Bandscheibenschaden: Muss die Unfallversicherung zahlen?

Bandscheibenschäden sind in der Unfallversicherung meistens nicht abgedeckt – es sei denn sie sind die Folge eines Unfalls. Hier gehen die Meinungen zwischen Versichertem und Versicherer in der Regel auseinander. Dass es sich lohnt, der Meinung des Versicherers zu widersprechen, zeigt ein aktueller Fall am Landgericht Dortmund.

12:07 Uhr | 16. Juli | 2020
Sind Schäden an den Bandscheiben von der Unfallversicherung gedeckt?

Sind Schäden an den Bandscheiben von der Unfallversicherung abgedeckt? Bild: pixabay

Bandscheibenschädenvorfälle sind in der privaten Unfallversicherungen nur mitversichert, wenn sich die Verletzung unmittelbar auf einen Unfall zurückführen lässt. Dass ein Unfall allerdings als Hauptursache für einen Bandscheibenschaden gesehen wird, ist äußerst selten. Auch unter dem Leistungsmerkmal "Erhöhte Kraftanstrengung" sind Verletzungen an Meniskus und Bandscheiben ausgeschlossen, weil es sich weder um Muskeln, Sehnen, Bänder noch Kapseln handelt.

Entsprechend häufig landen unterschiedliche Auffassungen zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer vor Gericht. Auch das Landgericht Dortmund hatte unlängst einen entsprechenden Fall auf dem Tisch in dem es zu klären galt, ob die Schäden an der Bandscheibe und deren Folgen überwiegend auf ein versichertes Unfallereignis zurückzuführen sind. Dem Vertrag lagen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen Stand 2011 zu Grunde. Dort heißt es unter Ziffer 5.2.1., dass Leistungen bei Schäden an Bandscheiben sowie Blutungen aus inneren Organen und Gehirnblutungen ausgeschlossen seien. Versicherungsschutz bestünde jedoch, wenn ein unter den Vertrag fallendes Unfallereignis die überwiegende Ursache sei.

Sturz von der Leiter

Ein 1943 geborener Mann stieg beim Schmücken des Weihnachtsbaums auf eine Trittleiter. Im Fallen schlug er ungebremst rückwärts mit dem Kopf seitlich gegen die Wand in Höhe der Fußleiste. Anschließend konnte er Beine und Arme nicht mehr bewegen.
Er ist seit dem Unfall halsabwärts querschnittsgelähmt und wird nach einer Notoperation im Seniorenpflegeheim versorgt.

Nach Zahlung eines Vorschusses in Höhe von 12.000 Euro lehnte seine private Unfallversicherung weitere Ansprüche ab und berief sich auf den Ausschluss für Bandscheibenschäden. Der Leiter-Sturz sei nicht die überwiegende Ursache der Bandscheibenschädigung gewesen, argumentierte der Versicherer. Die Ärzte der Versicherung kamen zu dem Ergebnis, dass unfallfremde Verschleiß- und Abnutzungserscheinungen die überwiegende Ursache der Bandscheibenschädigung seien. Das Unfallereignis spiele nur eine untergeordnete Rolle. Die Querschnittslähmung sei nicht überwiegend durch den Unfall eingetreten. Zusätzlich bestünden deutlich über das altersgemäße Maß hinausgehende Schädigungen an der Halswirbelsäule, die mit einem Mitwirkungsanteil gemäß Ziffer 3 AUB 2011 in Höhe von mindestens 80 Prozent zu berücksichtigen seien.

Dagegen wehrte sich der Mann und schaltete den auf Medizinrecht spezialisierten Anwalt Christian Koch ein. „Nach Einholung eines privaten neurochirurgischen Sachverständigengutachtens habe ich Klage erhoben und den noch offenen Invaliditätsanspruch in Höhe von 103.000 Euro und rückständige Rentenzahlungen eingeklagt. Ich habe beantragt, dass die Versicherung verpflichtet sei, an den Kläger aufgrund des Unfalles eine monatliche Invaliditätsrente in Höhe von 555 Euro zu zahlen“, so Anwalt Christian Koch.

Gutachten mussten entscheiden

In Übereinstimmung mit dem Privatgutachter kam auch der gerichtliche Sachverständige zu dem Ergebnis: Der Unfall sei überwiegende Ursache der Bandscheibenschädigung. Diese unfallbedingte Bandscheibenschädigung habe unzweifelhaft die Querschnittslähmung ausgelöst. Durch das Anschlagen des Kopfes gegen die Wand sei ein massives Flexionstrauma der Halswirbelsäule ausgelöst worden. Hierdurch sei es zu einer erheblichen Gewalteinwirkung auf die Halswirbelsäule gekommen.

Diese Gewalteinwirkung sei potentiell in der Lage gewesen, sowohl Bänder zu zerreißen als auch Knochenbrüche zu verursachen. Das Unfallereignis spräche dafür, dass die Bandscheibenverletzung überwiegend unfallbedingt sei. Die klaren prä- und intraoperativ festgestellten Schäden, mit Zerreißungen von Bandstrukturen und Bandscheibengewebe, Einblutungen in die Rückenmuskulatur seien ganz klar Traumafolgen und keine Folgen von Degeneration.

Auch der Operateur bestätigte, dass es sich nicht um einen klassischen Bandscheibenvorfall im Sinne der Versicherungsbedingungen handelte. Denke man sich die degenerativen Veränderungen weg, hätte der Unfall mit höchster Wahrscheinlichkeit zu dem gleichen Ergebnis geführt. Es handele sich um eine echte strukturelle unfallbedingte Verletzung und nicht um einen nach den Versicherungsbedingungen ausgeschlossenen Bandscheibenvorfall, so der Tenor der Gutachten.

Nach Erhalt des Gutachtens zahlte die Versicherung die gesamte Invaliditätsleistung, die offenstehenden Rentenzahlungen und die Kosten für den privaten Sachverständigen. Sie hat sich verpflichtet, ab dem Unfalltag die monatliche Rente in Höhe von 555 Euro bis zum Tode des Mandanten zu zahlen. Das Landgericht Dortmund hat durch Beschluss (AZ: 2 O 86/19) festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche Kosten des Rechtsstreits zu zahlen.