Erwerbsminderung: Rentenzuschlag ja, aber erst ab 2024
Die versicherte BU-Rente ist oft zu knapp bemessen. Im Schnitt 1.000 Euro Monatsrente sind es bei 2020 neu abgeschlossenen BU-Verträgen, bei älteren Policen noch weniger. Der Absicherungsbedarf steigt zudem oft im Laufe des Lebens, zumal in jungen Jahren häufig mit „Starter-Policen“ begonnen wird, um Schülern, Studenten und Berufsanfängern mit sehr günstigen Beiträgen zum BU-Schutz zu verhelfen.
Zum Glück haben insbesondere Arbeitnehmer auch Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV): die Erwerbminderungsrente. Wer aus gesundheitlichen Gründen weniger als sechs Stunden arbeiten kann, bekommt sie wegen teilweiser Erwerbsminderung (EM), bei weniger als drei Stunden Leistungsvermögen wegen voller EM. Voraussetzung: Man war mindestens fünf Jahre in der GRV versichert und hat in den letzten fünf Jahren vor dem EM-Fall mindestens 36 Monate Pflichtbeiträge gezahlt.
Bislang wurde EM-Leistung nur für Neurentner erhöht
Unterm Strich ergibt das für Neurentner 2021 eine Durchschnittsrente von 972 Euro netto (nach Abzug von Kranken- und Pflegebeitrag) vor Steuern bei voller EM, berichtet Christoph Schnell von der Abteilung Rechts- und Fachfragen der DRV Bund jüngst bei einem DRV-Fachseminar in Berlin. Bei teilweiser EM seien es monatlich 917 Euro bei Neurentnern.
Seit 2019 entspricht die Höhe dieser vorgezogenen Rente dem, was Bezieher an Altersrente bekämen – unter der fiktiven Annahme, dass sie bis zur regulären Altersgrenze in dem zuvor üblichen Umfang Sozialbeiträge gezahlt hätten. Bis 2014 hatte sich der Anspruch an der Grenze für den frühestmöglichen Renteneintritt orientiert (häufig mit 60), was mit Abschlägen von 10,6 Prozent verbunden war.
Mit solchen „Zurechnungszeiten“ wird die EM-Rente also bereits seit 2014 aufgefüllt: Für Neurentner stieg die Altersgrenze ab Juli 2014 von 60 auf 62 Jahre, für Neurentner ab 2019 dann von 62 auf 65 Jahre und acht Monate. Diese Reformen begünstigten jedoch nur neue EM-Rentner.
Erhöhung kommt auch für den Bestand
Nun wurde ein Gesetzespaket im Zusammenhang mit der turnusmäßigen Rentenerhöhung zum 1. Juli 2022 beschlossen, wonach auch EM-Bestandsrentner pauschaliert Zuschläge auf ihre EM-Rente bekommen sollen:
Diese Zuschläge sollen auch für Bezieher von Witwen- und Waisenrenten gelten. Ein Antrag auf die Erhöhung sei nicht notwendig. Begünstigt sind laut Schnell rund 1,4 Millionen EM-Rentenfälle, weitere 1,3 Millionen Fälle, bei denen im Anschluss an die EM-Rente eine Alters- oder Hinterbliebenenrente gezahlt wird sowie 400.000 Fälle von Hinterbliebenen, bei denen der Verstorbene noch keine Rente bezogen hatte.
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Persönliche Entgeltpunkte entscheiden
„Basis der EM-Rentenerhöhung sind die persönlichen Entgeltpunkte am Stichtag 30. Juni 2024“, sagt Schnell. Dennoch erfordere die pauschale Zuschlaglösung keine „Detailprüfung der individuellen Rentenkonten und demnach auch keine anschließende Neuberechnung der Rente“. Von Vorteil sei auch, dass bis zum Sommer 2024 die Angleichung der Renten in Ost und West abgeschlossen sein soll.
Fazit: Der Bestand an EM-Renten ist weiter nicht einheitlich. Das neue Gesetz sei ein Kompromiss aus sozialpolitisch Wünschenswertem, finanziell Machbarem und verwaltungstechnisch Umsetzbarem. Die DRV Bund rechnet mit jährlich 2,6 Milliarden Euro Mehrausgaben ab 2025.
Reform macht BU-Beratung nicht entbehrlich
Unterm Strich dürften die monatlichen Zuschläge häufig weniger als 100 Euro ausmachen. Damit bleibt Versicherungsmaklern noch ausreichend Potenzial für die Beratung zu privaten Absicherungen der Arbeitskraft, insbesondere zur BU-Versicherung. Ohne Einbeziehung der EM-Rente kam das Analysehaus Morgen & Morgen im vergangenen Jahr auf diese häufigen BU-Rentenhöhen: Von allen potenziellen Kunden haben 41 Prozent eine BU-Monatsrente zwischen 501 und 1.000 Euro ins Auge gefasst, weitere 29 Prozent eine Höhe zwischen 1.001 und 1.500 Euro sowie 16,5 Prozent zwischen 1.501 und 2.000 Euro. Nennenswert sind noch 7,3 Prozent mit einer Rente zwischen 2.001 und 2.500 Euro.
Die richtige BU-Rentenhöhe richtet sich nach den individuellen finanziellen Verhältnissen und der persönlichen Risikoneigung. „Auf der einen Seite ist es sinnvoll, dass BU-Risiko abzusichern, doch auf der anderen Seite ist der Abschluss einer BU-Rente nur die halbe Miete“, sagt Finanzanalytiker Volker Looman.
Wenn es an Zeit und Einkommen für Zusatzvorsorge fehlt
Zu Recht weist er auf ein Problem hin, auf das häufig in der Beratung keine Antwort gefunden wird: Im Regelfall endet die BU-Leistung spätestens mit 67. Das wirft die Frage auf, wie es ab 67 weitergehen soll. „Wer mit 38 oder 40 gesundheitlich aus der Kurve fliegt, wird wohl oder übel dem Staat im Alter auf der Tasche liegen, prognostiziert Looman.
Die Versorgung im Alter würde zusätzlich zum EM- und BU-Schutz eine auskömmliche Altersvorsorge erfordern. „Doch woher nehmen und nicht stehlen?“, fragt der Analytiker rhetorisch, wenn zuvor EM-Rente und im günstigsten Fall noch BU-Rente bezogen wurde, aber kein weiteres Einkommen zur Altersvorsorge verfügbar war.
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