Wie der Klimawandel am Betongold kratzt

Mit steigenden Temperaturen nimmt die Gefahr von Sturm, Starkregen und Bränden zu. Was das für die Versicherbarkeit und Finanzierung von Immobilien bedeutet, erklärt Sven Bienert, Professor an der International Real Estate Business School der Universität Regensburg.

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12:02 Uhr | 22. Februar | 2021
Professor Sven Bienert Bild: Privat

Rät Häuslebauer zu mehr Resilienz: Sven Bienert, Professor an der International Real Estate Business School der Universität Regensburg. Bild: Privat

procontra: Herr Bienert, Sie haben erstmals in Deutschland im Detail die Wirkungszusammenhänge zwischen Klimawandel und Immobilienwerten untersucht. Wie lautet das Ergebnis?

Sven Bienert: Zunächst möchte ich betonen, dass sich viele Kollegen insbesondere aus der Versicherungswirtschaft schon lange mit der Bepreisung von Naturgefahren im Kontext von Elementarschadensversicherungen auseinandersetzen. Wir haben aber jetzt erstmals Gefährdungsdaten am Standort für aktuelle und künftige Klimabedingungen mit Vulnerabilitätsdaten von Versicherungen und dem kostenbasierten Gebäudewert verschnitten. Hierdurch konnten wir objektbezogen jährlich zu erwartende Schadenswerte errechnen.

procontra: Was ist unter Vulnerabilität zu verstehen?

Bienert: Generell bedeutet Vulnerabilität die Empfindlichkeit von Ökosystemen, Arten und Populationen gegenüber Umweltbedingungen. Mit Blick auf den langfristigen Klimawandel definiert der Weltklimarat Vulnerabilität als Maß, zu dem eine Region oder ein System gegenüber nachteiligen Auswirkungen von Klimaänderungen anfällig ist und damit umgehen kann. Einfach ausgedrückt geht es also um die Verwundbarkeit von Gebäuden beziehungsweise deren Anpassungsfähigkeit.

procontra: Und was haben Sie jetzt herausgefunden?

Bienert: Wir nutzen regionale Klimadaten, die uns von den Experten beispielsweise des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung oder dem Deutschen Wetterdienst zur Verfügung gestellt werden. In interaktiven Karten wie jener im von uns entwickelten Online-Werkzeug „GIS-ImmoRisk Naturgefahren“ werden die Resultate abgebildet und sind für jeden Interessierten frei zugänglich. Das Ergebnis ist leider eindeutig: Die Naturgefahren nehmen weiter deutlich zu und werden zu einem weiteren Anstieg der Häufigkeit und Intensität von Schäden an Gebäuden führen.

procontra: Reicht dafür der im Markt verfügbare Versicherungsschutz nicht aus?

Bienert: Eine gute Elementarschadensversicherung ist jedem anzuraten – da besteht in Deutschland noch Luft nach oben, auch wenn die Verbreitung in den vergangenen Jahren deutlich anstieg. Im Ergebnis gilt: Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert, ist relativ gering. Wenn jedoch der Schadensfall eintritt, hat man bei Gebäuden häufig einen Totalausfall zu beklagen. Wichtig ist auch die Einsicht, dass sich manche Dinge nicht versichern lassen – wie zum Beispiel Folgeschäden in Form von Miet- oder Produktionsausfällen. Der Abschluss einer Versicherung kann somit nur einen Teil der eigenen Vorsorge bilden. Auch verändert sich gegebenen-falls die Attraktivität ganzer Regionen und indirekte Rückwirkungen sind zu berücksichtigen, die ebenfalls nicht versichert werden können.

procontra: Wo sind die Gefahren am größten?

Bienert: Bei den Naturgefahren muss ja zwischen verschiedensten Wetterextremen und deren Folgen unterschieden werden: Hagel, Starkregen, Sturmfluten, Hitze, Waldbrand und so weiter. Die einzelnen Gefährdungen können mittlerweile auf teilweise einen Quadratkilometer „runtergerechnet“ werden, und somit sollte man sich die konkrete Situation am jeweiligen Standort genauer ansehen. Generell gilt: Wintersturm, Hagel und Hochwasser dominieren die Schadensstatistik hierzulande. Fakt ist aber, dass die Gefährdungslage bundesweit weiter deutlich ansteigt. Exemplarisch ist der Süden stark von Hagel­ereignissen betroffen. Im Osten Deutschlands häufen sich hingegen Trockenheit und damit einhergehende Waldbrände.

procontra: Wie können Vermittler bei der Risikoanalyse helfen?

Bienert: Wichtig ist die Sensibilisierung für den Versicherungsschutz. Tatsächlich hat sich die Versicherungsquote seit 1980 mehr als verdoppelt. Dennoch beträgt der bundesweite Anteil der Gebäude, die umfassend gegen alle Elementarschäden versichert sind, nur etwa 45 Prozent. Oft besteht nur eine Versicherung, die bestimmte Naturgefahren abdeckt – die gegebenenfalls für die spezifische Immobilie gar nicht am relevantesten sind. Auch ist der Hinweis auf Informationsquellen wie die Onlineportale GIS-ImmoRisk und Zürs wichtig. Hier finden Kunden konkrete Informationen zur Gefährdungslage in Bezug auf einzelne Naturgefahren an ihrem Standort und können ihren Versicherungsschutz oder sonstige Reaktionsstrategien zur Minderung oder Abwälzung der Risiken auf dieser Grundlage gezielt steuern.

procontra: Worauf sollten Häuslebauer achten?

Bienert: Das Stichwort ist hier Steigerung der Widerstandsfähigkeit, die sogenannte Resilienz. Bei Neubauten bietet sich – in Abhängigkeit von den Risiken in der jeweiligen Region – zum Beispiel eine kompakte Bauweise an. Auch eine hohe Reparaturfähigkeit, besonders verankerte Dachziegel bei Sturmgefahr sowie gegen Starkregen abgedichtete Mauerwerke zwischen Sockel und Bodenplatte sowie wasserundurchlässiger Beton sind Maßnahmen zum Schutz einer Immobilie.

procontra: Und welche Möglichkeiten haben Immobilienbesitzer?

Bienert: Zugegeben, für ein Bestandsobjekt sind die Möglichkeiten geringer als bei einem Neubau auf der grünen Wiese. Dennoch kann man von der Dachbegrünung bis hin zu Barrieren bezüglich eines möglichen Wassereintritts im Keller nachträglich noch viel tun. Welche Maßnahmen je Naturgefahr geboten sind und wie sich Kosten-Nutzen-Verhältnisse darstellen, haben wir ausführlich in unserer neuesten Publikation „Naturgefahren und Immobilienwerte in Deutschland“ dargelegt. Die Studie wurde von BF.direkt, einem Vermittler von Immobilienfinanzierungen, unterstützt und ist kostenlos auf unserer Homepage verfügbar.

procontra: Welche Effekte ergeben sich daraus für die Versicherbarkeit und Finanzierung von Immobilien?

Bienert: Wenn das Objekt in einem Risikogebiet liegt und keine Vorkehrungen getroffen wurden, dann wird die Versicherungsprämie tendenziell steigen. Insgesamt erwarten wir höhere Prämien in der Zukunft, da die Gefährdung sukzessive steigt und Versicherer sich dieses Risiko – wenn sie es denn übernehmen – abgelten lassen müssen. Und die Kosten der Immobilienfinanzierung, also der Kreditzins, speisen sich bekanntlich aus zwei Elementen: der Ausfallwahrscheinlichkeit und dem Verlust im Fall des Ausfalls. Auf beide Elemente hat ein steigendes Risiko durch Naturgefahren einen negativen Einfluss. Der ist in Bezug auf Deutschland und im Verhältnis zu anderen Einflussfaktoren, die auf den Kreditzins wirken, auch weiterhin aus unserer Sicht moderat.

procontra: Was die Finanzierungsbedingungen betrifft, ist also alles halb so schlimm?

Bienert: Keineswegs. Der Druck auf Kreditinstitute, derartige Klimarisiken stärker als bisher zu beachten, steigt. Verschiedene Regulierungen wie die Taxonomie der EU und andere Initiativen erhöhen die Taktzahl. Klimarisiken sind klar auch auf der Agenda der Finanzaufsicht BaFin und damit relevant für die Finanzwirtschaft. Kurzum: Je nach Resilienz der Immobilie wird es Zu- oder Abschläge bei den Zinsen geben.

procontra: Haben Banken Klimarisiken in der Immobilienfinanzierung bisher nicht oder nicht ausreichend eingepreist?

Bienert: Bisher sehen wir hier wenig Einfluss. Zu groß sind andere Effekte wie der allgemeine Wettbewerb und Margendruck. Aber die Relevanz, auch Abschläge auf Markt- und Beleihungswert durch Klimarisiken zu beachten, steigt kontinuierlich. Hierbei sind neben Naturgefahren auch Klimarisiken durch Anforderungen an die energetische Effizienz und CO2-Bepreisung zunehmend wichtig. Unsanierte Gebäude und Bürogebäude ohne Klimatechnik sind bereits heute nur noch mit Abschlägen zu verkaufen. Salopp könnte man sagen: Der Klimawandel kratzt am Betongold.