Investmenttalk

„Der Zinsanstieg hat uns schwer zu schaffen gemacht“

Henning Gebhardt zählt zu den profiliertesten Fondslenkern im Land. Warum ihn die hiesige Wirtschaftsentwicklung besorgt, was er für 2024 erwartet und was er in Sachen Regulierung vorschlägt.

15:01 Uhr | 12. Januar | 2024
Henning Gebhardt ist Gründer der Beratungsgesellschaft GAPS, Geschäftsführer der Fondsboutique Hollyhedge Consult und Berater des Mischfonds Millennium Global Opportunities.

Henning Gebhardt zählt zu den profiliertesten Fondslenkern im Land. Warum ihn die hiesige Wirtschaftsentwicklung besorgt, was er für 2024 erwartet und was er in Sachen Regulierung vorschlägt.

| Quelle: GAPS

Die Kritik an der deutschen Wirtschaftspolitik aus vielen Teilen der Wirtschaft wird immer lauter. Der DIHK bezeichnet die Lage als besorgniserregend. Der ehemalige Vorsitzende der Wirtschaftsweisen Bert Rürup sagte, was wir jetzt erlebten, sei ohne Beispiel in der bundesdeutschen Politik, nachdem das Bundesverfassungsgericht den Klima- und Transformationsfonds für verfassungswidrig und nichtig erklärt hat. Wie ist Ihre Sicht aus der Perspektive eines Fondsberaters auf die Lage und die Firmen im Land?

Henning Gebhardt: Die Entwicklung ist tatsächlich besorgniserregend. Nach 16 Jahren Merkel-Regierung, in denen es einen riesigen Reform- und Investitionsstau gab, hätten wir eine Aufbruchstimmung gebraucht. Die hat es in den vergangenen zwei Jahren eher nicht gegeben. Nach der Entscheidung zum Klima- und Transformationsfonds stehen weiter parteipolitische Ideologien im Vordergrund und auch die CDU als Opposition scheint nicht bereit, im Moment für das Land eine gesamtheitliche Politik zu machen. Das können wir uns eigentlich nicht erlauben, denn jetzt werden die Weichen für die Zukunft gestellt. Das ist genau das, was die Wirtschaft beklagt: dass der Standort Deutschland in den vergangenen Jahren, vor allem in den vergangenen zwei Jahren, deutlich an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Dies muss man angehen.

Wie haben Sie den Mischfonds Millennium Global Opportunities, den Sie beraten, dieser Einschätzung entsprechend eingestellt?

Gebhardt: Eigentlich ist der Name mit dem „Global“ darin schon Programm. Anleger sollten grundsätzlich den Heimatmarkt nicht übergewichten. Unabhängig davon gibt es in Deutschland immer noch eine Reihe guter global tätiger Unternehmen. Im Fonds entfallen von den rund 40 Prozent Anlagen in Euro 10 Prozent auf deutsche Titel. Das sind Unternehmen, die einen globalen Blick haben. Die Länderzugehörigkeit ist da manchmal nicht so wichtig; wichtiger ist, wie das Geschäft positioniert ist. Man muss auf der anderen Seite aber auch sagen, dass in den vergangenen Jahren die Anzahl der Unternehmen in Deutschland enorm geschrumpft ist. Wir haben nur noch knapp 250 Prime-Standard-Werte, was die Auswahl nochmals verkleinert.

Welche Branchen sind unter den deutschen Anlagen besonders vertreten?

Gebhardt: Klassisch ist in Deutschland die Industrie führend, wobei einige Unternehmen allerdings strukturelle Schwierigkeiten haben, etwa die Automobilindustrie. Unternehmen, die sich auf den heimischen Konsum konzentrieren, haben ihre Schwierigkeiten. Im Bereich Versicherungen haben wir zwei Weltmarktführer in Deutschland. An soetwas kommt man als Investor nicht vorbei. Trotz des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds gibt es immer auch attraktive Kandidaten, die ein gutes langfristiges Wachstumsprofil haben.

Die Wertentwicklung Ihres Portfolios war zuletzt im Jahres-, Dreijahres- und Fünfjahreszeitraum negativ. Wie bewerten Sie die Leistung des Fonds?

Gebhardt: Gerade 2022 war nach einem starken Jahr 2021 alles andere als zufriedenstellend. Das hat auch damit zu tun, dass sich das Marktumfeld enorm verändert hat. 2022 sind zum ersten Mal nach vielen Jahren die Zinsen wieder deutlich gestiegen. Das hat unserer Strategie schwer zu schaffen gemacht, weil wir sehr wachstumsorientiert aufgestellt sind. Wir setzen stark auf langfristig wachstumsstarke Sektoren. Mit den steigenden Zinsen waren diese Sektoren stärker unter Druck als andere. Eine bessere Performance hätte man mit einer höheren Gewichtung von Rententiteln auch nicht erzielen können, bei mittlerweile schon im dritten Jahr negativen Erträgen.

Von daher haben wir mit unserer Positionierung nicht den Sweetspot im Markt erwischt. 2023 haben die „Magnificant 7“, die großen Tech-Werte wie Apple, Alphabet und Amazon die Märkte getrieben. Aufgrund unserer ESG-Regeln hatten wir da den kleinen Nachteil, dass wir uns in einigen dieser Werte nicht positionieren können. Ich bin trotzdem davon überzeugt, dass die Strategie langfristig trägt. Ich war in meiner ganzen Karriere ein wachstumsorientierter Investor, im Prinzip mit einem ähnlichen Ansatz, wie wir ihn jetzt verfolgen. Im Moment ist es für die Investoren nicht das, was sie erwartet haben. Das war in den vergangenen ein, zwei Jahren tatsächlich etwas mühsam, mit guter Performance zu überzeugen.

An der Ausrichtung auf langfristige Wachstumswerte möchten Sie also nichts ändern?

Gebhardt: Ganz und gar nicht. Man muss auch überlegen, was passiert, wenn wir weltwirtschaftlich tatsächlich deutlich weniger Wachstum haben als bislang gedacht. Nach neuesten Schätzungen wird für 2024 global ein Wachstum von gerade einmal 2 bis 3 Prozent erwartet. Gerade dort, wo Wachstum zu finden ist, dürfte dann das größte Interesse liegen. Vor allem die Unternehmen, die sich von einem schwierigen weltwirtschaftlichen Umfeld abkoppeln können, sind am Ende gesucht. Das ist langfristig immer der Fall. Wobei es natürlich auch immer Schnittstellen zwischen Wachstum und Value gibt. Wir sind jetzt in einer Übergangsphase, in der die Zinserhöhungen zu einem Ende kommen könnten. Das ist gut für Wachstumstitel.

Anleger können ihr Geld wieder breiter allokieren, was auch zulasten von Multi-Asset-Fonds geht.
Henning Gebhardt

Mischfonds haben 2023 deutliche Netto-Mittelabflüsse verzeichnet, während Aktien- und Rentenfonds Zuflüsse verbuchten. Warum kehrten Anleger Mischfonds den Rücken? Auch ihr Fonds hat offenbar Kundengelder verloren.

Gebhardt: Zum ersten Mal seit den 1930er Jahren haben wir eine Situation gehabt, in der wir zwei Jahre in Folge mit der Kombination aus Aktien und Renten, etwa dem typischen 60/40-Portfolio, kein Geld verdienen konnten. Das ist außergewöhnlich und für die Investoren auch enttäuschend. Mit den steigenden Zinsen gab es erstmals seit der Finanzkrise wieder eine Alternative zu Aktien: den Rentenmarkt – und durch die deutlichen Zinserhöhungen im Zuge der Inflation noch viel stärker den Geldmarkt.

Wir sehen seit Jahresbeginn 2023 ein großes Interesse an Geldmarktfonds. Das ist eine große Konkurrenz für Multi-Asset-Fonds. In den Jahren davor, in denen wir nur fallende und niedrige Zinsen gesehen haben, waren Multi-Asset-Fonds interessant für Anleger, die nicht direkt in Aktienfonds gehen wollten. Heute können Anleger wieder breiter ihr Geld allokieren, was auch zulasten von Multi-Asset-Fonds geht. Genauso wie der Markt haben auch wir Gelder verloren.

Im Bereich von Nachhaltigkeit müsse sich noch ein Standard herausbilden, meinten Sie in einem Interview. MSCI etwa habe als Anbieter von ESG-Ratings einige Kriterien, die dazu führten, dass zum Beispiel im Pharmabereich die meisten Unternehmen nicht mehr investierbar seien. Es müsse ein Mittelweg gefunden werden, der allen Ansprüchen gerecht werde. Würde dies nicht zu watteweichen Vorgaben führen?

Gebhardt: Das Problem ist etwas anders gelagert. Die „Magnificant 7“ zum Beispiel kommen bei dem breit genutzten UN Global Compact für nachhaltige und verantwortungsvolle Unternehmensführung schlecht weg. Zahlreiche Fonds unterliegen dessen Vorgaben bei der Anlageauswahl. Dort gibt es allerdings ein Sammelsurium an unterschiedlichen Vorgehensweisen, wie die Regeln angewandt werden. Das führt dazu, dass der eine Fonds die Unternehmen ausschließt, der andere aber voll darin investiert ist. Der Regulierer müsste klarer vorgeben, was die Kriterien konkret bedeuten. Das würde einheitliche Wettbewerbsbedingungen schaffen.

Das viel diskutierte Definitionsproblem scheint also weiterhin vieles zu überlagern?!

Gebhardt: Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, was Nachhaltigkeit bedeutet. Das schönste Beispiel ist die Frage, wie man mit der Atomkraft oder auch Rüstungsunternehmen, zum Beispiel Rheinmetall, umgeht. In vielen ESG-Fonds ist eine Investition ausgeschlossen. Die Bundesregierung sagt, dass Banken dem Unternehmen keinen Kredit geben dürfen. Aber gleichzeitig ist die Regierung der größte Kunde von Rheinmetall.

Es ist also noch einiges an Arbeit zu tun. Wir müssen erreichen, dass wir einheitlicher werden bei der Festlegung von Nachhaltigkeitsregeln. Sonst verlieren wir den Kunden, weil er das nicht mehr versteht.

Zur Einstufung von Atomkraft und fossilem Gas habe ich noch keine abschließende Meinung.
Henning Gebhardt

Die EU hat mit dem „European Green Bonds Standard“ einen eigenen Standard für ökologisch nachhaltige Anleihen auf den Weg gebracht, der sich an der EU-Taxonomie ausrichtet. Wie ist Ihre Einschätzung zu dem neuen Label?

Gebhardt: Wir werden in Zukunft noch mehr Standards bekommen, was größere Veränderungen auf Unternehmensebene auslösen wird. Die Art und Weise, wie Unternehmen sich verhalten und wirtschaften, wird sich grundlegend verändern. Ich halte es allerdings nicht für förderlich, dass die Politik an der ein oder anderen Stelle versucht, über den Finanzmarkt politische Ziele zu positionieren. Das kann zu Fehlsteuerungen führen, was nicht gut wäre für die EU.

Wie bewerten Sie die Einstufung von Atomkraft und fossilem Gas als nachhaltig in der EU-Taxonomie und die Folgen für einen Standard, der darauf aufbaut?

Gebhardt: Zur Einstufung von Atomkraft und fossilem Gas habe ich noch keine abschließende Meinung. Allerdings kann man auch an diesem Beispiel erkennen, wie die Politik den Regeln den Stempel aufdrückt. Das ist nicht immer hilfreich.

Die Positionierung politischer Ziele ist auch ein Kritikpunkt an der EZB, die versucht, bestimmte Nachhaltigkeitsziele anzustreben, was zu Fehlallokationen führen könnte.

Gebhardt: Das ist nicht ausgeschlossen. Ich denke, die EZB ist für die Stabilität der Geldmärkte und der Währungsmärkte verantwortlich. Nachhaltigkeitsregeln festzulegen ist nicht ihre Aufgabe.

In einem Tweet haben Sie kommentiert, es wäre eine große Überraschung, wenn nach fünf Koalitionsverträgen, in dem die Altersvorsorge ein Thema war, aber nichts passierte, endlich eine private Säule eingeführt würde. Wie geht es aus Ihrer Sicht weiter mit dem Projekt Generationenkapital als Ergänzung der gesetzlichen Rente?

Gebhardt: Die zehn Milliarden Euro, die ursprünglich pro Jahr dafür zur Verfügung gestellt werden sollten, werden nichts ändern. Es ist im Prinzip nur eine Budgetierung der gesetzlichen Rente auf eine andere Art. Wir brauchen eine dritte Säule. Es ist offensichtlich, dass die gesetzliche Rentenversicherung an ihre Grenzen gekommen ist. Betriebliche Altersversorgung ist nicht in jedem Fall verfügbar. Es wäre für jeden Bürger daher sinnvoll, langfristig etwas zurückzulegen.

Ich würde es sehr begrüßen, wenn das mit passenden steuerlichen Rahmenbedingungen verknüpft würde. Der Aktienmarkt kommt langfristig auf eine ganz ordentliche Rendite. Das Risiko, das man kurzfristig mit der Volatilität erlebt, gleicht sich langfristig aus. In den vergangenen fünf Koalitionen wurde das Thema dritte Säule in der Priorität einfach nach hinten geschoben und verschwand dann in der Schublade. Es ist extrem wichtig, es endlich wirksam anzugehen.

Wie bewerten Sie das aktuelle Umfeld der Kapitalanlage?

Gebhardt: Das Umfeld ist nach wie vor herausfordernd und die Geopolitik extrem schwierig. Die erfreulicherweise sinkenden Inflationsraten sind eine gute Voraussetzung, die Zinssteigerungen zu beenden. Ich gehe im Moment davon aus, dass wir 2024 keine weiteren Zinserhöhungen sehen werden und in Europa möglicherweise sogar Zinssenkungen. Damit würden die Kapitalmärkte wieder ein etwas konstruktiveres Umfeld bekommen.

Aber man muss sich darauf einstellen, dass 2024 kein einfaches Jahr wird. Wir wissen nicht, wie stark die Weltwirtschaft wachsen wird. Kommen wir in den USA um eine Rezession herum oder nicht? Ein weiterer wichtiger Punkt sind die US-Präsidentschaftswahlen, bei denen Donald Trump wiedergewählt werden will. Für die Politik in der Welt würde es eine große Herausforderung, würde er wieder ins Weiße Haus einziehen.

Henning Gebhardt ist Gründer der Beratungsgesellschaft GAPS, Geschäftsführer der Fondsboutique Hollyhedge Consult und Berater des Mischfonds Millennium Global Opportunities.