BSV: Nächster Lockdown, nächster Versicherungsfall?
Der weitestgehend heute gestartete zweite Lockdown hierzulande wird voraussichtlich zu einer zweiten Welle an versicherten Schäden in der Betriebsschließungsversicherung (BSV) führen. Dass schätzt der Hamburger Fachanwalt für Versicherungsrecht, Stephan Michaelis. „Der erste im März eingetretene Versicherungsfall ist bei den meisten Betrieben abgeschlossen, nachdem diese zwischenzeitlich wieder öffnen durften und geöffnet hatten. Bei der erneuten behördlichen Anordnung der Betriebsschließung durch Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung handelt es sich demnach um einen neuen Versicherungsfall“, schreibt der Jurist in seinem Newsletter. Seine Kanzlei hätten in den letzten Tagen zahlreiche Anfragen von Betroffenen und Maklern erreicht.
In seinen Antworten auf die häufigsten Fragen geht Michaelis mit den BSV-Anbietern gewohnt hart ins Gericht. Im Sommer hatte der Fachanwalt manchen Versicherern sogar die Erpressung ihrer Kunden vorgeworfen. Dabei stünden die Chancen der Gewerbetreibenden vor Gericht ziemlich gut. In zwei kürzlichen Urteilen vor dem Landgericht München waren die Versicherungsnehmer jeweils siegreich und erhalten nun sechsstellige und sogar siebenstellige Schadenzahlungen aus ihren BSV-Policen.
„Versicherer agieren aktuell taktisch“
Doch die Versicherer würden nun versuchen, die öffentliche Meinung zu drehen. Dies geschieht, laut Michaelis, einerseits durch das Hervorheben von Urteilen, in denen die Versicherer siegreich waren, etwa vor dem OLG Hamm oder bei der abgewiesenen Klage einer Kindertagesstätte. Diese Klagen seien aber aus anderen Gründen gescheitert und nicht an der Kernfrage, ob die Corona-bedingten Schließungen versichert sind, erklärt der Anwalt.
Andererseits würden die Versicherer versuchen – sofern sich für sie negative Urteile abzeichnen – kurz vor den gerichtlichen Entscheidungen entsprechende Vergleiche mit den Klägern zu ziehen und diese damit vertraglich zum Stillschwiegen zu verpflichten. Damit weist Michaelis auf das Verfahren der Allianz gegen die berühmte Gaststätte „Paulaner am Nockherberg“ hin, die kürzlich mit einem abrupten Vergleich geendet hatte.
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Den Gewerbetreibenden, die nun vom erneuten Lockdown betroffen sind, empfiehlt Michaelis, den Eintritt dieses neuen Schadenfalls auch wieder dem Versicherer zu melden. Es bestehe eine erneute Anzeigeobliegenheit, mahnt der Versicherungsrechtler. Dabei sollte jede betroffene Betriebsstätte als eigener Schadenfall gemeldet werden.
Außerdem müsse der Versicherungsvertrag mit Eintritt des Schadenfalls – also am heutigen 02.11.2020 – noch bestehen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Denn einige Versicherer haben nach dem ersten Lockdown von ihrem Sonderkündigungsrecht gemäß § 92 VVG Gebrauch gemacht. Dies würde nach dem allgemeinen Verständnis eigentlich den Eintritt des Versicherungsfalles anerkennen. Manche BSV-Anbieter vertreten derweil die Ansicht, dass für die Sonderkündigung lediglich die Schadenmeldung, nicht aber ein tatsächlicher Versicherungsfall vorliegen muss. Diese rechtliche Auffassung ist aber umstritten und juristisch noch nicht abschließend geklärt. Aus Michaelis Sicht spricht deshalb vieles dafür, dass auch bereits gekündigte Policen immer noch aktiv sind.
Klauseln und Vergleiche könnten unwirksam sein
Bei Vertragsänderungen sowie Neuabschlüssen von BSV-Verträgen direkt nach der Aufhebung der vorherigen Police mahnt Michaelis zur Vorsicht. Dadurch könne der Versicherungsschutz für Schäden aus dem aktuellen zweiten Lockdown verlorengehen. Kritisch sieht er zudem Klauseln, die wiederholte Corona-Schäden ausschließen sollen. Diese seien häufig nicht klar genug definiert. Beispielsweise sei bei einer solchen Klausel der Alten Leipziger unklar, auf welchen Zeitraum sich der Ausschluss beziehe.
Auch wer bereits einem Vergleich zugestimmt hat, solle jetzt einen erneuten Schadenfall melden. Zwar würde der „Bayerische Kompromiss“ häufig vorgeben, dass mit dem Vergleich auch zukünftige Covid-19-Ansprüche ausgeschlossen sind. Dabei legen die Versicherer aber zugrunde, dass es sich dabei um eine freiwillige Kulanzleistung handle, da für sie keine Leistungspflicht bestehe. Sollte sich diese Annahme aber durch die Rechtsprechung verändern (also durch viele Urteile zugunsten der Gewerbetreibenden), so hält es Michaelis für gut möglich, dass die getroffenen Abfindungsvereinbarungen unwirksam sind, da sich die Betroffenen in Kenntnis der tatsächlichen Sachlage nicht für den Vergleich entschieden hätten.
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