Schüler-BU: Stark eingeschränkter Finanztest

Der jüngste BU-Test von Finanztest erntet wieder Kritik. Die brandet erneut auf nach der nun erfolgten Untersuchung zur BU-Absicherung für Schüler. Ein Makler und BU-Sachverständiger will die Warentester zur Haftung für ihre Urteile zwingen.

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06:06 Uhr | 01. Juni | 2021
Marktmacht und Auftritt der Stiftung Warentest haben großen Einfluss auf Leser-Entscheidungen zum Versicherungsabschluss, was eine Haftung begründen könnte, sagt BU-Sachverständiger Bert Heidekamp. Bild: Pohl

Marktmacht und Auftritt der Stiftung Warentest haben großen Einfluss auf Leser-Entscheidungen zum Versicherungsabschluss, was eine Haftung begründen könnte, sagt BU-Sachverständiger Bert Heidekamp. Bild: Pohl

Alle zwei Jahre untersucht die Stiftung Warentest Tarife von Berufsunfähigkeits-Versicherungen, regelmäßig hagelt es dafür Kritik. Zuletzt bekamen, veröffentlicht in der Mai-Ausgabe von Finanztest, 35 Angebote von 71 BU­-Policen die Bestnote (sehr gut).

Die Testmethodik war so willkürlich wie in den Vorjahren. Kritik kam erwartungsgemäß auch aus dem Lager der spezialisierten Makler. Matthias Helberg schreibt in einem Blog-Beitrag: „Viele Kriterien wurden erneut nicht berücksichtigt oder für den Leser nicht nachvollziehbar dargestellt.“

Aus großem BU-Test Schüler-Angebote ausgekoppelt

Aus dem Mai-Test hat die Stiftung Warentest nun BU-Angebote für Schüler ab zehn Jahren ausgekoppelt, veröffentlicht in der Juni-Ausgabe von Finanztest. Ergebnis: Sehr guten Schutz gebe es bei 13 Gesellschaften. Allerdings wurden nur Gesellschaften berücksichtigt, die bereits im „großen“ BU-Test nach den dortigen Kriterien sehr gut abgeschnitten hatten, preiswert waren und nun ihren Schutz bereits für Kinder ab zehn Jahren anbieten.

Versichert sei Berufsunfähigkeit ab der Schulzeit bis zur Rente, auch in Elternzeit oder ohne Berufstätigkeit, heißt es bei Finanztest. Der Modellkunde ist 15 Jahre alt und besucht als Schüler die zehnte Klasse einer Gesamtschule. Die vertraglich vereinbarte Monatsrente beträgt im Leistungsfall 1.000 Euro. Der Vertrag läuft bis zum 67. Lebensjahr.

Allerdings fehlen maßgebliche Anbieter wie LV 1871, Condor und LVM, so dass allenfalls ein lückenhafter Marktüberblick zustande kam. Interessant: Steht die Bezeichnung „Schüler“ im Vertrag, bleibt diese Bezeichnung in der Regel über die gesamte Vertragslaufzeit dort stehen, schreibt Finanztest. Wird der Kunde zum Beispiel mit 50 berufsunfähig, prüft der Versicherer, ob er im dann ausgeübten Beruf nicht mehr arbeiten kann. Wichtig sei daher eine Nachversicherungsgarantie, da für Schüler anfangs höchstens 1.000 bis 1.500 Euro Monatsrente vereinbart werden könnten.

Was ein BU-Sachverständiger davon hält

„Erhebliche Mängel an der Grundlage, den notwendigen Ausführungen und der Anbieterauswahl“, so bewertet Versicherungsmakler Bert Heidekamp, zugleich Analyst sowie geprüfter und zertifizierter Sachverständiger für Berufsunfähigkeits-, Unfall- und Pflegeversicherungen, den Finanztest zur Schüler-BU kürzlich in einem Branchendienst.

Bei einigen Kriterien für eine Schüler-BU wie Nachversicherungsgarantien versagt die Stiftung Warentest in Gänze, so Heidekamp. „Es muss schon differenziert werden, ob die künftige Berufsgruppe oder die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses dann gilt und welche Einschränkungen oder Voraussetzungen bei der Ausübung der Option enthalten sind,“ stellt Heidekamp auf Nachfrage von procontra klar und damit die Finanztest-Aussage vom „ewigen Schüler“ in Frage. „Nur einen Ausschnitt zu bewerten, dies könne die Grundlage für eine Entscheidung verfälschen, insbesondere wenn auf Nachteile nicht hingewiesen wird“, warnt Heidekamp den Leser.

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Intransparente Testmethodik lässt Verbraucher allein

Für die längste Zeit des BU-Vertrages hat der anfängliche Schüler meist unterschiedliche Tätigkeiten und berufliche Stellungen. Gefestigte Erwerbsbiographien wie die der Eltern und Großeltern werden wohl eher die Seltenheit sein. Was ist, wenn der Versicherte Beamter, Freiberufler oder Selbstständiger wird? Unternehmern und auch leitenden Angestellten mit Direktions- und Weisungsbefugnis drohten unter anderem Fallen bei der Umorganisation, soweit die Bedingungen es vorsehen.

Es sollten insbesondere auch Fragen zur Dienstunfähigkeit (bei Beamten) und den besonderen Anforderungen an eine BU-Absicherung bei einer denkbar künftigen selbstständigen oder freiberuflichen Tätigkeit berücksichtigt werden, betont Heidekamp. „Es ist bei Finanztest aber nicht erkennbar, ob bei Bezugnahme auf den „großen“ BU-Test eine DU-Klausel schon für Schüler mitversichert ist“, bemängelt der Sachverständige.

Keine Aussagen zu temporären Regelungen und Teilzeitklausel

Ein weiteres Beispiel für unklare Testmethodik: Auch temporäre Regelungen, die nach dem Schulabschluss wichtig werden könnten, sollten berücksichtigt werden. „Diese können für Auszubildenden und Studenten unterschiedlich ausfallen und sind genauer zu berücksichtigen“, merkt der Analyst an. So versichern einige Versicherer nur die Ausbildungsunfähigkeit, andere dagegen den Zielberuf. Auch dazu gibt es keine Bewertung im Test.

Neue Klauseln, wie die „echte Teilzeitklausel“, die es seit 2019 gibt, bleiben beim Test komplett unberücksichtigt, kritisiert Heidekamp. „Die Regelungen dazu sind sehr unterschiedlich im Markt und gehören bewertet“, stellt der Makler klar. Unberücksichtigt blieb auch, dass manche Versicherer den BU-Fall schon anerkennen, wenn durch einen gesetzlichen Träger eine volle Erwerbsunfähigkeit anerkannt wird. Der Zeitpunkt kann da variieren. „Es ist schon ein Unterschied, ob ein Versicherer dies erst ab dem 55. Lebensjahr anerkennt oder ohne Alters- und Laufzeiteinschränkungen“, merkt Heidekamp an. Es werde zwar in der Ausgabe 05/2021 darauf hingewiesen, aber ein Hinweis zum Unterschied fehle in den Tabellen.

Wie Leser Finanztest in die Haftung nehmen könnten

Heidekamp, der auch die Online-Plattform fairtest.de betreibt und sich Meriten bei der Bewertung von Versicherungstarifen erworben hat, greift die Stiftung Warentest auch in der Haftungsfrage an. Anders als Berater muss die Stiftung für ihre Testergebnisse bislang nicht haften, weil sie keinen individuellen Rat erteilt. „Sinnvoll wäre in Finanztest-Artikeln ein Hinweis, dass der Testbericht keine abschließende Beratung mit einem unabhängigen spezialisierten Vermittler oder Berater ersetzt, wo auf den individuellen Bedarf eingegangen werden kann“, schlägt Heidekamp vor.

Bislang aber könnte der Leser annehmen, dass nach dem Testbericht kein weiterer Beratungsbedarf besteht. Problematisch wird dies erst im BU-Fall. Wenn es später Probleme mit der Anerkennung durch den Versicherer gibt, könnte man bei der jetzigen Verfahrensweise „eventuell auf eine Haftung der Stiftung zurückgreifen, denn ihre Empfehlungen sind womöglich denen eines Gutachters gleichzusetzen“, meint der Analyst.

Seine Begründung: Wenn der Kunde dem Urteil eines Gutachters glaubt, wird er in der Regel diesem Urteil folgen. Wenn der Leser auch den Empfehlungen des Tests folgt, der aber erhebliche Mängel und Fehler enthält, stellt sich die Frage, inwieweit die Stiftung Warentest gegenüber dem Kunden haftet. Es liege zwar kein Vertragsverhältnis zwischen dem Leser und der Stiftung vor (außer gegebenenfalls ein Abo), aber: „Die Markposition, Marktmacht und der Auftritt der Stiftung Warentest haben so einen großen Einfluss auf die Entscheidung des Kunden, so dass ohne diesen Einfluss der Vertrag zwischen dem Versicherer und dem Kunden wohl nicht zustande gekommen wäre.“

E-Mail an Finanztest schreiben

Der Beweis, dass man die Entscheidung nur aufgrund der Empfehlung der Stiftung Warentest getroffen hat, ist schwer zu führen, räumt Heidekamp ein. Aus diesem Grund rät er, der Stiftung eine E-Mail zu schreiben, dass der Vertragsschluss aufgrund des konkreten Testberichts in Finanztest erfolgte und um eine schriftliche Bestätigung des Posteingangs zu bitten. Zudem sollte dies auch im Versicherungsantrag beim Versicherer vermerkt werden. Dann bestehe zumindest eine kleine Chance, spätere BU-Leistungseinbußen aufgrund gravierender Test-Mängel einzuklagen.

Makler, die selbstverständlich für ihren Rat haften und Sachkunde und Berufshaftpflichtversicherung besitzen, favorisieren im BU-Bereich insbesondere Angebote von Alte Leipziger, Nürnberger und Swiss Life, aber auch von Volkswohl Bund, LV 1871 und Allianz, ergab kürzlich die Studie „BU/Arbeitskraftabsicherung 2021“ der BBG Betriebsberatung.

Das neue BU-Rating von Morgen & Morgen bescheinigt der Branche gute handwerkliche Arbeit bei den Bedingungen. Genannt wurden auch wichtige Marktdaten. Demnach bekommen derzeit rund 267.000 Kunden eine BU-Leistung – im Schnitt sieben Jahre lang. Typisches Alter beim BU-Eintritt sind 44 Jahre, Tendenz fallend.

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