Stornohaftung: Wann Vermittler trotz vorzeitiger Kündigung die volle Provision behalten dürfen
procontra: Das Berliner Kammergericht hat kürzlich entschieden, dass ein ehemaliger Ergo-Vertreter knapp 140.000 Euro Provision zurückzahlen muss, für die er sich noch in der Stornohaftung befand. Die Ergo hatte dem Vermittler untersagt, diese PKV-Verträge zurückzugewinnen. Wie zufrieden sind Sie mit dieser Entscheidung?
Jürgen Evers: Der Gesetzgeber hat die verlängerte Stornohaftung von 60 Monaten in der PKV geschaffen, um provisionsgetriebene Umdeckungen zu verhindern. Im vorliegenden Sachverhalt greift die Zielsetzung des Gesetzgebers aber nicht, da für die Verträge nicht das Risiko der Umdeckung im Raum stand. Der Kunde wollte die Verträge seiner Mitarbeiter unbedingt kündigen, weil er von dem Vertreter verärgert war. Da für die versicherten Personen, allesamt Botschaftsmitarbeiter, hierzulande aber keine Krankenversicherungspflicht besteht, war auch der Abschluss neuer Verträge bei einer anderen Gesellschaft nicht in greifbarer Nähe.
procontra: Eigentlich hatte zwischen dem Vertreter und der Ergo beziehungsweise DKV eine Stornohaftungsvereinbarung von zwölf Monaten bestanden. Diese hatte das Gericht aber der gesetzlichen Haftungszeit untergeordnet. Ist das juristisch korrekt, wenn doch der Vermittler keine Chance hatte, die Verträge zurückzugewinnen?
Evers: Man hätte hier auch wohlwollender entscheiden können, anstatt eine Altvereinbarung kaputtzumachen. Zumal die vorfristliche Aufhebung des Vertrages den Provisionsanspruch unberührt lässt.
procontra: Heißt das, es gibt Fälle, in denen Vermittler die erhaltene Provision nicht anteilig zurückzahlen müssen, obwohl der Vertragsstorno vor Ablauf des Haftungszeitraums eingetreten ist?
Evers: Ja, wenn der Versicherer die Stornierung zu vertreten hat. Dies sind alle Fälle, in denen der Versicherer durch schuldhaftes Verhalten die Stornierung herbeiführt oder in denen das Stornorisiko der Risikosphäre des Unternehmers zugewiesen ist, was eigentlich die Regel ist, weil der Vertreter Schutz verdient, der dem Versicherer den Anspruch gegen den Kunden auf Durchführung des Geschäfts verschafft hat. Zwar trägt der Vertreter das Risiko der Vergütung insofern, als ein Antrag abgelehnt wird. Das Risiko der Ausführung geschlossener Geschäfte ist jedoch dem Unternehmer zugewiesen. Im vorliegenden Fall fallen beide Risiken zwar zusammen, weil der Versicherer durch die Ablehnung des neuen Antrags die Nichtausführung der geschlossenen Verträge provoziert. Auf der anderen Seite hat der Versicherer vorbehaltlos einen Gruppenversicherungsvertrag zur Absicherung der Botschaftsangehörigen geschlossen, ohne gegenüber dem Vertreter deutlich zu machen, dass er damit nicht das Risiko der Nichtausführung geschlossener Versicherungen übernehmen kann. Deshalb war nach der Rechtsprechung des BGH davon auszugehen, dass das Risiko der Nichtausführung der übrigen Botschaftsverträge beim Versicherer lag.
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procontra: Welche Konstellationen müssen vorliegen, damit Vermittler ‚alles richtig gemacht‘ haben und die erhaltene Provision trotz vorzeitigem Vertragsende behalten dürfen? Und haben Vermittler vor Gericht überhaupt eine reelle Chance gegen den Versicherer?
Evers: In der Krankenversicherung können Vertreter verlangen, dass der Versicherer seinen Prämienanspruch durchsetzt. Die Stornoabwehr obliegt den Vertretern letztlich im eigenen Interesse der Erhaltung der Geschäftsverbindungen zum Kunden. In der kapitalbildenden und fondgebundenen Lebensversicherung gelten die Nachbearbeitungsgrundsätze, weil man den Kunden nicht zum Sparen zwingen kann. Der Vertreter macht alles richtig, wenn der den Vertrag mit dem Ziel nachbearbeitet, ihn zu erhalten, nachdem der Versicherer ihn über die Stornogefahr unterrichtet hat. Die Unterrichtung muss vor der Stornierung erfolgen, zeitnah sein – vier bis sechs Wochen nach Eintritt der Vertragsstörung – und den Vertreter befähigen, die Nachbearbeitungsmaßnahme anzusetzen. Der Versicherer muss den Vertreter also inhaltlich vollständig über die ihm bekannten Ursachen des Stornorisikos unterrichten.
Dies alles muss der Versicherer darlegen und beweisen. Deshalb stellt sich bei Rückforderungen zumeist die Frage, ob der Versicherer alles richtig gemacht hat bei der Begründung der Rückforderung. Viele Klagen von Versicherern scheitern, weil die Versicherer die von ihnen nach dem Ausscheiden des Vertreters entfalteten Nachbearbeitungsbemühungen nicht ausreichend darlegen. Deshalb sollte der Vertreter bei der Geltendmachung von Rückforderungen anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen oder sich wenigstens in unserer Datenbank ‚EversOK‘ informieren, was der Versicherer alles darlegen muss, um eine Rückforderung schlüssig zu begründen.
procontra: Andererseits: Die Provision stammt ja aus den Beiträgen, die der Vertrag über die ersten fünf Jahre einbringt. Wenn der Vertrag vorher storniert wird und der Vermittler die komplette Provision behalten darf, fällt das zu Lasten der Versichertengemeinschaft. Fair?
Evers: Die Regelung, dass die Provision mit Eingang der Prämien oder Beiträge verdient ist, aus denen sie sich berechnet, entspricht dem Gesetz. Sie ist im Ausgangspunkt auch fair, weil Stornokosten die Gewinne der Versicherer schmälern, was sich am Ende auch zu Lasten des Kollektivs der Versicherten auswirkt. Auf der anderen Seite ist der Vermittler dem Versicherer auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, wenn es dem Versicherer einfach gemacht wird, ein Storno zu provozieren, statt alles zu unternehmen, um geschlossene Verträge durchzuführen. Das war im Streitfall das Dilemma.
Dabei kann nicht wirklich in Frage gestellt werden, ob eine Stornohaftung in der Lebensversicherung sinnvoll ist. Dort bemisst sich die Provision nach der Wertungssumme, also dem auf die Gesamtlaufzeit des Vertrages hochgerechneten Beiträgen. Von daher ergibt es Sinn, die Provision auf einen bestimmten, weit geringeren Zeitraum zu beschränken. Haftungszeiträume von 60 und mehr Monaten sind indessen ein hohes Risiko für Vermittler, die nur im Lebensversicherungsgeschäft tätig sind. Wir erleben nicht selten, dass Ausgleichsansprüche durch Stornorückforderungen aufgezehrt werden, etwa bei bAV-Vermittlern. In der Krankenversicherung wird die Provision aus dem Monatsbeitrag berechnet, nicht aus dem gesamten Prämien- oder Beitragsaufkommen bis zu einem vertraglich festgelegten Endalter. Deshalb kann man hier schon die Frage stellen, ob eine Provision von vielleicht bis zu sechs MB, wie sie in der Krankenversicherung gewährt werden dürfte, tatsächlich einen zehnmal so langen Haftungszeitraum nach sich ziehen sollte.
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