Grundrente: Inhalt und Finanzierung in der Kritik
Sonntag vor einer Woche zauberte die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD (GroKo) eine Grundrente aus dem Hut. Im Schlepptau des Koalitionsbeschlusses, der procontra vorliegt, wurde auch eine geringfügige Entlastung bei der Doppelverbeitragung von Betriebsrenten in Aussicht gestellt (procontra berichtete).
Die Grundrente sieht ab 1. Januar 2021 eine Aufstockung der gesetzlichen Renten für Versicherte mit mindestens 35 Beitragsjahren vor, sofern sie durch die Einkommensprüfung kommen. Alleinstehende mit über 1.250 Euro (Paare: 1.950 Euro) monatlichem Gesamteinkommen erhalten demnach keine Grundrente. Nutznießer sind laut Beschluss vor allem jene 1,2 bis 1,5 Millionen Rentner, die 35 Beitragsjahre geleistet haben und deren Beitragsleistung unter 80 Prozent, aber über 30 Prozent des Durchschnittseinkommens liegt.
Inhaltliche Kritik an der Grundrente
Die Grundrente fällt bei vielen Experten durch. In einem Gutachten für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft kommt Franz Ruland, früherer Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger sowie bis 2013 Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung, wegen zahlreicher Mängel, Ungerechtigkeiten und Widersprüche zu dem Schluss: „Die Grundrente, so wie sie jetzt geplant ist, wird nicht Gesetz.“
Ruland hält den Koalitionsbeschluss für verfassungswidrig, ineffizient und ungerecht. Die fünf wichtigsten Kritikpunkte:
Im besten Fall würden Rentenansprüche von 300 Euro künftig um 507 Euro pro Monat aufgestockt – ohne entsprechende Beitragszahlung von 115.000 Euro pro Fall. „Ein Rentner mit einer beitragsfinanzierten Rente gleicher Höhe könnte zu Recht fragen, warum er die hohen Beiträge gezahlt hat, wenn er die gleiche Leistung großenteils hätte umsonst bekommen können“, so Ruland. Dies wäre ein nicht zu unterschätzender Anreiz, nur das Minimum an Arbeit legal zu erbringen und den Rest schwarz, denn jeder Euro Verdienst mehr mindert die Grundrente.
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Finanzierung der Grundrente nicht gesichert
Die Grundrente soll aus Steuern und ohne Beitragserhöhung in der Rentenversicherung finanziert werden. Entsprechend dazu soll der Bundeszuschuss in der allgemeinen Rentenversicherung erhöht werden – in Höhe von 1,4 Milliarden Euro jährlich ab 2021. Refinanziert werden soll dies durch die Einführung der Finanztransaktionssteuer (englisch financial transaction tax, kurz: FTT) in Höhe von 1,0 Milliarden Euro sowie 400 Millionen Euro aus dem Haushalt des Bundesarbeitsministeriums (BMAS), die dort zu Einsparungen an anderer Stelle führen müssten (procontra berichtete).
Die Grundrente ist somit nicht seriös finanziert, also derzeit eine Luftbuchung. Denn die FTT gibt es noch gar nicht und würde nach gegenwärtigem Stand am Veto weiter Teile der Union scheitern. Zur Erinnerung: Eine solche Steuer will Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) nun im nationalen Alleingang einführen, obwohl die Bestrebungen in der EU zur FTT bisher gescheitert sind. Die Geschichte der FTT ist zwiespältig und ordnungspolitisch ein Desaster.
Die FTT kam verstärkt ab 2012 ins Gespräch, damit der Finanzsektor seinen fairen Beitrag zu den EU-Hilfen als Folge der Finanzkrise leistet. Der Steuersatz sollte 0,1 Prozent auf den Handel von Aktien und Anleihen und 0,01 Prozent für Derivate von Aktien und Anleihen betragen. Geblieben sind nur noch zehn Länder, die Interesse an der FTT-Einführung haben: Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Österreich, Portugal, Slowakei, Slowenien und Spanien.
FTT: Verheerende Wirkung auf viele Altersvorsorgeprodukte
Nun soll die Steuer nicht mehr für Derivate, andere toxische Papiere (die vor 12 Jahren für die Finanzkrise mitverantwortlich waren) und Anleihen gelten, sondern nur noch für Aktien. Scholz will da gleich mit 0,2 bis 0,3 Prozent pro Transaktion zuschlagen. Das ist nichts anders als eine Aktienumsatzsteuer. Wer also für 10.000 Euro Dax-Papiere kauft, würde dann zwischen 20 und 30 Euro an den Finanzminister abzweigen müssen – zusätzlich zu den Kosten für Bank, Broker und Depot.
Auch auf das Fondssparen, mit dem viele Kleinanleger ihre Altersvorsorge verbessern möchten, will Scholz dann einem Medienbericht zufolge zugreifen, unter Umständen sogar auf Riester- und Rürup-Verträge, die in Aktien investieren. Betroffen wären auch Aktienfonds und passive Exchange Traded Funds (ETF), zudem Lebensversicherungen, die in Aktien investieren.
Im Koalitionsvertrag ist allerdings nur von einer Einführung der FTT „im europäischen Kontext“ die Rede. Ein deutscher Alleingang bei der FTT würde aber den Finanzplatz Deutschland schwächen, den die GroKo laut Koalitionsvertrag stärken will. Er wäre auch verheerend für die betriebliche und private Altersversorgung.
Mit Hilfe der EZB zur Rettung Südeuropas wurden die Zinsmärkte politisch manipuliert und damit sichere Altersvorsorgeformen unattraktiv gemacht (procontra berichtete). Nun würden auch Aktienanleger (und damit auch Sozialpartnermodelle, Pensionsfonds oder sonstige fondsgebundene bAV-Lösungen) zur Ader gelassen, obwohl es der deutschen Altersversorgung schon jetzt wegen zu geringer Kapitaldeckung an Zukunftsfestigkeit mangelt, wie eine DAI-Studie zeigt.
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