Interview mit Kapitalmarkt-Forscherin

„Es gibt keinen Beweis, dass Frauen nachhaltiger anlegen wollen“

Der Vermögensverwalter DWS hat einen speziellen Fonds für Frauen mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit auf den Markt gebracht. Alexandra Niessen-Ruenzi forscht zu geschlechts­spezifischen Unterschieden an Kapitalmärkten. Sie bezweifelt, dass sich Frauen andere Finanzprodukte wünschen als Männer.

Author_image
10:03 Uhr | 22. März | 2022
Alexandra Niessen-Ruenzi

„Ich weiß nicht, warum man Frauen sagen sollte: Das sind die besseren Produkte für euch. Das lässt sich wissenschaftlich auch nicht untermauern“, sagt Expertin Alexandra Niessen-Ruenzi

| Quelle: Anna Logue

procontra: Die DWS hat den Fonds „DWS Invest ESG Woman for Woman“ aufgelegt, ein aktiv gemanagter Fonds von Frauen für Frauen. Die bestehenden Finanzmarktprodukte würden Frauen nur unzureichend ansprechen, sagte mir eine DWS-Fondsmanagerin im Gespräch. Brauchen Frauen andere Produkte als Männer?

Professorin Alexandra Niessen-Ruenzi: Nein, aus wissenschaftlicher Sicht ist das nicht sinnvoll. Ich persönlich glaube auch nicht, dass wir eigene Finanzprodukte für Frauen brauchen.

procontra: Warum sind spezielle Finanzprodukte für Frauen nicht zielführend?

Niessen-Ruenzi: Weil die Gesetze am Kapitalmarkt für alle Investoren gleichermaßen gelten. Wenn durch ein solches Produkt jedoch Aufmerksamkeit für das Thema geschaffen wird, kann das aus Marketinggründen natürlich Sinn machen. Bevor Frauen gar nicht investieren, ist es immer noch besser, wenn sie dann wenigstens in ein solches Produkt anlegen.

procontra: Die DWS behauptet: „Für Anlegerinnen zählt nicht nur die Rendite.“ Sollte man angesichts von drohender Altersarmut und geringerem Verdienst Frauen nicht gerade zu renditestarken Anlagen raten?

Anzeige

Niessen-Ruenzi: Genau so ist es. Solche Produkte sind meistens relativ teuer. Aus finanzwirtschaftlicher Sicht sind aktiv gemangte Fonds also nicht zu empfehlen. Sinnvoll sind breit diversifizierte und günstige Produkte, aber die gibt es ja bereits. Es gibt auch gar keine empirisch gesicherten Befunde dafür, dass es in der Aktienauswahl große Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, also dass Frauen zum Beispiel nachhaltiger anlegen würden. Das wird in letzter Zeit immer häufiger behauptet, aber ohne eindeutigen wissenschaftlichen Befund. Zusätzlich ist es sehr schwer zu messen, was eigentlich nachhaltig ist. Jedes Rating misst etwas anderes und das gilt nicht nur für Gender Equality, sondern für sämtliche ESG-Fragen. Ich glaube, dass es sehr schwer ist, echte ESG-Finanzprodukte, herauszufiltern.

„Das lässt sich wissenschaftlich nicht untermauern.“

procontra: Die DWS behauptet, dass genau das jetzt möglich sei. Aber das eine sind die wachsweichen ESG-Kriterien, das andere sind die Renditen, die zumindest kurzfristig betrachtet als ausbaufähig gelten. Sollten Frauen überhaupt in Produkte mit ESG-Anstrich investieren?

Niessen-Ruenzi: Es ist richtig, die Renditen sind noch verbesserungswürdig. Es gibt aber Investoren, für die Rendite zweitrangig ist, wenn Sie dafür genau wissen, wohin ihr Geld fließt, beziehungsweise wenn es ESG-konform angelegt wird. Ich weiß aber nicht, warum man Frauen sagen sollte: „Das sind die besseren Produkte für euch.“ Das lässt sich wissenschaftlich auch nicht untermauern.

procontra: Der DWS legt bei dem Fonds Wert darauf, dass in divers aufgestellte Firmen investiert wird, weil diverse Teams auch erfolgreicher seien. Deswegen sei der Fonds auch erfolgsversprechend. Würden Sie zustimmen?

Niessen-Ruenzi: Nein, es gibt auch hierzu keine wissenschaftliche Studie, durch die dieser Zusammenhang kausal nachgewiesen werden kann. Banken oder Unternehmensberater behaupten immer wieder, dass diverse Teams zu einer besseren Performance führen würden. Es gibt zwar durchaus positive Korrelationen, aber eben keine Kausalität. Das heißt: Es ist nicht bewiesen, dass Diversität per se zu einer besseren Performance führt. Es kann aber sein, dass sich Unternehmen, die erfolgreich sind, mehr Diversität leisten, dass es also einen umgekehrten Zusammenhang gibt.

procontra: Der DWS-Fonds wirbt mit dem Slogan: „Frauen wissen im Zweifel besser, was Anlegerinnen wollen.“ Warum sollten Männer das nicht auch wissen?

Niessen-Ruenzi: Es gibt Studien, denen zufolge es gut ist, wenn die Finanzberater und -beraterinnen das gleiche Geschlecht haben wie die jeweilige Kundschaft. Da geht es aber mehr um so etwas wie die Festlegung der jeweiligen Sparziele. Ich finde es falsch, wenn man es auf die Produktebene bezieht, zumal ich nicht glaube, dass Frauen unbedingt andere Finanzprodukte wollen als Männer. Aber was man nachweisen konnte: Der Match männlicher Finanzberater trifft auf Kundin funktioniert nicht so gut, und zu 80 Prozent sind es eben Finanzberater.

„Werbung für Finanzprodukte ist ganz klar auf männliche Kunden zugeschnitten.“

procontra: Woran liegt das?

Niessen-Ruenzi: Das könnte zum einen daran liegen, dass Frauen oft uninformiert in die Beratung kommen, dann ist seitens der Berater der Anreiz sehr hoch, auf den eigenen Gewinn zu gucken, also zum Beispiel teure Produkte zu verkaufen. Wir haben gerade dazu eine Studie begonnen und die ersten Ergebnisse zeigen: Werbung für Finanzprodukte ist historisch ganz klar auf männliche Kunden und deren Sparziele zugeschnitten. Da kann man schon noch etwas tun.

procontra: Es gibt also durchaus Unterschiede im Anlegerverhalten also zum Beispiel bei den Sparzielen?

Niessen-Ruenzi: Das wurde bisher leider noch nicht systematisch untersucht. Im Rahmen einer Pilotstudie hat sich gezeigt, dass die Sparziele von Männern zum Beispiel in Richtung eines teuren Sportautos gehen. Das sind vielleicht traditionell eher die männlichen Ziele, in ein paar Monaten wissen wir das genauer, wenn wir die Daten auswerten konnten.

procontra: Würden Sie sagen, dass Frauen eine andere Ansprache in Finanzangelegenheiten brauchen als Männer?

Niessen-Ruenzi: Das denke ich schon. 70 Prozent der Personen, die in der Reklame für Finanzprodukte auftauchen, sind Männer. Die implizite Botschaft dahinter lautet: Das ist eine Männerdomäne, damit brauchen sich Frauen nicht zu beschäftigen. Man sollte auf dieser Ebene überlegen, wie man Frauen signalisieren kann, dass es sich sehr wohl um ein Thema für sie handelt. Aber da geht es eben rein um die Kommunikation und nicht um die Produktebene.

procontra: Wir erleben gerade, dass jüngere Menschen wieder alte Rollenmodelle präferieren. Es wird vermutet, dass ein Grund dafür das sogenannte Gendermarketing sein könnte. Bestätigt eine „typisch weibliche“-Ansprache also die gängigen Stereotype?

Niessen-Ruenzi: Aus rein finanzwirtschaftlicher Sicht ist es wichtig, dass sich Frauen mit dem Thema überhaupt erst einmal befassen und Geld anlegen. Ich nehme an, Marketingexperten haben empfohlen, diesen Weg der „typisch weiblichen Ansprache“ zu gehen. Ich bin aber kein Freund davon, weil dadurch die Geschlechterrollen zementiert werden. Diese Aussage „mit Herz investieren“ ist aus meiner Sicht kontraproduktiv, weil es eben nicht richtig wäre „mit Herz“ anzulegen, sondern nur mit Verstand. Wenn aber das dazu führt, dass sich Frauen überhaupt erst einmal mit Investments beschäftigen, ist es gut.