Bürokratie

Versicherer präsentieren Vorschläge gegen europäische Regelwut

Die Versicherer sehen die Fülle an Regeln und Auflagen auf europäischer Ebene kritisch und präsentieren konkrete Vorschläge, wie sich die Regulierung reduzieren lässt. Dies soll letztlich auch den Kunden zu Gute kommen.

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12:06 Uhr | 11. Juni | 2024
Bürokratie

Der Versichererverband GDV macht sich für die Reduzierung bestehender Regularien auf europäischer Ebene stark. Dazu hat der Interessenverband einige konkrete Vorschläge vorgelegt.

| Quelle: Westend61

Europa hat gewählt. „Das proeuropäische Zentrum ist geschwächt, hat aber gehalten“, zog GDV-Hauptgeschäftsführer am Dienstag bei einem Pressegespräch ein positives Fazit aus der Europawahl. Auch wenn europaskeptische Parteien Sitze dazugewonnen haben, verfügten proeuropäische Parteien weiterhin über eine Mehrheit im Parlament, um dringende Themen umzusetzen. Darunter falle nicht nur die Sicherheit des Kontinents und die Verteidigung der Ukraine, sondern auch eine Antwort auf die Frage, wie Europa wieder wettbewerbsfähig werden könne. Maßgeblich hierfür ist aus Sicht der deutschen Versicherungswirtschaft eine Verbesserung der Kapitalmarktunion, beispielsweise durch eine Harmonisierung des Insolvenzrechts, bessere Finanzierungsstrukturen für Start-ups und kritische Infrastruktur, aber auch durch eine effizientere Regulierung.

Regel-Dschungel

Womit wir beim Thema des Pressegesprächs wären: Denn die deutschen Versicherer wünschen sich weniger, dafür effizientere Regeln. „Leider ging es in dieser Hinsicht in den vergangenen fünf Jahren in die falsche Richtung“, blickte Christoph Jurecka, Vorsitzender des GDV-Präsididalausschusses für Unternehmenssteuerung und Regulierung, zurück. So habe es zwischen 2019 und 2024 insgesamt 77 Rechtsakte gegeben, die die Versicherungsbranche beträfen. Hinzu kämen 55 untergesetzliche Regelungen sowie rund 2.000 Hilfestellungen der europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA . Hinzu kommen weitere Regularien, beispielsweise im Hinblick auf die Digitalisierung oder die Künstliche Intelligenz, die nicht explizit an die Branche gerichtet seien, diese aber dennoch betreffen.

Hoher Aufwand und hohe Kosten für die Unternehmen

Viele der Regeln würden einen hohen Aufwand und hohe Kosten für die Unternehmen mit sich bringen. Kosten, die auf die Kunden umgelegt werden müssten. Zudem wären die Unternehmen gezwungen, ihre Kapazitäten in die Umsetzung der neuen Anforderungen zu investieren, anstatt diese für die Stärkung ihrer Wettbewerbungsfähigkeit nutzen zu können. 

Bereitschaft, Regularien zu überarbeiten

Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Die Bereitschaft, diese Regularien zu überarbeiten, meint Jurecka bei den Handelnden erkannt zu haben. So hatte die derzeitige und voraussichtlich auch zukünftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits im vergangenen Jahr verlautbaren lassen, die Berichtspflichten der Unternehmen um 25 Prozent verringern zu wollen. „Wir müssen hier konkret werden“, forderte Jurecka. Der GDV hat in diesem Zusammenhang mehrere Vorschläge veröffentlicht, wie aus seiner Sicht die bestehende Regulierung effizienter gestaltet werden kann. Das am Dienstag veröffentliche Programm besteht dabei aus 5 Handlungsfeldern mit insgesamt 18 kurz- und mittelfristigen Maßnahmen.

Nachhaltigkeitsberichterstattung

Als Beispiel nannte Jurecka die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (kurz: CSRD) verpflichtet die EU große Unternehmen, über die Berücksichtigung und den Umgang mit sozialen und ökologischen Herausforderungen zu berichten. Damit soll vor allem die Transparenz erhöht werden, um die Umlenkung von Investitionen in nachhaltige Technologien und Unternehmen zu fördern.

„Bei der CSRD-Neuregelung ist es dem Regulator leider nur sehr eingeschränkt gelungen, sich auf die wirklich relevanten Inhalte und Kennzahlen zu begrenzen“, bemängelte Jurecka. Die ersten CSRD-Berichte für das Geschäftsjahr 2024 dürften somit sehr umfangreich werden. 

Nutzen für Verbraucher fraglich

Der Nutzen für den Verbraucher bleibe aufgrund der Masse an Informationen fraglich, sagte Jurecka, der von einem „information overload“ sprach. Hinzu komme, dass zahlreiche Definitionen nicht eindeutig genug seien, so dass auch die Vergleichbarkeit leide.

Da das Regelwerk zur Nachhaltigkeitsberichterstattung noch nicht abgeschlossen ist, schlägt der GDV vor, zu prüfen, ob weitere sektorspezifische Berichtsstandards notwendig sind. „Wenn das so ist, sollten Überschneidungen zwischen den sektorübergreifenden und -spezifischen Standards unbedingt vermieden werden“, sagte Jurecka. Zugleich macht sich der GDV dafür stark, die Komplexität und den Umfang der Berichte zu reduzieren und für einheitliche Standards zu sorgen.

Abschaffung der Solvenzberichte

Auch bei den Solvabilitätsberichten sieht der GDV Nachbesserungsbedarf. So müssen die Versicherer die Öffentlichkeit in ihren SCFR-Berichten jährlich über die Finanzlage des Unternehmens informieren. Das Interesse hält sich offenbar in Grenzen. Im Schnitt würde der jeweilige Bericht neun Mal im Monat von den Seiten der jeweiligen Seiten heruntergeladen, hat der GDV in einer Umfrage im Februar dieses Jahres ermittelt. Wohl auch, weil die Berichte den Verbraucher überfordern. „Der Bericht ist für Verbraucher aufgrund seiner Länge und Detailtiefe ungeeignet“, so Jurecka, der für eine Abschaffung der Solvenzberichte plädierte. Hilfreicher ist aus seiner Sicht  allein die Veröffentlichung der Solvenzquote, garniert mit einigen wenigen Erläuterungen.

Dass die Europäische Union sämtliche der nun veröffentlichen Vorschläge übernehmen wird, glauben auch die deutschen Versicherer nicht. „Wichtig ist es aber, dass wir in die richtige Richtung losmarschieren“, postulierte Jurecka.