Wann die Aufsichtspflicht verletzt wird

Vorwürfe der Verletzung der Aufsichtspflicht führen häufig zu Leistungsablehnungen durch Versicherungen. Doch die juristische Überprüfung kann sich lohnen, zeigt ein Urteil des OLG Düsseldorf. Rechtsanwältin Riccarda-Katharina Graul (Kanzlei Jöhnke & Reichow) nimmt detailliert Stellung zu dem Fall, der die Grenzen der Aufsichtspflicht verdeutlicht.

09:03 Uhr | 07. März | 2019
Haftng Kinder Haftpflichtversicherung Deliktunfähigkeit Aufsichtspflicht

Verletzten Eltern ihre Aufsichtspflicht, wenn ein Dreijähriger allein zur Toilette geht? RA Graul erläutert die Entscheidung des OLG Düsseldorf dazu. Bild: Kanzlei Jöhnke & Reichow

Eine aufsichtspflichtige Mutter muss für einen durch ihren kleinen Sohn verursachten Wasserschaden nicht aufkommen, sodass auch eine Eintrittspflicht der Haftpflichtversicherung ausscheidet. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf ist eine lückenlose Beaufsichtigung eines dreieinhalbjährigen Kleinkindes weder möglich noch erforderlich (Beschl. v. 26.04.2018, Az: I-4 U 15/18).

Der Fall

Die Versicherungsnehmer sind Mieter in einem Mehrfamilienhaus. Ihr dreieinhalbjähriger Sohn verursachte einen Leitungswasserschaden in ihrer Wohnung. Nachdem die Mutter ihren Sohn ins Bett gebracht hat, schlief sie im elterlichen Schlafzimmer ein. Im Laufe des Abends ging das Kleinkind alleine zur Toilette. Der Spülknopf für das WC war bereits beim Einzug defekt und verhakte leicht. Wenn er nicht in bestimmter Weise bedient wurde, konnte Wasser ununterbrochen nachlaufen. Dies hatten die Versicherungsnehmer den Vermietern nicht mitgeteilt.

Das Kind benutzte so viel Toilettenpapier, dass der Abfluss der Toilette verstopfte. Infolgedessen trat unkontrolliert das Spülwasser aus dem WC aus, trat in den Bodenaufbau ein und tropfte in die darunterliegende Wohnung.

Der Wohngebäudeversicherer des Hauseigentümers regulierte den Leitungswasserschaden. Er verlangte jedoch wegen verletzter Aufsichtspflicht die Hälfte von der Mutter bzw. ihrer Haftpflichtversicherung gem. § 78 Abs. 2 VVG ersetzt.

Haftung bei Mehrfachversicherung

Gem. § 78 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) haften die Versicherer unter bestimmten Voraussetzungen als Gesamtschuldner, wenn bei mehreren Versicherern ein Interesse gegen dieselbe Gefahr versichert ist. Die Versicherer sind gem. § 78 Abs. 2 VVG im Verhältnis zueinander anteilig nach Maßgabe der Beträge verpflichtet, die sie dem Versicherungsnehmer nach dem jeweiligen Vertrag zu zahlen haben.

Entsprechend dem zugrundeliegenden Gebäudeversicherungsvertrag ist dem Gebäudeversicherer bei Fällen, in denen der Mieter einen Schaden am Gebäude durch leichte Fahrlässigkeit verursacht hat, der Rückgriff gegen diesen verwehrt. Der Regress ist ihm auch verwehrt, wenn der Mieter eine Haftpflichtversicherung unterhält, die Ansprüche bei Schäden an gemieteten Sachen deckt. Dem Gebäudeversicherer, dem der Regress gegen den Mieter verwehrt ist, steht aber gegen den Haftpflichtversicherer des Mieters entsprechend den Grundsätzen der Doppelversicherung gem. § 78 II VVG analog ein Anspruch auf anteiligen Ausgleich zu. Dazu muss aber aufgrund einer Schadensersatzpflicht der versicherten Person eine Eintrittspflicht der Haftpflichtversicherung bestehen.

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Keine Eintrittspflicht der Haftpflichtversicherung

Das OLG Düsseldorf entschied, dass vorliegend eine Eintrittspflicht der Haftpflichtversicherung ausscheidet. Eine Eintrittspflicht der Haftpflichtversicherung aufgrund eines schuldhaften Handelns des Kleinkindes gem. § 823 I Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) scheidet mangels Deliktsfähigkeit des Kindes aus. Eine mietvertragliche Schadensersatzpflicht der Versicherungsnehmerin scheidet aus, weil der Defekt am Spülknopf seit Beginn des Mietverhältnisses vorlag und sich die Anzeigepflicht auf solche Mängel nicht bezieht. Auch eine deliktsrechtliche Haftung der Eltern?gem. § 832 I BGB scheidet aus, da keine Aufsichtspflichtverletzung der Mutter vorliegt. Die Mutter hat bei der Aufsicht die gebotenen Sorgfaltsmaßstäbe nicht vernachlässigt, so das OLG Düsseldorf.

OLG Düsseldorf: Ein Kind muss nicht lückenlos beaufsichtigt werden

In einer geschlossenen Wohnung müssen dreijährige Kinder laut OLG Düsseldorf mit Blick auf die persönliche Entfaltung und Entwicklung nicht lückenlos beaufsichtigt werden. Diese sollten ohne ständige Kontrolle auch alleine einschlafen und zur Toilette gehen dürfen. Die Mutter musste daher den Einschlafvorgang ihres Sohnes nicht überwachen und den alleinigen Toilettengang verhindern.

Die schlafende Mutter war für ihren Sohn zu erreichen und grundsätzlich in Hörweite. Angesichts dessen Alters war zu erwarten, dass sich dieser bei Problemen bemerkbar macht. Die Anforderungen an die Aufsichtspflicht würden überspannt, wenn die Nacht-/Mittagsschlafruhe regelmäßig unterbrochen werden müsste, um Kontrollen auszuüben. Ausreichend ist es, wenn sich der Aufsichtspflichtige in Hörweite aufhält.

Dies gilt auch, obwohl das Schadensrisiko im Badezimmer aufgrund des defekten Spülknopfes grundsätzlich erhöht war. Es ist hinzunehmen, dass das Kind die heimische Toilette selbstverständlich im Alltag nutzt. Das Schadensrisiko war nicht derart hoch, dass die Eltern eine selbstständige Nutzung der Toilette hätten verhindern müssen.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil überzeugt im Ergebnis. Vorwürfe der Verletzung der Aufsichtspflicht führen häufig zu Leistungsablehnungen durch Versicherungen. Aus diesem Grunde ist es zwingend erforderlich, jedwede Leistungsablehnungen von Versicherungen juristisch überprüfen zu lassen. Nicht jede Leistungsablehnung eines Versicherers ist rechtlich haltbar. Es sollte im Einzelfall genauestens rechtlich überprüft werden, mit welcher Begründung Versicherungen Leistungsansprüche ablehnen, damit keine Ansprüche der Versicherten vereitelt werden. Autorin Riccarda-Katharina Graul arbeitet für die Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte.

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