Gutachten zur Altersvorsorgepflicht für Selbstständige

Opt-out-Option hätte negative Folgen

Die Pflicht zur Altersvorsorge für Selbstständige ist im Koalitionsvertrag fest verankert. Demnach sollen Selbstständige sie nur über eine bewusste Entscheidung via Opt-out ablehnen können. Ein Gutachter kritisiert diese Abwahl-Option scharf.

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17:08 Uhr | 08. August | 2023
Ungerechtigkeit

Selbstständigen die Abwahlmöglichkeit bei der Altersvorsorge zu lassen, habe nachteilige Konsequenzen, warnt ein Rechtsgutachter.

| Quelle: francescoch

Noch immer ist unklar, wann die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige kommen wird. Auch die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, Gundula Roßbach, fordert sie – und zwar noch in dieser Legislaturperiode.

Im Koalitionsvertrag haben die Ampelparteien die Vorsorgepflicht bereits festgeschrieben. Darin heißt es: „Wir werden für alle neuen Selbstständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem unterliegen, eine Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit einführen.“ Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Zum einen will die Politik damit einer mangelhaften Altersabsicherung von Selbstständigen vorbeugen, zum anderen würde die Versicherungspflicht dieser Personengruppe der gesetzlichen Rente dringend benötigte Beiträge in die Kasse spülen.

Geht es nach den Plänen der Ampelkoalition, wären Selbstständige in der gesetzlichen Rentenversicherung künftig automatisch mitversichert. Es sei denn, sie entscheiden sich bewusst dagegen „im Rahmen eines einfachen und unbürokratischen Opt-Outs“.  

Genau dagegen argumentiert jedoch der Rechtswissenschaftler Daniel Ulber, Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er hat ein Rechtsgutachten mit dem Titel „Mindestabsicherung von Selbstständigen in der Rentenversicherung“ vorgelegt. In dem Papier, das im Auftrag der INPUT Consulting – Projekt „Haus der Selbstständigen“ bereits Ende Dezember vergangenen Jahres verfasst wurde, erklärt Ulber: „So sehr es nachvollziehbar ist, dass die leichtere politische Durchsetzbarkeit einer allgemeinen Rentenversicherungspflicht für sämtliche Selbstständigen, diesen Weg attraktiv macht, ist er doch nachteilig. Er ermöglicht weiterhin eine Risikoauslese zu Lasten des Solidarsystems.“

Das Gutachten des Rechtswissenschaftlers Professor Daniel Ulber wurde von der INPUT Consulting – Projekt „Haus der Selbstständigen“ in Auftrag gegeben. Ziel des Verbundprojekts Haus der Selbstständigen ist laut Eigenangaben die Stärkung der Interessenvertretung von Solo-Selbstständigen. Das Projekt wird im Rahmen der Förderrichtlinie „Zukunftszentren“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Europäische Union über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) gefördert. An dem Projekt der INPUT Consulting gGmbH sind die Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die Ludwig-Maximilians-Universität München (Institut für Soziologie) sowie die Universität Kassel (Fachgebiet Wirtschaftsinformatik und Systementwicklung) beteiligt.

Die Opt-out-Idee sei laut Ulber politisch motiviert: So versuche die Politik damit den Widerstand gutverdienender Freiberufler, die bereits in Versorgungswerke einzahlen, zu überwinden. Allerdings kann diese Personengruppe dann weiterhin von Finanzierungsvorteilen profitieren, die „Möglichkeit einer egoistischen Risikoauslese“ bleibe bestehen.

Dabei argumentiert Ulber allerdings nicht per se dagegen, Selbstständige in die obligatorische gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. „Die auf ihrer unterstellten wirtschaftlichen Stärke beruhende Annahme, dass Selbstständige (…) finanziell in der Lage (…) seien, sich für das Alter ausreichend abzusichern, ist nicht mit der tatsächlichen Situation von Selbstständigen in Einklang zu bringen.“ So verfüge fast die Hälfte der ehemals Selbstständigen im Alter über ein Netto-Einkommen von unter 1.000 Euro. Die wirtschaftliche Lage der Selbstständigen sei immer häufiger prekärer als die von abhängig Beschäftigten. Die Folge: Sie haben ein besonders hohes Risiko für Altersarmut.

Der Eingriff in die Handlungsfreiheit durch die Einbeziehung aller Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung sei dabei verfassungskonform, juristische Gründe sprechen nicht gegen die Altersvorsorgepflicht. „Es handelt sich letztlich um eine politische Entscheidung“, so Ulber.