NV-Vorstand Henning Bernau im Interview

„Wir wollen niemandem einen Lebenswandel vorschreiben“

Grüne Produkte, nachhaltige Anlagestrategien, interne Öko-Schwerpunkte: Warum die norddeutsche NV-Versicherung die Bergung von Geisternetzen aus der Nordsee finanziert und wie sie Unfall- und Hausratpolicen nachhaltig gestaltet – darüber klärt NV-Vorstand Henning Bernau im procontra-Interview auf.

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08:06 Uhr | 07. Juni | 2023
Henning Bernau

„Mit dieser Aktion retten wir nicht die Welt, aber es ist ein kleiner Beitrag.": NV-Vorstand Henning Bernau spricht im procontra-Interview über die Bergung alter Fischernetze aus der Nordseee und den grünen Fokus seines Unternehmens.

| Quelle: NV-Versicherung

Die Ladesäulen für Elektroautos in der vordersten Parkplatzreihe, eine ungemähte Blühwiese vor der Fensterfront des Gebäudes als Nistplatz für Insekten, Vögel und Nagetiere. Im Kellergeschoss: Umkleiden, Schränke und Duschen für die mit dem Fahrrad anreisenden Mitarbeiter, im Raum gegenüber ein Blockheizkraftwerk, das rund 100 Mitarbeiter mit Strom und Wärme versorgt. Wohin man auch blickt – das Gebäude der ostfriesischen NV-Versicherung im ostfriesischen Hafendorf Neuharlingersiel macht an allen Ecken und Enden deutlich: Für den Versicherer ist Nachhaltigkeit ein Stück gelebte Firmenphilosophie. 

Ende Mai stellte das Netzwerk "bessergrün" – dem auch die NV angehört – auf Initiative des Bremer Tauchmaklers Timo Vierow und in Kooperation mit Fonds Finanz zum zweiten Mal das „Ostfriesland-Projekt“ auf die Beine, um dem Thema Nachhaltigkeit auch in der Außenwirkung mehr Gewicht zu verleihen. Dabei fischte eine Gruppe von Hobby-Tauchern mehrere Tage lang Geisternetze aus der Nordsee, in denen sich Fische und andere Meerestiere verfangen. procontra begleitete die Bergungsaktion auf dem Wasser und sprach dort mit NV-Vorstand Henning Bernau über die Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens und das sich wandelnde Kundenbewusstsein. 

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procontra:

Das „Projekt Ostfriesland“ ging in diesem Jahr zum zweiten Mal über die Bühne. Warum hat die NV das Projekt unterstützt?                  

Henning Bernau:

Seit 2014 steht das Thema Nachhaltigkeit in unserem Unternehmen im Fokus. Als wir damit angefangen haben, dachten alle noch: Jetzt drehen sie am Deich komplett durch, das Thema war damals nicht en vogue. Zunächst haben wir Bäume gepflanzt, in Indien beispielsweise. 2019 haben wir dann das Ganze zusammen mit der Itzehoer und Inter auf professionelle Füße gestellt und mit dem Netzwerk "bessergrün" das Thema Nachhaltigkeit gezielt in den Blick genommen. Wie dringlich das Ganze ist, sieht man unter anderem an den Baggern, die hier überall stehen, um die Deiche zu erhöhen. Wenn der Meeresspiegel noch ein paar Meter weiter steigt, wird es brenzlig. Mit dieser Aktion retten wir nicht die Welt, aber es ist ein kleiner Beitrag. Die Aktion „Geisternetze“ ist aber eine „bessergrün“ Aktion. Wir unterstützen dies natürlich, weil wir vor Ort ansässig sind.

Schlauchboote im Meer

Mit Schlauchbooten fahren die Taucher aufs Meer hinaus, um aus den Tiefen der Nordsee die Geisternetze zu fischen.

| Quelle: Jens Schipper
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procontra:

Welche Strahlkraft hat denn die Aktion?

Bernau:

Zunächst einmal ist es ja so: Dass wir heute überhaupt Netze aus dem Meer fischen konnten, haben wir dadurch geschafft, dass Makler sagen: Wir bieten unseren Kunden nachhaltige "bessergrün"-Versicherungen an. Deshalb können wir solche Aktionen machen und nur deshalb konnten wir bis dato mehr als 100.000 Bäume pflanzen. Nachhaltigkeit ist noch ein zartes Pflänzchen. Bei Öko-Gas und Öko-Strom ist das Thema seit zehn, 20 Jahren bekannt. Bei Versicherungen ist es noch nicht auf dem Niveau angekommen.

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procontra:

Was muss sich ändern, damit das Thema in den Köpfen der Branche und der Kunden ankommt?

Bernau:

Ich glaube schon, dass das Thema in der Branche angekommen ist. Es ist eines der zentralen Themen mittlerweile. Die meisten Versicherungen schauen schon, wie sie sich nachhaltiger aufstellen können. Für die Ansprache der Kunden brauchen wir einfach engagierte Vermittler, die das Thema offensiv platzieren, auch auf die Gefahr hin, dass der Kunde mal nicht positiv darauf reagiert. Schließlich hilft jeder „bessergrün“ abgeschlossene Vertrag dabei, unsere Welt ökologischer zu gestalten.

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procontra:

Wie nimmt sich die NV in Bezug auf die Produktgestaltung des Themas Nachhaltigkeit an?

Bernau:

Die ökologische Komponente steht bei den Mehrleistungen im Schadenfall im Vordergrund. Beispiel Hausratversicherung: Geht dem Kunden der Kühlschrank kaputt, bekommt er nun einen der Klasse A, obwohl er vorher einen der Klasse D hatte – trotz entstehender Mehrkosten. Der Kunde bekommt also im Schadenfall mehr, damit er später Strom spart. Eine Unfallversicherung nachhaltig zu bekommen, war schwieriger. Wir haben das schließlich über den Bereich der Assistance-Leistungen geschafft. Alle unsere Assistance-Dienstleister besitzen Zertifikate für Nachhaltigkeit. Da sprechen wir beispielsweise von Bio-Lebensmitteln im Krankenhaus, von Sharing-Systemen für Heilmittel, von E-Autos im Pflegedienst. Vor 30 Jahren wäre man gar nicht draufgekommen und in 30 Jahren werden wir noch ganz andere nachhaltige Themen haben.

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procontra:

Wie ist es in anderen Unternehmensbereichen um die Nachhaltigkeit bestellt?

Bernau:

Wir legen die Versicherungsbeiträge nachhaltig an und wir machen dies transparent, in welchen Fonds, in welcher Aktie das Geld liegt, wo die Windkraftanlagen stehen, in die wir investiert haben. Das alles ist im Geschäftsbericht nachzulesen. Blühwiesen, Blockheizkraftwerk, Fahrräder, Öko-Strom und Öko-Gas etc. – auch innerhalb unseres Firmengebäudes ist Nachhaltigkeit präsent.

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procontra:

Ist bei den Kunden auch ein Wandel bemerkbar? Steigt die Nachfrage nach grünen Policen? 

Bernau:

Da muss man ehrlich sagen: Wenn ich Nachhaltigkeit ins Fenster stelle, rennen die Kunden mir nicht automatisch die Tür ein. Man muss das Thema beim Kunden schon gezielt ansprechen. Dann wird auch schnell klar, ob jemand überhaupt interessiert ist. Auf der anderen Seite merken wir auch, dass die Stimmung u.a. durch das Thema der sog. „Klimakleber“ mittlerweile auch kritisch gesehen wird. Diesen begegnen wir aber damit, dass wir den Kunden auf einfachem Wege zeigen wollen, dass es ganz einfach ist einen kleinen Beitrag in Richtung Nachhaltigkeit abzugeben. Wir wollen niemandem einen Lebenswandel vorschreiben, sondern nur eine einfache Möglichkeit aufzeigen zu einem nachhaltigeren Handeln.

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procontra:

Wie ist der Planungsstand für die Bergung von Geisternetzen im kommenden Jahr?

Bernau:

Aus den beiden bisherigen Aktionen haben wir viel gelernt. 2022 war es noch so: Wir machen das mal. Und jetzt sind wir schon doppelt so groß. Im kommenden Jahr finden im Mai /Juni in Neuharlingersiel die Europameisterschaft im Boßeln statt – deshalb müssen wir schauen, wie der Gezeitenkalender der Nordsee zu diesem Zeitpunkt aussieht. Wir werden darüber nachzudenken, weiterzumachen. Der Erfolg gibt uns dabei auch Recht. Und wir können uns sicher sein, dass wir im nächsten Jahr mindestens genauso viele Netze finden wie in diesem Jahr. Es werden leider nicht weniger, sondern immer mehr.

Fischkutter im Meer

Das von Bessergrün finanzierte „Ostfriesland-Projekt": Ein Fischkutter transportiert die gefundenen Geisternetze an Land.

| Quelle: Jens Schipper