Provisionsverbot: Dramatische Folgen im Königreich

Die Folgen für die Beratung zur Altersvorsorge sind nach Einführung des Provisionsverbotes in Großbritannien verheerend. Darüber berichten Verbraucherverbände leider nicht.

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10:07 Uhr | 25. Juli | 2022
Was die Beratung zu Vermögen und Altersvorsorge angeht, gehört die britische Flagge seit dem Provisionsverbot 2013 eigentlich auf Halbmast, denn nur ein Drittel der Bürger erhält noch Beratung. Bild: tintin75

Was die Beratung zu Vermögen und Altersvorsorge angeht, gehört die britische Flagge seit dem Provisionsverbot 2013 eigentlich auf Halbmast, denn nur ein Drittel der Bürger erhält noch Beratung. Bild: tintin75

Vorab das Ergebnis einer kürzlichen Yougov-Umfrage unter über 1.000 Menschen zwischen 18 und 79 im Auftrag von Swiss Life: 61 Prozent der Deutschen finden es zunehmend schwieriger, die richtigen Vorsorge- und Finanzentscheidungen zu treffen. Zudem sind mehr als die Hälfte finanziell nicht auf unerwartete Wendungen im Leben vorbereitet. „Die Studienergebnisse bestätigen, wie hoch der Beratungsbedarf in Deutschland ist“, sagt Jörg Arnold, CEO von Swiss Life Deutschland.

Spannend ist dabei, dass 45 Prozent der Umfrageteilnehmer in der Vergangenheit auch schon mindestens einmal eine wichtige finanzielle Entscheidung getroffen haben, die sie später gerne rückgängig gemacht hätten. Dabei hat rund ein Drittel sogar schon einmal eine größere Menge Geld verloren, weil er oder sie sich im Vorfeld nicht sorgfältig genug informiert hatte.

Rund ein Viertel würde sich nachträglich lieber beraten lassen. Das gilt gerade für 24 Prozent der Generation der Babyboomer (Jahrgang 1946 bis 1964) und 21 Prozent der Generation X (Jahrgang 1965 bis 1980). Millenials bevorzugen bislang eher eine Super-App. „Eine kompetente und empathische Beratung hat jedoch eine besondere Relevanz für die Altersversorgung, Absicherung und Vermögensaufbau in Deutschland“, so Arnold.

Desaster in Großbritannien durch Provisionsverbot

Unter diesen Vorzeichen überrascht eine neue Nachricht der britischen Finanzaufsicht FCA nicht: Seit Einführung des Provisionsverbots 2013 für Retail-Produkte samt kapitalbildender Altersvorsorge-Versicherungen tun sich für die Bewohner Großbritanniens erhebliche Beratungslücken auf. Die negativen Auswirkungen des Provisionsverbotes werden durch aktuelle Daten von 2021 im „Retail Investments Product Data Sales“ belegt, auf die die Bundesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Versicherungsmakler (BFV) hinweist. Mitglieder sind inzwischen zehn mittelständische Versicherer.

Ergebnis der FCA-Statistik: Die Beratungsquote in den meisten der neun Retail-Produktgruppen mit insgesamt 30 erfassten Retail-Anlagevehikeln seit Einführung des Provisionsverbots sinkt bzw. geht teilweise drastisch zurück. Rückschlüsse auf die Beratungsquote sind dadurch möglich, dass die FCA für Neuabschlüsse in den Produktgruppen jeweils gesondert „Advised-sales“ sowie „Non-advised sales“ erfasst. Erstere sind Abschlüsse durch Beratungen; letztere erfassen Vermittlungen, ‚Execution only‘ und den Direktvertrieb.

Beratungsquote zu Fonds und Altersvorsorge eingebrochen

Unternehmen, die im Vereinigten Königreich Produktabschlüsse bei Privatkunden oder Verbrauchern als ‚Retail Investments Product Sales Data‘ (PSD) an die FCA melden müssen, sind insbesondere Versicherer, Verwalter alternativer Investmentfonds (AIF) oder von Investmentfonds (OGAW), Betreiber von Investmentfonds-Sparplänen oder privaten Altersvorsorgeplänen. Für 2021 lieferten 238 Unternehmen Retail-PSD an die Aufsicht.

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Die Daten sprechen eine klare Sprache, so BFV-Koordinator Erwin Hausen. In UK sei die Beratungsquote bei Investmentfonds vom Maximum (67 Prozent 2009) auf mittlerweile nur noch konstante elf bis zwölf Prozent gefallen (= 56 Prozent Lücke). Die Schere zwischen „Advised Sales“ und „Non-Advised Sales“ sei erst mit der Einführung des Provisionsverbots ab 2013 aufgegangen.

Diese Tendenz ziehe sich durch weitere Produktgruppen: Bei „Personal Pensions“ – also der Gruppe diverser Altersvorsorgeprodukte – explodiert die Beratungslücke („Advice gap“) auf satte 66 Prozent, obwohl die britische Regierung zwischenzeitlich eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen hatte, um diesen fatalen Trend zur Altersvorsorge ohne Beratung zu brechen, (Rentenvorschüsse für Beratungshonorare; Steuergutschriften). Seit 2018 sinkt die Beratungsquote bis 2021 mit 34 Prozent wieder auf den schlechtesten Wert seit 2013.

Kein Hinwenden zu Honorarberatung, sondern keine Beratung bei 66 Prozent

Spannend: Das absolute Wachstum im Segment „Personal Pensions“ bei den Neuabschlüssen geht auch an den Honorarberaten vorbei. Der Zuwachs im Neugeschäft entfällt fast ausschließlich auf ‚Non-advised sales‘, im Beratungssegment ist das Neugeschäft rückläufig. „Anlegerschutz oder Beratungsqualität haben sich durch Einführung eines Provisionsverbotes für die Gesamtbevölkerung nicht verbessert“, so Hausen. Die Gründe für diese messbaren Fehlentwicklungen seien eine direkte Folge des Provisionsverbots und die damit einhergehenden Verwerfungen auf dem Berater-Markt im Königreich.

Dies habe auch zuletzt die Evaluierung der FCA zur Finanzmarktreform und zum Provisionsverbot ergeben: Der Markt für Beratung ist wettbewerbsschwach. Es gibt formale und faktische Mindestanlagegrenzen für den Zugang zur Beratung. Die vermeintlichen Hoffnungsträger Robo-Advisors sind bisher nur ein Nischenthema. Es herrscht nur geringe Zahlungsbereitschaft für Honorare bzw. ein Missverhältnis von Zahlungsbereitschaft und marktüblichen Honoraren.

Erfolgreich in politische Regulierung eingemischt

„Gemeinsam mit Berufsverbänden der Versicherungsmakler und freien Vermittler konnten wir seit Gründung der BFV 2014 gravierende Fehlentwicklungen bei gesetzgeberischen Vorhaben in Deutschland verhindern und einen großen Teil der drohenden bürokratischen Mehraufwendungen abmildern“, sagt Hausen gegenüber procontra.

Dazu gehörte auch die Anregung zu Protestbriefen der Makler gegen den LV-Provisionsdeckel und die Entlarvung falscher Zahlen der BaFin zur Begründung des Provisionsdeckels. Aktuell beschäftigt sich die BFV kritisch mit der Idee der BaFin, einen Provisionsrichtwert einzuführen.

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