„Wer in Industriemetalle investiert, hat andere Interessen als ein Goldanleger“

Kupfer, Nickel, Zink oder Platin: Mit der Energiewende rücken andere Rohstoffe abseits von Gold und Silber in den Fokus von Investoren. Über den Hype von Industriemetallen sowie die damit für den Verbraucher verbundenen Nebenwirkungen sprachen wir mit Rohstoffexperte Raphael Scherer, Geschäftsführer von Philoro Edelmetalle.

06:04 Uhr | 23. April | 2021
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Raphael Scherer: Rohstoffe und Industriemetalle sind eine Bereicherung für viele Portfolios. Es stimmt allerdings, dass sich ein Investment vor allem für erfahrene Anleger empfiehlt – heute vielleicht sogar noch mehr als früher. Jedem Investor sollte klar sein, dass in diesem Bereich zurzeit ein radikaler Umbruch stattfindet. Ob westliche Industrieländer oder China: Alle wollen ihren CO2-Ausstoß reduzieren und weniger fossile Brennstoffe nutzen. Das wird logischerweise auch im Rohstoffsektor viel verändern: Kohle, Rohöl oder Erdgas verlieren an Bedeutung, andere Industriemetalle rücken in den Vordergrund.

procontra: Welche sind das genau?

Raphael Scherer: Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, dass Verbrennungsmotoren und Katalysatoren es in Zukunft schwer haben werden. In den meisten Ländern verändert sich die Wirtschaft hin zu erneuerbarer Energieerzeugung und E-Mobilität. Dadurch steigt zum Beispiel der Bedarf an Silber, etwa für den Bau von Solaranlagen. Wir benötigen auch mehr Lithium für Batteriezellen oder Platin für die Synthese von grünem Wasserstoff.

procontra: Die Nachfrage zieht also mit der Energiewende an?

Raphael Scherer: Bei Silber oder Lithium sehe ich in der Tat großes Potential. Bei Platin bin ich mir allerdings nicht sicher. Hier könnte die Nachfrage auch zurückgehen und damit der Preis.

procontra: Warum?

Raphael Scherer: Es ist längst nicht klar, welche Technik sich am Ende zum Beispiel in der Autoindustrie durchsetzt: Wasserstoff kann der E-Mobilität immer noch den Rang ablaufen. Aber der eigentliche Grund, warum sich Platin für Investoren meiner Meinung nach nicht lohnt, ist, dass es derzeit schlicht zu viel Platin auf den Märkten gibt. Das Edelmetall wird zusammen mit Palladium gefördert – da Palladium aber sehr viel teurer ist, wird mehr Platin abgebaut als die Industrie aktuell benötigt. Das dürfte das Metall für Investoren uninteressant machen. Wer jetzt noch auf richtige Preissteigerungen bei Platin setzt, wird wahrscheinlich enttäuscht.

procontra: Palladium hat im vergangenen Jahr einen regelrechten Hype erfahren, der Preis liegt derzeit bei knapp 2.200 Euro je Feinunze. Sehen Sie noch Potenzial?

Raphael Scherer: Der Preisanstieg lässt sich vor allem auf ein Ereignis zurückführen: Ein eingestürztes Gebäude zwang den größten Palladium-Hersteller Nornickel dazu, seine Produktion massiv einzuschränken. Dadurch ging das weltweite Angebot stark zurück, die Nachfrage blieb aber gleich, wenn sie nicht sogar anzog. Das heizte die Preise ordentlich an. Die Aussichten für Palladium sind trotzdem insgesamt gut: Denn derzeit ersetzt die Industrie viele Prozesse, in denen normalerweise Platin genutzt wird, mit Palladium.

procontra: Auch bei anderen Industriemetallen sind die Preise zuletzt gestiegen – obwohl die Coronakrise längst nicht überstanden ist. Wie lässt sich das erklären?

Raphael Scherer: Ein Grund dürfte die stark wachsende Nachfrage aus China sein. Trotz Pandemie wächst die chinesische Industrieproduktion seit diesem Jahr wieder rasant. Außerdem gilt die Volksrepublik als weltweit größter Automobilmarkt, der sich künftig nachhaltiger ausrichten will: Angetrieben von staatlichen Investitionen hat sich die Volksrepublik nämlich längst zum größten Produzenten von Elektroautos entwickelt. Nickel, Kupfer und Lithium – alles Industriemetalle, die man für E-Fahrzeuge benötigt – haben in China derzeit Hochkonjunktur.

procontra: Und davon können Anleger profitieren?

Raphael Scherer: Ganz so absolut lässt sich das leider nicht sagen. Für die Entwicklung der Rohstoffpreise ist die Situation auf dem Weltmarkt entscheidend. Sicher ist: Sobald die Konjunktur in den USA und in Europa wieder anzieht, dürften alle Industriemetalle davon profitieren. Deshalb müssen wir uns fragen, wie stark die Nachfrage in Europa gerade ist – und aus ökonomischer Sicht tut sich die europäische Wirtschaft, mit Ausnahme weniger Sektoren wie der Baubranche, derzeit noch schwer.

procontra: Immerhin stärkt die Baubranche die Nachfrage nach Industriemetallen.

Raphael Scherer: Richtig, die Baubranche erholt sich seit Anfang des Jahres deutlich. Entsprechend steigen auch die Preise für Stahl oder Kupfer. Seit März hat sich der Kupferpreis verdoppelt.

Seite 1: Mit der Energiewende rücken neue Industriemetalle in den VordergrundSeite 2: Kupfer: Immer noch ein lohnendes Investment?

procontra: Können Berater den Einstieg in Kupfer noch empfehlen?

Raphael Scherer: Ich denke schon. Auch wenn der Preis zuletzt stark gestiegen ist, sehe ich noch Luft nach oben. Schließlich ist das Metall unabdingbar für die Industrie. Außerdem ist Kupfer ein gutes Konjunkturbarometer. Das bedeutet: Steigt der Preis, gehen die Märkte in der Regel von einem wirtschaftlichen Aufschwung aus – was wiederum die Nachfrage nach Kupfer befeuert.

procontra: Welche Entwicklungen könnten den Kupferpreis noch treiben?

Raphael Scherer: Kupfer wird in großen Mengen beim Hausbau verwendet, aber auch in der Elektronik und in Autos. Vor allem Elektrofahrzeuge enthalten große Mengen an Kupfer – dort wird es etwa in Form von Kabeln oder Rotoren eingesetzt. Auch bei der Gewinnung erneuerbarer Energien spielt Kupfer eine Rolle. Zudem war die Produktion in den Minen im vergangenen Jahr eingeschränkt, das hat das Angebot stark geschmälert. Grundsätzlich ist das natürlich eine schöne Entwicklung, aber der ganze Hype um Industriemetalle hat auch einen Nachteil.

procontra: Der wäre?

Raphael Scherer: Steigende Rohstoffpreise sind zwar grundsätzlich erstmal gut für Anleger, aber sie schüren auch Inflationsängste. Und das nicht zu Unrecht, denn am Ende treffen sie die Verbraucher direkt. Erhöhen Kupferminen, aufgrund der Nachfrage die Preise, sind Kupferkabel am Ende der Lieferkette auch für Automobilhersteller im Einkauf teurer – und das geben sie an die Käufer weiter. Hinzu kommt die expansive Geldpolitik der Zentralbanken. Derzeit rechnen viele Anleger mit einem sprunghaften Anstieg der Inflation und versuchen sich dagegen abzusichern.

procontra: Indem sie auf Edelmetalle wie Gold setzen?

Raphael Scherer: Zum Beispiel. Wer in Industriemetalle investiert, hat andere Interessen als ein Goldanleger: Er hofft auf steigende Kurse. Investoren, die auf Gold setzen, wollen sich dagegen vorrangig gegen steigende Verbraucherpreise und Geldentwertung absichern. Gold erfüllt im Portfolio somit einen gänzlich anderen Zweck als Industriemetalle. Ich persönlich halte Gold auch immer noch für ein Instrument, um sich gegen diese Risiken schützen. Was als Investment interessant ist, hängt aber vor allem von der Intention des Anlegers ab. Letzten Endes sollten sich Vermittler fragen, wie risikobereit ist mein Kunde? Daran sollte sich entscheiden, ob sie lieber auf Industriemetalle wie Kupfer oder Lithium setzen oder in Gold investieren wollen.

procontra: Halten Sie Industriemetall-Investments für spekulativ?

Raphael Scherer: Industriemetalle sind grundsätzlich sehr volatil, also schwankungsanfällig, denn sie hängen stark von der Konjunktur ab und bieten definitiv keinen guten Inflationsschutz. Sie eignen sich nicht dazu, Risiken zu diversifizieren. Diese Eigenschaften besitzen vor allem Edelmetalle wie Gold, Silber oder Platin, die nicht ausschließlich nur in der Industrie vorkommen.

procontra: Sehen Sie beim Goldpreis noch Luft nach oben?

Raphael Scherer: Definitiv. Zum einen ist mit der Corona-Krise die Nachfrage nach Gold bei privaten Anlegern gestiegen und wir, als Edelmetallhändler, erfahren derzeit keine Umkehr dieses Trends. Zum anderen ist durch die Pandemie die Schmuckproduktion zum Erliegen gekommen – wenn diese wieder anzieht, werden Nachfrage und Preis wieder steigen.

procontra: Wie sollten Vermittler die Portfolien der Anleger bestücken?

Raphael Scherer: Grundsätzlich ist meine Empfehlung, zehn Prozent eines Portfolios in Edelmetalle zu investieren. Industriemetalle sollten lediglich als Beimischung ins Depot. Wer an einen baldigen Aufschwung hofft, kann auf Kupfer, Eisen, Zink oder Lithium spekulieren.

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