Lebensversicherung: Wem steht die Dynamikvergütung zu?

Dynamikerhöhungen in der Lebensversicherung gelten stets als neuer Vertrag. Der aktuelle Vermittler würde sie gern auf seinem Konto sehen. Der frühere Abschlussvermittler aber auch, da ja nur wegen der ursprünglichen Police Dynamikvergütung fließt.

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06:04 Uhr | 21. April | 2020
Steigt der Beitrag zu einer Lebensversicherung wegen Dynamikvereinbarung, fließt auch neue Abschlussvergütung. Meist sprechen Gerichte dem Ursprungsvermittler das Geld zu.

Steigt der Beitrag zu einer Lebensversicherung wegen Dynamikvereinbarung, fließt auch neue Abschlussvergütung. Meist sprechen Gerichte dem Ursprungsvermittler das Geld zu. Bild: Gerd Altmann / Pixabay

Kürzlich schreckte die Zeitschrift Finanztest mit der Meldung auf, dass manche Versicherer bei Lebensversicherungen mit Dynamik den Erhöhungsbeitrag mit deutlich niedrigerem Garantiezins versehen als bei Vertragsabschluss. So auch bei der Debeka, wo dies bei Privatrenten seit Anfang 2017 so gehandhabt wird. Das erfolge auf Basis der vertraglichen Vereinbarungen in den AVB, antwortete die Debeka auf procontra-Nachfrage (procontra berichtete).

Ärger ganz anderer Art verursacht die dynamische Beitragserhöhung von Lebensversicherungen oft bei den Vermittlern. „Bei Dynamikvereinbarung gehört die Courtage dem Abschlussvermittler“, sagt Wilfried E. Simon, Versicherungsmakler, Dozent für Versicherungsrecht und Vorstandschef der Interessengemeinschaft Deutscher Versicherungsmakler (IGVM). Doch wäre es nicht fairer, sie dem betreuenden Vermittler gutzuschreiben? „Nein, denn die Dynamikcourtage ist Abschlusscourtage mit aufschiebend bedingter Wirkung und steht ausschließlich dem Abschlussvermittler zu“, stellt Simon klar (procontra berichtete).

Dynamikvergütung gehört dem Abschlussvermittler

Hintergrund: Dynamische Anpassungen von Leistung und Beitrag stellen jeweils einen eigenständigen Vertrag dar. Der kommt nur dann zustande, wenn der Kunde der Anpassung nicht widerspricht. Sie wird in der Regel vom Vermittler bei Abschluss des Vertrages beantragt und ist somit eine aufschiebend bedingte – also verzögerte – Erhöhung des Beitrages, die dem Kunden jeweils zur Hauptfälligkeit vom Versicherer angeboten wird. Bei gebundenen Vermittlern ist sie sogar dann noch zu zahlen, wenn der Agenturvertrag bereits beendet ist, entschied das OLG Köln bereits 2003 (Az.: 19 U 39/02).

Jüngere Urteile haben den Grundsatzstreit nicht eindeutig geklärt. Das betrifft auch die Frage, ob dem ursprünglichen Abschlussvermittler des dynamisierten Vertrages die Provision für die nach seinem Ausscheiden aus den Diensten des Versicherers oder Vertriebes eintretende dynamische Erhöhung zusteht. „Das OLG Nürnberg hat einen solchen Anspruch verneint, das OLG Köln und das OLG Karlsruhe haben ihn bejaht“, schreibt Rechtsanwalt Wolf Kindervater, zuständig für Financial Services - Tax & Legal Insurance beim Wirtschaftsprüfer Price Waterhouse Cooper (PWC), in einem Blog-Beitrag.

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OLG Nürnberg und BGH sehen es unter Umständen anders

Das OLG Nürnberg hatte dazu argumentiert, dass der Kunde nicht endgültig gebunden sei und es in seiner freien Entschließung stehe, die Dynamik anzunehmen oder nicht. Daher sei in dem ursprünglich vermittelten Vertrag noch keine „Erhöhungsautomatik“ angelegt. Die anderen beiden Obergerichte sahen – wie Simon - in der Dynamikprovision eine verzögert zur Auszahlung kommende Abschlussprovision (gemäß Paragrafen 92 Absatz 1 sowie 87 Absatz 1 HGB). Das gelte auch dann, wenn der Kunde der Dynamisierung noch widersprechen könne. Dem hat sich das OLG Frankfurt/Main mit Urteil vom 3. Dezember 2019 angeschlossen (Az.: 16 U 109/17).

Das Urteil stammt eigentlich schon aus dem Jahr 2018 und ging anschließend in die Revision vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dort wurde mit Urteil vom 20. Dezember 2018 entschieden, dass Dynamikprovisionen im Zweifel verzögert ausgezahlte Abschlussprovisionen sind (Az.: VII ZR 69/18). Damit wurde im Prinzip die Rechtsauffassung der Oberlandesgerichte Köln, Karlsruhe und Frankfurt/Main bestätigt.

Allerdings verwies der BGH den Fall dann doch an das OLG Frankfurt/Main zurück, um weitere Beweise zu erheben. Ergebnis vor dem OLG: Es habe ein „gemeinsames Verständnis“ gegeben, dass die Dynamikprovisionen nicht über das Vertragsende hinaus fortgezahlt werden solle. Daher wurde der Anspruch auf Fortzahlung von Dynamikprovisionen über das Ende des Vertretervertrages hinaus verneint.

Im Vertretervertrag auf Verzichtsklausel achten

Begründung: Dynamikprovisionen seien auch von dem Maklervertrieb, für welchen der Vertreter zuvor tätig war, nicht gezahlt worden. Die Dynamikprovisionen nach Ausscheiden eines Vertreters würden an die beim Maklervertrieb verbleibenden Vertreter gezahlt, welche die Verträge betreuen. Das gelte laut OLG aber nur, weil Vertreter und Maklervertrieb keine hiervon abweichende Regelung haben treffen wollen.

„Angesichts dieser Entscheidungsgründe kann für Versicherer und Vertriebe weiterhin keine Entwarnung gegeben werden“, meint PWC-Mann Kindervater. Vielmehr sei zu erwarten, dass die Streitigkeiten irgendwann in die nächste Runde gehen. „Zeitnah sollte eine Provisionsverzichtsklausel in die Vertreterverträge implementiert werden“, rät Kindervater. Das ist auch wichtig für Maklerbetriebe, die mit Handelsvertretern kooperieren. Mit solchen Provisionsverzichtsklauseln lassen sich unter Umständen jahrzehntelange Abrechnungen von Abschlussvergütungen vermeiden.

Das Problem für die Branche insgesamt bleibt aber ungelöst: Eine Vielzahl von Versicherern und Vertrieben zahlten und zahlen die Dynamikprovisionen nicht an den ursprünglichen Abschlussvermittler, sondern an den Bestandsbetreuer zum Zeitpunkt der dynamischen Erhöhung des Versicherungsvertrages. Trotz der jüngsten Urteile bleibt die Gefahr, doppelt zahlen zu müssen. Vor allem Vertreter, die keinen Ausgleichsanspruch bei Kündigung ihres Agenturvertrages bekommen, dürften großes Interesse haben, weiter Dynamikprovisionen zu beziehen.

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