Die öffentlichen Finanzen in Europa können die angestrebten Verteidigungsausgaben in ihrer Höhe und ihrer Breite nicht allein finanzierenMark Wade
Head of Sustainability Research & Stewardship bei Allianz Global Investors
Sollten Nachhaltigkeitsfonds auch für Rüstungsaktien geöffnet werden? Diese Frage beinhaltet zwei Aspekte: Können Unternehmen der Rüstungsindustrie als nachhaltig angesehen werden? Und welche Fonds sollten in Rüstungsaktien investieren können? In beiden Fällen sind die Antworten nuanciert und hängen von der aufsichtsrechtlichen Auslegung von Schlüsselbegriffen sowie den Erwartungen der Kunden an bestimmte Fondsklassifikationen ab.
Was bedeutet Verteidigung?
Ein robustes Verteidigungs- und Sicherheitssystem ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit, die die wirtschaftliche Entwicklung und die Souveränität schützt. Gleichwohl sind Aktivitäten im Verteidigungsbereich für AllianzGI nicht „nachhaltig“ im Sinne der EU-Offenlegungsverordnung SFDR, da sie nicht direkt zu ökologischen oder sozialen Zielen beitragen. Daher tragen Aktien dieses Sektors auch nicht zum Nachhaltigkeitsprofil oder zu den KPI der entsprechenden Fonds bei.
Bei der Betrachtung von Verteidigung ist zudem zu unterscheiden zwischen Kernaktivitäten, die eng mit der Fähigkeit zur – völkerrechtlich anerkannten – Selbstverteidigung verbunden sind, und kontroversen Aktivitäten. Die wichtigsten militärischen Ausrüstungen und Dienstleistungen sowie die nukleare Verteidigung im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags (NPT) erfüllen das Kriterium der notwendigen Aktivitäten, um sich selbst zu schützen. Für kontroverse Aktivitäten gilt dies indes nicht.
Die Frage der Finanzierung
Mit Blick auf die zweite Frage ist festzustellen, dass die öffentlichen Finanzen in Europa die angestrebten Verteidigungsausgaben in ihrer Höhe und ihrer Breite nicht allein finanzieren können. Die Privatwirtschaft wird eine wesentliche Rolle hierbei spielen. Dabei ist zu beobachten, dass es international sowohl regulatorische Initiativen als auch eine Kundenpräferenz gibt, den Verteidigungssektor nicht per se für alle Arten von Artikel 8-Fonds auszuschließen.
Eine umfangreiche Überprüfung seitens AllianzGI hat ergeben, dass weder aufsichtsrechtliche Vorgaben noch die Kundennachfrage eine Änderung unserer Ausschlüsse von Verteidigungstiteln in Artikel 9-Fonds und in Artikel 8-Fonds mit spezifischen Labels oder lokalen Anforderungen erforderlich machen. Im global großen und wachsenden Artikel 8-Fondsuniversum gibt es jedoch viele Produkte ohne spezifische Labels oder Kundenanforderungen, bei denen es eine Nachfrage nach Lockerung desjenigen Teils der Verteidigungsausschlüsse gibt, der sich auf Kernaktivitäten und nukleare Verteidigung innerhalb des NPT bezieht.
Debatte wird weitergehen
Sind diese Fonds nun als „nachhaltige Fonds“ anzusehen? Die Debatte hierüber geht weiter, dies ist erst der Anfang der Reise. Der Markt auf jeden Fall entwickelt sich weiter, weg von der Verwendung von SFDR-Berichtsanforderungen als Proxy für „Nachhaltigkeit“, hin zu expliziteren Leitlinien für Label-Standards. Investoren haben die Möglichkeit, angemessenere Berichterstattungsniveaus, Governance-Standards und Sicherheitsvorkehrungen für eine „verantwortungsvollere“ Verteidigungsindustrie zu etablieren. Künftig wird daher noch mehr über die Nachhaltigkeit dieses Sektors zu lesen sein.
Werden Rüstungsunternehmen in ESG-Fonds aufgenommen, wird die Bedeutung von „ESG“ ad absurdum geführtMarkus Dufner
Geschäftsführer Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre e.V
Die Welt befindet sich inmitten atemberaubender Umbrüche: Klimakatastrophe, Migration, Kriege, starke Turbulenzen in der Wirtschaft und im Finanzsektor – und ein neuer Rüstungswettlauf.
Nach dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine im Februar 2022 prägte der damalige deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz den Begriff „Zeitenwende“. Sie ist durch erhöhte Verteidigungsanstrengungen und Sanktionen der EU und des Westens gegen Russland gekennzeichnet. Mit Beginn der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump im Januar 2025 wurde der Druck für die Europäer, ihre Verteidigungsetats zu erhöhen, noch einmal größer.
Vor diesem Hintergrund vollzieht sich in den westlichen Gesellschaften ein stetiger Mentalitäts- und Legitimationswandel: Je mehr die tatsächliche und gefühlte militärische Bedrohung durch Russland wächst und die Verlässlichkeit des US-amerikanischen Schutzes für Europa abnimmt, desto größer wird die Angst, den Großmächten Russland und USA ausgeliefert zu sein. Die Folge: Ein Teil der Bevölkerung befürwortet Aufrüstung und hält Rüstungsunternehmen für akzeptable Arbeitgeber.
Vorbei sind die Zeiten, in denen man nur hinter vorgehaltener Hand zugab, Aktien von Rüstungsunternehmen in seinem Depot zu haben. Ein Investment in Rheinmetall, Hensoldt oder Renk ist heutzutage für viele ethisch vertretbar und finanziell lukrativ.
Auftragsbücher der Konzerne sind voll
Die Auftragsbücher der Rüstungsschmieden sind voll und die Aktienkurse explodieren. Die Aktie von Rheinmetall, Deutschlands größtem Rüstungskonzern, kostete am 23. Februar 2022, einem Tag vor Russlands Angriff auf die Ukraine, 96,80 Euro. Am 8. Juli 2025 lag der Kurs bei 1.828,50 Euro.
Wer „eine zeitgemäße Möglichkeit“ sucht, „Europas strategische Initiativen zu finanzieren und gleichzeitig auf das langfristige Wachstumspotenzial des europäischen Verteidigungsmarkts und der Aktienmärkte“ setzen will, kann in einen neuen Rüstungs-ETF von Europas größtem Vermögensverwalter investieren: den Amundi Stoxx Europe Defense ETF (ISIN: LU3038520774) – so die Eigenwerbung. Es ist bereits der vierte Rüstungs-ETF mit Europa-Fokus, der in den vergangenen Monaten auf den Markt kam.
Das ändert aber nichts daran, dass Rüstung nicht nachhaltig ist und deshalb in ESG-Fonds nichts zu suchen hat. Rüstung steht im Widerspruch zu den grundlegenden Prinzipien der Nachhaltigkeit. ESG-Fonds, die für Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung stehen, sollten auf Investitionen in Unternehmen verzichten, die Waffen produzieren.
Rüstungsgüter sind totes Kapital
Auch wenn Waffen der Abschreckung vor Angriffen dienen sollen, ist nicht auszuschließen, dass mit ihnen zerstört oder getötet wird. Sie sind sozial schädlich und zerstören die menschlichen Lebensgrundlagen. Im besten Fall kommen Rüstungsgüter nicht zur Anwendung und sind totes Kapital.
Durch das Investment in immer mehr Rüstung fehlen letztlich Mittel für soziale und ökologische Zwecke. Werden Rüstungsunternehmen in ESG-Fonds aufgenommen, wird die Bedeutung von „ESG“ ad absurdum geführt. Wenn Rüstung als nachhaltig gilt, würden Investoren, denen es um soziale, ökologische und unternehmerische Nachhaltigkeit geht, in die Irre geführt.
Pro & Contra: Rüstung als nachhaltiges Investment
Pro-Argumente:
Wichtiger Beitrag zur nationalen Sicherheit
Wachsende Kundenpräferenz für den Verteidigungssektor
Hohe finanzielle Erträge
Contra-Argumente:
Widerspricht den sozialen Zielen von ESG-Fonds
Untergräbt die Nachhaltigkeitsprinzipien von ESG
Kapital könnte besser in soziale oder ökologische Projekte fließen