Altersvorsorge: Wie kann sie neu ausgerichtet werden?
Es ist Zeit für eine Neuausrichtung des deutschen Altersvorsorgesystems. Darüber waren sich die Teilnehmer eines Live-Diskussion auf der virtuellen bAV-Handelsblatt-Tagung heute einig. Nur über den Weg dorthin gehen die Meinungen weit auseinander. „Es muss rentierlicher werden, aber das geht nur mit Verzicht auf Garantien und Ansparen mit deutlich weniger Kosten als bei Versicherern“, sagt Dorothea Mohn, Teamleiterin Finanzmarkt beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Sie schlägt dazu die vom Verband initiierte „Extrarente“ vor. Die hat jedoch Haken und Ösen.
Die Extrarente könne eine Lösung sein, pflichtet Axel Kleinlein, Vorstand des Bundes der Versicherten (BdV), bei. Es sei an der Zeit, nicht mehr die Lebensversicherung als Synonym für die private Altersvorsorge zu sehen, sondern individuelle Lösungen mit viel mehr Wahlmöglichkeiten und besserer Rendite für Verbraucher zu finden.
Den Ansatz findet Peter Schwark, Mitglied der GDV-Geschäftsführung, falsch. Es sei in den vergangenen Jahren sehr viel im Bereich der GRV und zum Teil in der bAV passiert, jedoch hätten sich die Rahmenbedingungen in der dritten Vorsorgeschicht seit 2002 nicht geändert. Die Förderung – auch zu Riester in der zweiten Schicht – sei zu komplex und vielfach zu niedrig. Man habe für Verbesserungen schon vor einem Jahr einen 5-Punkte-Plan vorgelegt. Es geht um einfache, kostengünstige Standardprodukte.
aba: Keine neuen Modelle nötig
Es sei schon wegen der Demografie mehr Kapitaldeckung in der Altersvorsorge nötig, bekräftigt Georg Thurnes, Aktuar und zugleich Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft betriebliche Altersversorgung (aba). Er hegt Zweifel an mancher Maßnahme in der gesetzlichen Rentenversicherung und hält auch keine neuen Modelle für die zusätzliche Altersvorsorge für nötig. „Das Instrumentarium der bAV biete alles, bis hin zur reinen Beitragszusage“, so Thurnes. Es müsse von Tarifpartnern nur endlich umgesetzt werden.
Mohn widersprach zum Teil: Eine arbeitgeberfinanzierte Entgeltumwandlung sei nicht die immer passende Lösung, zumal die geringe Sozialabgaben-Ersparnis noch zu Lasten der GRV geht. Mit der Extrarente könnte das Gute aus der bAV auf die private AV übertragen werden – über ein Opt-out unter Einbeziehung des Arbeitgebers, was Vertriebskosten aussparen würde. „Auch Beitragsinkasso und Rücksprache-Management des Arbeitgebers mit den Arbeitnehmern kostet Geld“, widerspricht Thurnes. Er plädiert für stärkere Förderung, damit sich tatsächlich jeder AV-Sparen wieder leisten könne.
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GDV: Kostenvergleich mit schwedischem Staatsfonds hinkt
Die Kosten-Kritik der Verbraucherschützer kontert Schwark. Die Verwaltungskosten seien seit 1990 mehr als gedrittelt worden. Sie betrügen aktuell noch 0,2 Prozent der Kapitalanlagen. Insgesamt würden für die Kosten handfeste Dienste geboten: Risikoausgleich, Garantien, Auszahlungsoptionen und Beratungs-Expertise. „Im Vergleich zu Retailprodukten in anderen Ländern ist das überaus günstig“, so Schwark wörtlich. Den Vergleich zum verpflichtenden schwedischen Staatsfonds-Modell hält er für falsch: „Private Altersvorsorge zum Nulltarif ist eine Illusion“.
Die Verwaltungskosten seien zwar geringfügig gesenkt , doch kaum an die Kunden weitergegeben worden, hält Kleinlein entgegen. Die Abschlusskosten seien in dieser Zeit aber auf das Dreifache gestiegen, behauptet der BdV-Chef. Zudem seien die Biometriekosten durch die überzogene Langlebigkeits-Kalkulation der Versicherer auch im Rentenbezug unnötig teuer. Schwark hält diese Berechnungen für „Taschenspielertricks“.
vzbV: Mehr Risiko oder besser nur auf GRV setzen
Andere Lösungen hält Kleinlein für kostengünstiger. Namentlich nannte er nur die Extrarente – ohne Kostenaussagen. Mit einer Lebensversicherung sei zudem nur noch bedingt die nötige Rendite erzielbar, hakte Mohn ein. „Wer nicht auf Garantien verzichten will, sollte als Politiker dann die private Altersvorsorge ignorieren und besser auf die gesetzliche Rente setzen“, so Mohn weiter.
Garantien müssten zurückgefahren werden, bestätigt Thurnes aus Sicht der bAV. Das täten die Versicherer doch längst mit Fondslösungen. „Das Volatilitätsrisiko ist mit kollektiven Modellen aber besser beherrschbar als mit individuellen“, erinnert Thurnes. Zudem müsse die Altersvorsorge lebenslang reichen. Insofern sei bAV auch besser als die Idee der Extrarente. Die Lebensversicherung sei die einzige Anlageklasse, die beständig positive Renditen gebracht hat, ergänzt Schwark mit Bezug auf eine nicht näher genannte Bundesbank-Studie. Die individuelle Risikoneigung des Kunden werde gerade von der Extrarente nicht abgebildet.
BdV: Individuelle Wahl wichtiger als lebenslange Leistung
Unterm Strich sprechen sich alle Diskutanten für flexible Lösungen aus. Im Detail streitet man über ein Opt-out, was die Vertriebskosten verringern würde, aber weniger freie Wahlmöglichkeiten für den einzelnen ließe. In der bAV sei dieser „sanfte Druck für die eigene Vorsorge des Arbeitnehmers“ schon lange Praxis, betont Thurnes.
Der Aktuar hält insgesamt für jeden ein lebenslanges Alterseinkommen für unverzichtbar. Kleinlein dagegen stellt die individuelle Wahl für den einzelnen über eine lebenslange Leistung. Er muss für diese Aussage allerdings auch nicht konkret haften, Berater dagegen schon.
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