Gastkommentar

Was den LVM mit dem FC Bayern München und Katar verbindet

Nach vehementen Protesten entschuldigte sich die LVM für einen Post über fleischlose Ernährung. Diese Reaktion zeichne „ein jämmerliches Bild unserer Branche“, kritisiert Makler Klaus Hermann.

14:01 Uhr | 11. Januar | 2023
Klaus Hermann

Kritisiert den Versicherer LVM für seine Reaktion auf die Proteste gegen einen Social-Media-Post Klaus Hermann, Geschäftsführer der KH Versicherungen GmbH.

| Quelle: Klaus Hermann

Lieber LVM, aus meiner geliebten Heimatstadt Münster. Was hat euch denn da geritten? Ihr seid der „Landwirtschaftliche Versicherungsverein“. So wie die Vereinigte Postversicherung VPV ein bevorzugter Anbieter für Mitarbeiter in Gelb ist, die DEVK ihr Kernklientel rund um die Schiene ausgemacht hat, ist der historisch bevorzugte Kunde des LVM der Landwirt. Und was macht ihr? Dem Fundament eurer nicht unerfolgreichen Unternehmensentwicklung, also der Bauernschaft, erstmal kräftig auf den Acker kacken. Sorry, aber ich benötige diese fäkale, metaphorische Entgleisung für die noch folgende Pointe. 

Stein des Anstoßes ist die „Veganuary“ Initiative, die 2014 von Privatpersonen in Großbritannien ins Leben gerufen wurde. Die Idee der Engländer ist, sich im Januar des neuen Jahres mal einen Monat lang vegan zu ernähren. 2022 beteiligen sich mehr als 426 Unternehmen an der Aktion. Darunter auch alle großen deutschen Einzelhändler und Einzelhandelskonzerne: Edeka, Aldi, Lidl, Kaufland, Rewe, Penny.

Also dachte sich der LVM: „Da machen wir doch auch mal mit und bieten in unserer Kantine im Januar jeweils auch ein veganes Menü als Ergänzung unseres Speiseplans an“. Nicht mehr und nicht weniger. Der Versicherer aus Westfalen macht das im Rahmen der Social Media Arbeit öffentlich und rechnet zum Entsetzen vieler landwirtschaftlicher Interessenverbände auch noch vor, welchen Nutzen es dem Planeten und, so ganz nebenbei, auch 3,4 Millionen Tieren bringt, wenn sich eine Million Menschen einen Monat lang vegan ernähren. Ist das zu glauben? Der Haus- und Hofversicherer tausender deutscher Mastbetriebe kritisiert das Geschäftsmodell seiner treuesten Kunden und wagt es, unser tägliches Ernährungsverhalten in Frage zu stellen.

Ein Sturm der Entrüstung in den sozialen Netzwerken

Haben denn die Entscheider mit dem Pferd im Logo schon vergessen was 2013 passiert ist? Damals, vor knapp 10 Jahren waren die Grünen so unverschämt und haben den Veggie-Day vorgeschlagen. Einen Tag pro Woche komplett fleischlos in deutschen Kantinen. Die Folge bei der wenige Wochen später stattfindenden Bundestagswahl war ein dramatischer Absturz der selbsternannten Ökopartei.

Und jetzt? Ein Sturm der Entrüstung in den sozialen Netzwerken. Der landwirtschaftliche Interessenverband „Freie Bauern“ setzt dem LVM-Vorstand ein Ultimatum und formuliert eine Entschuldigung für die Konzernleitung des Versicherers vor, die zu unterschreiben sei. Ansonsten würde man den Mitgliedern des Verbandes die Kündigung der Verträge beim LVM empfehlen. Der LVM solle die von ihm dargestellten Fakten der positiven Auswirkungen einer teilveganen Ernährung dementieren und stattdessen, nennen wir es mal, „alternative Fakten“, präsentieren.

Der vorgefertigte Text enthält tatsächlich die Aussage, dass ohne die Massentierhaltung viele pflanzliche Rohstoffe nicht verwertet werden könnten und es in deren Folge zu Hunger und Elend auf der Welt käme. Und, Achtung: Tierhaltung sei klimaneutral, da den Treibhausgasen der Tiere die CO2-Bindung durch die Fotosynthese der Futterpflanzen gegenüberstünde. Bäuerliche Tierhaltung gehe verantwortungsvoll mit den ihr anvertrauten Geschöpfen um.

Kollektiv-Entschuldigung zur Schanden-Begrenzung

Als ich das gelesen habe, ist mir vor Lachen fast der Tofu Burger aus der Hand gefallen.

Der gesamte sechsköpfige Vorstand des Versicherungsvereins aus Münster hält sich an das Ultimatum und unterschreibt kollektiv eine Entschuldigung an seine landwirtschaftlichen Kunden. Mich würde nicht wundern, wenn die Verantwortlichen heute vor der versammelten Weltpresse mit gesenktem Haupt den japanischen Harakiri Freitod anböten, um der Schande ihres Handelns Rechnung zu tragen. 

Diese Geschichte ist so, als wenn der FC Bayern München, der jährlich circa 25 Millionen Euro aus Katar erhält, sich mit den Gegebenheiten des Wüstenstaates auseinandersetzt und darauf hinweist, dass es unter Umständen vielleicht gar nicht so dumm ist, wenn Menschenrechte hin und wieder auch eingehalten würden. Dann echauffiert sich ein Scheich, worauf ein Trio aus Lichtgestalt, einem Titan und Kalle Rummenigge einen Flug nach Katar und einige Rolex Uhren später erklärt, dass man vor Ort keinen einzigen Sklaven gesehen hätte und alles in Ordnung sei.

Es gibt keine Alternative

Lieber LVM, dass ein erzkonservativer Haufen wie die freien Bauern bis zur letzten Patronenhülse die Mär von der Notwendigkeit eines Fleischkonsum in der barbarischen und industriellen Form der letzten 70 Jahre verteidigt, liegt in der Natur seines Verbandszweckes. Dass jedoch der komplette Vorstand eines Versicherers, der durch Innovationen, Weitsicht und herzerfrischend, modernen Marketingkampagnen ein großes Stück zum besseren Ansehen unserer Branche beigetragen hat, nun derart die Fakten ignoriert und vor der Lobby eines Teils ihrer eigenen Kundschaft einknickt, ist einfach nur peinlich.

Wie wäre es denn, wenn ihr einfach mal klarstellt, dass die vegane Ergänzung in euerer Kantine bei vielen Mitarbeitern sehr gut angekommen ist und die Fleischfanatiker auch in eurer Kantine weiterhin rund um die Uhr Tiere verspeisen können.

Jeder, der sich neutral mit den zur Verfügung stehenden Forschungen und Zahlen auseinandersetzt weiß, dass die 1,4 Mrd. Rinder dieser Welt und die damit verbundenen Ressourcenmengen an Wasser, Getreide und auch die Emissionen unbedingt reduziert werden müssen, wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015 einhalten wollen. Dazu müssen wir die neben dem Verkehr, der Industrie, dem Wohnsektor auch die Landwirtschaft ökologisch transformieren. Es gibt keine Alternative dazu, wenn wir die Klimaziele einhalten und bis 2050 zehn Milliarden Menschen ernähren wollen.

"Ein jämmerliches Bild unserer Branche"

Um diesen Weg zu gehen, muss man manchmal vielleicht einen großen Haufen auf den Acker seiner Kunden setzen. Mit etwas Abstand und Zeit stellt sich dann jedoch heraus, dass dieser Haufen der Dünger für Lösungen von morgen sein kann. Auch eine vegetarische und vegane Ernährung braucht die Landwirtschaft. Jede Veränderung bringt Widerstand mit sich. Dazu braucht man, um bei einem der Protagonisten meines gerade erwähnten Fußballvereins zu bleiben „Eier“. Aber das „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“ wird auch in den kommenden Jahren der weltweiten, sehr schnellen und umfangreichen Veränderungen nicht funktionieren.

Ein Vorstand, der sich derart kleinlaut aus der notwendigen Debatte einer für unsere Menschheit existenziellen Zeitenwende entzieht und sich duckt, weil eine Handvoll Kündigungen eingehen, ist schwach und gibt ein jämmerliches Bild unserer Branche ab. Gute Besserung wünscht Klaus Hermann.