits in diesem Jahr erhöhen. „Es ist nicht akzeptabel, lediglich darauf zu wetten, dass sich die hohen Inflationsraten normalisieren und in der Zwischenzeit bestehende Puffer in den Reserven restlos aufgebraucht werden können“, stellte Grund klar. Und natürlich müssten die Versicherer die Schadenentwicklung auch im Hinblick auf künftige Schadenerwartungen bei ihrer Tarifierung berücksichtigen.
Absicherung von Wohngebäuden und Kfz wird teurer
Die gestiegene Inflation müsse daher 2023 „zwingend höhere Beiträge in der Schaden- und Unfallversicherung nach sich ziehen, und zwar sowohl im Neugeschäft als auch im Bestand“. Die BaFin erwartet steigende Prämien vor allem in der Wohngebäudeversicherung und in der Kfz-Versicherung, aber auch in anderen Zweigen. Grund warnte davor, Kompromisse bei den Preisen einzugehen, um Kunden bei der Stange zu halten.
Bei der Reservierung der Schäden nach den Vorgaben des HGB gelte der Grundsatz, dass die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen sicherzustellen ist, erinnerte der Aufseher. Man werde die Auskömmlichkeit der Schadenreservierung in den Aufsichtsgesprächen, Wirtschaftsprüfer-Dialogen und Vor-Ort-Prüfungen kritisch hinterfragen.
Zinswende mit ambivalenten Folgen für Lebensversicherer
Die hohe Inflation betrifft die gesamte Versicherungsbranche, ebenso die Zinswende. Die Leitzinsen und die Kapitalmarktzinsen steigen wieder. Für die Branche seien das zunächst einmal gute Nachrichten, vor allem für die Lebensversicherer. „Viele von ihnen können nun von einer höheren Verzinsung von Vermögenswerten profitieren und ihre Ertragskraft steigern“, betonte Grund. Jedoch sänken durch die fallenden Kurse der festverzinslichen Wertpapiere die stillen Reserven, es würden stille Lasten aufgebaut.
Positiv hätten sich die gestiegenen Zinsen im ersten Halbjahr auf die Solvenzquoten der Lebensversicherer ausgewirkt. Immer weniger Unternehmen seien auf Solvency-II-Übergangsmaßnahmen angewiesen. „Erstmals hatten wir per 30. Juni kein Lebensversicherungsunternehmen unterdeckt“, berichtete der Aufseher.
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Noch 30 Pensionskassen unter intensiver Beobachtung
Trotz der Zinswende bleibt das Niedrigzinsumfeld eine erhebliche Herausforderung für Lebensversicherer und insbesondere für Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV). Gerade Pensionskassen seien vom Zinsniveau besonders stark betroffen. Ihre Lage hat sich allerdings in den Jahresabschlüssen 2021 etwas verbessert. „Wir beaufsichtigen daher nur noch gut 30 Pensionskassen besonders intensiv – und nicht mehr rund 40“, so Grund. Die BaFin werde den Rechnungszins der Pensionskassen aber weiter genau beobachten.
„Viele Pensionskassen werden ihren Rechnungszins weiter senken müssen“, prognostiziert der Aufseher. Bei einigen Kassen habe die Behörde Sorge, dass bereits ergriffenen Maßnahmen – ohne weitere externe Mittel – möglicherweise nicht ausreichen, um die garantierten Leistungen dauerhaft erbringen zu können. Auch 2022 habe es wieder eine Leistungskürzung gegeben, allerdings sei nur ein kleiner Bestand betroffen gewesen. Weitere Kürzungen will die BaFin nicht ausschließen. „Mit Kürzungen größerer Pensionskassen rechne ich aber nicht“, sagte Grund.
Stille Reserven zur Stützung des Rechnungszinses
Wie bei den Lebensversicherern und den Pensionskassen habe ein Zinsanstieg grundsätzlich gegenläufige Effekte: Auf der einen Seite steigt die Ertragskraft, auf der anderen Seite schmelzen die stillen Reserven ab; es drohen stille Lasten. Abschreibungsbedarf droht dadurch erst einmal nicht, solange die Papiere bis zur Endfälligkeit gehalten werden – was in der Regel ja der Fall sei.
„Ein Teil der Kassen benötigt die stillen Reserven jedoch, um den Rechnungszins zu stützen“, erklärt der Aufseher. Ein Abschmelzen der Reserven könnte daher die Risikotragfähigkeit schwächen und zu zusätzlichen wirtschaftlichen Problemen führen. „Es ist davon auszugehen, dass mehr Kassen den BaFin-Stresstest nicht bestehen werden“, warnte Grund. Man werde sich die Situation der einzelnen Kassen sehr genau ansehen.
Keine Namen, auch nicht in positivem Zusammenhang
Namen nennt die Behörde traditionell nicht, weil sie zur Geheimhaltung verpflichtet ist (nach Paragraf 309 VAG). Das ist selbst bei positiven Nachrichten so und wurde in der Rede beim Thema Sozialpartnermodelle (SPM) deutlich. „Nachdem wir vor einigen Wochen die erste sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt haben, ist letzte Woche eine weitere hinzugekommen“, sagte Grund, ohne Namen zu nennen. Wenige Stunden später verkündeten dann die Chemie-Sozialpartner den Startschuss für das Chemie-SPM. Das hatte sich im Vorfeld angekündigt.
Die Chemie erhielt zwar erst als Zweiter die Freigabe der BaFin – nach der Energie-Branche -, startet aber sofort und umfasst einen branchenweiten Flächentarifvertrag. „Das Chemie-SPM wurde in den bestehenden Tarifvertrag über Einmalzahlungen und Altersvorsorge integriert (TEA), der ab sofort gilt“, erklärt Sebastian Kautzky, Geschäftsführer des Chemie-Arbeitgeberverbandes BAVC. Das Energie-SPM umfasst nach Angaben von Ver.di einen „unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag“, der jedoch erst am 1. Januar 2023 in Kraft tritt.
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