Kolumne

Betrugsversuche im Schatten der Inflation

Ein Kunde meldet einen Hagelschaden an einer seiner Immobilien. Laut Wetterdienst gab es allerdings keinen Hagel an besagtem Tag. Dann schreibt auch noch der Handwerker eine überteuerte Aufwandsschätzung. Ein Fall für Timo Heitmann

10:06 Uhr | 30. Juni | 2023
Timo Heitmann

Timo Heitmann, Versicherungsdetektiv und Teamleiter Schadenaußendienst

| Quelle: privat

Heute skizziere ich einen meiner jüngsten Fälle, der meine Sicht auf unsere derzeitige Schadenlandschaft im besonderen Maße geprägt hat. Die Kundschaft, um die es geht, ist im Besitz mehrerer hochwertiger Immobilien zur Vermietung zu Wohnzwecken und teilweise zur gewerblichen Nutzung in bester Lage Deutschlands. Gemeldet wird ein Hagelschaden. Die Wetterdienste melden zwar, dass die Tage vor und nach dem angeblichen Schadentag sowie am Tag selbst kein Hagel in der Region niederging, an der Darstellung wird jedoch festgehalten.

Zu Schaden gekommen sei der Anstrich von Fensterrahmen, Fensterbänken, Balkongeländern und der Garagentore sowie des Ortgangs an der Doppelgarage, sämtliche dieser Bauteile in Nord/Westausrichtung des Hauses. Meist kommen die Niederschläge und auch der Hagel tatsächlich aus dieser Himmelsrichtung, man kennt es als „die Wetterseite“.

Auffällig war bereits anhand der Fotos, dass keine beziehungsweise kaum punktuelle Abplatzungen zu sehen waren, sondern vielmehr eine abgeblätterte und brüchige Lasur. Ich blickte stellenweise auf komplett vergrautes Holz, als wären die Bauteile teilweise schon geschliffen worden, was sie nicht waren. Vor Ort stellte sich schnell heraus: Der Anstrich war schon mehrere Jahrzehnte alt, der Schaden war nicht durch Hagel entstanden. Mit dem Fingernagel ließ sich der Altanstrich mühelos entfernen.

Ein Tipp: Machen Sie einen Rundgang ums Gebäude. Und wie sehen eigentlich die Teile auf der gegenüberliegenden Seite des Hauses aus? Siehe da, auch dort zeigen sich ähnliche, wenn auch nicht ganz so ausgeprägte schlechte Zustände der Bauteile und es war spätestens da auch für die Kundschaft eingängig: Mit Hagel hatten diese Schäden nichts zu tun.

Doch das ist nicht alles. Die Angebote für die Überarbeitung der Holzteile beliefen sich in Summe auf circa 10.000 Euro. Glücklicherweise war auch der Handwerker zum Termin vor Ort. Es wurde die Überarbeitung sämtlicher Bauteile der Nord/Westausrichtung pauschal aufgeführt und dies, obwohl in der oberen Etage die Fensterbänke zum einen aus Metall und zum anderen vom Dachvorsprung weit überdacht waren. Ob daran wirklich Hageleinwirkungen stattgefunden haben, konnte man mir vor Ort überhaupt nicht zeigen, in die Etage gelangten wir nicht (da vermietet). Der Termin nahm seinen Lauf und zum Schluss äußerte die Kundschaft sogar, dass sie eh nicht mit einer Kostenübernahme durch die Versicherung gerechnet habe. Ich war für einen Moment sprachlos.

Fazit: Der Haus- und Hofhandwerker schreibt eine überteuerte Aufwandsschätzung, in der Hoffnung vermutlich beider Beteiligter, dass die Versicherung sich irgendwie mit einem gegebenenfalls geringen Anteil beteiligt. Ich mutmaße, dass die letztendliche Abwicklung unter Kundschaft und Handwerker dann in der Praxis gänzlich anders - nämlich zu realistischen Kosten - gestaltet worden wäre. So wiedersprach mir der Handwerker nicht einmal, als ich konfrontativ in den Raum stellte, dass er die Arbeit ohne Versicherung doch sicher für die Hälfte der Kosten durchführen könnte. Die Reaktionslosigkeit, gepaart mit einem leichten Grinsen des Handwerkers versetze mich erneut kurz in Sprachlosigkeit. Ich verabschiedete mich schlussendlich mit einer Deckungsablehnung.

Die Preise für Waren und Dienstleistungen sind bekanntlich durch die Decke geschossen.  Dennoch mein Tipp: Es lohnt sich wieder Vergleichsangebote einzuholen, über Preise zu sprechen und nicht jede Zahl achselzuckend hinzunehmen. Lassen Sie sich den tatsächlichen Mehraufwand gut erklären, zum Teil mag er noch heute gerechtfertigt sein, akzeptieren Sie ihn aber bitte nicht pauschal.

Mein Fall mag eine Mischung aus beiden Welten sein. Aus meiner Sicht ein Betrugsversuch dem Grunde und zeitgleich der Höhe nach. Tipp: Hinterfragen Sie die Dinge wieder mehr und geben eigene Hintergrundinformationen zum Sachverhalt mit der Schadenmeldung an den Versicherer weiter. Oft ist es eben nach wie vor so, dass wir in angespannten Märkten faire Lösungen finden müssen. Zum Teil wird die Lage jedoch obendrein schamlos ausgenutzt und wir werden hemmungslos belogen und betrogen.

Wenn ich von angespannten Märkten spreche fällt mir gleich ein neues Thema ein: Kennen Sie einen Handwerker, der nicht über Schwierigkeiten bei der Rekrutierung neuen Personals klagt? Einmal weiter gedacht ist dies der nächste Grund für steigende Preise. Es wird also nicht einfacher. Vielleicht ist es aber auch das, was unseren Job jeden Tag aufs Neue so spannend macht.