Cyberversicherungen

„Risikofragen der Cyberversicherer genau beachten"

Aktuell wächst der Cyberversicherungsmarkt jährlich um rund 50 Prozent. Über die Vertriebschancen und jenen Punkt, der häufig zu Deckungsstreitigkeiten führt, sprach procontra mit CyberDirekt-Geschäftsführer Ole Sieverding.

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10:03 Uhr | 04. März | 2024
Ole Sieverding ist Geschäftsführer der Cybersicherheitsplattform Cyberdirekt

Ole Sieverding: "Cyberversicherungen sind eine wahnsinnig spannende Sparte für Vermittler."

| Quelle: CyberDirekt

procontra: Wie entwickelt sich die Nachfrage nach Cyberversicherungen?

Sieverding: Als CyberDirekt beschäftigen wir uns ausschließlich mit dem Thema gewerbliche Cyberversicherungen und wir merken, dass das Interesse sehr deutlich steigt. Am Anfang war es so, dass man Cyber-Versicherungen aktiv ansprechen und erklären musste. Inzwischen ist es so, dass immer mehr Unternehmen proaktiv auf uns zukommen und sagen, wir haben das Thema Cybersicherheit auf der Agenda und wollen eine Cyberversicherung abschließen.

Die Aufklärung – also was sind die Vorteile, warum soll ich das abschließen – war eher eine Herausforderung der letzten Jahre. Inzwischen wird Cybersicherheit und Risikomanagement als strategisches Konzept wahrgenommen. Aktuell ist die Herausforderung eher die IT-Mindestanforderungen der Versicherer zu erfüllen und die heterogenen Tarife vergleichen zu können.

procontra: Lassen Sie uns doch einmal auf die schauen, die die Produkte beraten. Wie groß sind die Cyberrisiken für Vermittler?

Sieverding: Wenn man etwa das Allianz-Risikobarometer betrachtet, sind Cyberrisiken das Top-Geschäftsrisiko weltweit. Und das betrifft sowohl die Unternehmen, die Vermittelnde im Bestand haben wie auch sie selbst. Eine glaubhafte Vermittlung ist nur dann erfolgreich, wenn man sich mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Von daher ist es wichtig, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Immer mehr Maklerunternehmen nehmen die Cyberversicherung in ihr Standard-Repertoire auf.
Ole Sieverding

procontra: Haben Sie den Eindruck, dass sich mehr Vermittler mit dem Thema auseinandersetzen?

Sieverding: Viele Vermittler haben das Thema als Akquise-Tool verstanden. Und der Markt, also die Prämieneinnahmen wachsen derzeit jährlich um über 50 Prozent. Das heißt, dass sich zwangsläufig immer mehr Maklerhäuser mit dem Thema auseinandersetzen und immer mehr Deckungen abgeschlossen werden. Wir sind gerade in einer Aufbruchstimmung, der Markt verzeichnet inzwischen Einnahmeprämien zwischen 600 und 700 Millionen Euro.

Wenn er weiterhin so stark wächst, sprechen wir schnell von einer der signifikantesten Sparten der Versicherungsbranche. Vor fünf Jahren haben wir noch über eine kleine Nische gesprochen. Inzwischen sind wir auf dem Weg in eine etablierte Sparte, wie die Vertrauensschaden- oder D&O-Versicherung. Also ja, immer mehr Unternehmen, immer mehr Maklerunternehmen nehmen die Cyberversicherung in ihr Standard-Repertoire auf.

procontra: Und wie gut sind die Vermittler selbst abgesichert? Wie einfach finden sie eine Deckung?

Sieverding: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Vermittler ihr eigenes Risiko sehr gut verstehen und sich daher auch gut selbst absichern. Es gibt einige Versicherer, die bieten aus strategischen Überlegungen keine Risikodeckungen für die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung an. Aus einer reinen Cyber-Risikoperspektive ist ein Versicherungsvermittler aus meiner Sicht mit einem Immobilienmakler gleichzusetzen. Beide haben sehr viele personenbezogenen Daten und ein begrenztes Betriebsunterbrechungsrisiko.

procontra: Lassen Sie uns einen Blick auf den Markt werfen? Wie entwickelt sich das Pricing?

Sieverding: In der Medienberichterstattung wird immer sehr viel über das Industriesegment gesprochen, die Dax-Konzerne und die international agierenden Unternehmen. Und da heißt es immer: Es gibt Kapazitätsengpässe, die Preise für die Cyberabsicherung würden steigen. In dem für uns relevanten Geschäft, also den KMU und Gewerbebetrieben, sehe ich weder ein Kapazitätsproblem noch übermäßige Preissteigerungen. Natürlich passen die Versicherer ihre Konzepte an, natürlich wird das Produkt tendenziell eher teurer. Aber grundsätzlich ist genug Kapazität im Markt.

Weil der Markt noch so diffus ist, liegt für Vermittlerinnen und Vermittler ein so starker Wert darin, die Fallstricke für Kunden herauszudifferenzieren, den Kunden individuell zu beraten und dann die passende Lösung zu finden.
Ole Sieverding

Und grundsätzlich haben wir, auch, weil es inzwischen über 70 Versicherer gibt, die Cyberversicherungen anbieten – mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen, einem unterschiedlichen Risikoappetit und unterschiedliche Prüfungsalgorithmen – ein wunderschönes Feld für den Vermittler mit starkem Wettbewerb. Weil der Markt noch so diffus ist, liegt für Vermittler ein starker Wert darin, die Fallstricke für Kunden herauszudifferenzieren, individuell zu beraten und dann die passende Lösung zu finden.

Aus meiner Sicht ist Cyber eine wahnsinnig spannende Sparte für Vermittler, die sich spezialisieren möchten. Es ist ein lukrativer Markt. Zusammengefasst: Wir sehen steigende Preise und steigende Anforderung an die IT-Sicherheit. Es ist aber nicht so, dass Unternehmen nicht mehr versicherbar wären.

procontra: Der GDV hatte Mitte Februar neue Muster-Cyberbedingungen vorgestellt. Wie bewerten Sie die?

Sieverding: Die erste Version war sieben Jahre alt. Die Nachschärfung ist begrüßenswert. Es wurde einiges klarer formuliert und an den aktuellen Bedarf angepasst. In Bezug auf die Mindestanforderungen der IT-Sicherheit, um versicherbar zu werden, hat sich allerdings nichts an der grundlegenden Struktur – Datensicherung, Patch-Management, Berechtigungskonzept – verändert. Allerdings stehen viele Unternehmen in Bezug auf ihren IT-Reifegrad leider immer noch vor sehr ähnlichen Herausforderungen wie vor sieben Jahren.

Die größte Herausforderung darin liegt, die Basisabsicherung der IT auch umzusetzen. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, diesen edukativen Gedanken in die Breite zu tragen, dass Unternehmen einen entsprechenden digitalen Reifegrad erlangen und wir im Ganzen besser geschützt sind. Dank der Autoversicherer und gesetzlichen Auflagen gehören eine Gurtpflicht, ABS, ESP oder Airbag heute zu den Sicherheitsstandards. Die Cyberversicherung kann ihren Anteil haben, dass es einen angemessenen IT-Sicherheitsreifegrade und ein höheres IT-Sicherheitsniveau gibt, der Kriminellen das Handwerk schwerer macht.

procontra: Nach einer Attacke spielen die Hilfsleistungen eine wichtige Rolle für die betroffenen Unternehmen. Welche Bedeutung spielen die diversen Assistance-Angebote im Markt?

Sieverding: Es ist so, dass hinter jeder Police der Versicherer einen Prozess steckt, wie man einen Schadenfall melden und mit einem Experten sprechen kann. Diese unmittelbaren Leistungen in der Krise sind unverzichtbar und auch wichtig. Dass die Leistung der Betriebsunterbrechung übernommen werden oder die Haftungsansprüche, ist für mich genauso wichtig und sind für mich genauso grundlegende Punkte in der Deckung und ein starkes Differenzierungsmerkmal.

Natürlich haben wir mit dem ein oder anderen Dienstleister bessere und schlechtere Erfahrungen. Aber aktuell ist der Markt noch sehr jung und relativ klein: Wir werden da hinkommen, dass wir die Qualität der Schadenprozesse immer sträker in die Bewertungen einbeziehen. Aber aktuell ist das für mich quantitativ noch kein wesentliches Differenzierungsmerkmal.

Die meisten Deckungsstreitigkeiten, die wir sehen, drehen sich um die Risikofragen, die von Seiten des Versicherers gestellt wurden und vom Versicherungsnehmer gegebenenfalls nicht komplett richtig beantwortet wurden.
Ole Sieverding

procontra: Abschließende Frage: Welche Kriterien sind beim Abschluss einer Cyberversicherung entscheidend?

Sieverding: In meiner Beratung zeichne ich immer ein Dreieck auf: Die Hauptentscheidungsparameter sind der Preis, die Leistungen, also den Bedingungen auf der anderen Ecke und den sehr häufig vernachlässigten Risikofragen auf der dritten Ecke. Die meisten Deckungsstreitigkeiten, die wir sehen, drehen sich um die Risikofragen, die von Seiten des Versicherers gestellt wurden und vom Versicherungsnehmer gegebenenfalls nicht komplett richtig beantwortet wurden.

Daher geht es nicht darum, das günstigste oder leistungsstärkste Produkt zu kaufen. Vor allem sollte darauf geachtet werden, welche Risikofragen der Versicherer stellt und ob diese eindeutig wahrheitsgemäß beantwortet werden können. Einige Plattformen wollen den Markt dahin konsolidieren, dass es einheitliche Risikofragen gibt.

Für uns haben wir strategisch festgelegt, dass wir die Vielfältigkeit, in der Versicherer Risikofragen stellen, zulassen und abbilden. So kann der Kunde die Entscheidung treffen, mit welchen Risikofragen er sich wohlfühlt. Also worauf kommt es an: Auf eine schöne Ausgewichtung der drei Punkte: Preis, Leistung und Risikofragen.