Kolumne

Was die Kleinanlegerstrategie tatsächlich bedeutet

Abseits der seit Monaten aufgeregt diskutierten Frage, ob die Europäische Union Maklern die Provision verbieten will, enthält der Entwurf einer Omnibus-Richtlinie verschiedene Herausforderungen für Versicherungsmakler.

16:09 Uhr | 25. September | 2023
Matthias Beenken

Sieht im aktuellen Entwurf zur Kleinanleger-Richtlinie zahlreiche Herausforderungen für Makler enthalten: Professor Matthias Beenken von der Fachholschule Dortmund

| Quelle: Privat

Ende Mai legte die EU-Kommission einen Entwurf für eine umfassende Überarbeitung einer Reihe bestehender Europäischer Richtlinien vor, eine sogenannte Omnibus-Richtlinie. Sie enthält unter anderem tiefgreifende Änderungen und Ergänzungen der Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD, die einer Revision der Richtlinie nahekommen.

Ein irrelevanter und ein fraglicher Fall des Provisionsverbots

Schon vor deren Erscheinen gab es intensive Diskussionen über den Vorstoß der Europäischen Finanzmarktkommissarin, Mairead McGuinness, beim Vertrieb von Anlage- und Versicherungsanlageprodukten durch ein Provisionsverbot die Rechte der Anleger besser zu schützen und ihre Bereitschaft zu Investitionen am Kapitalmarkt zu erhöhen. Der letztlich veröffentlichte Entwurf reduziert das Provisionsverbot auf zwei Sachverhalte: Zum einen auf den „Execution only“-Fall, bei dem der Kunde keine Beratung benötigt. Das ist anders als bei Finanzanlagen im Versicherungsbereich nicht relevant, denn in Deutschland jedenfalls gilt eine allgemeine, anlassabhängige Beratungspflicht. Verschärfend kommt hinzu, dass ein Versicherungsmakler nach herrschender Meinung die Beratung sogar als sogenannte Kardinalpflicht leisten muss.

Zum anderen geht es um den Fall, dass ein Vermittler behauptet „unabhängig“ zu sein. Offensichtlich wurde hier eine Regelung der parallelen Finanzmarktrichtlinie MiFID kopiert, immerhin aber in den Erläuterungen dazu betont, dass damit kein allgemeines Provisionsverbot für Makler gemeint sei. Dennoch kann es deutschen Maklern wehtun, wenn sie die Unabhängigkeit als ihr Alleinstellungsmerkmal hochhalten, aber dennoch weiter Courtagen von Versicherern erhalten wollen.

Thema Interessenkonflikte geht nicht mehr weg

Es bleibt abzuwarten, ob sich die inzwischen 38 Jahre alte Rechtsmeinung des Bundesgerichtshofs weiterhin durchsetzen wird, dass Provisionszahlungen nicht schädlich sind für den „Sachwalter“-Status des Versicherungsmaklers und damit für seine Unabhängigkeit. Andererseits gibt es bereits seit 2018 aufgrund der IDD-Umsetzung die Pflicht, dem Kunden in der Erstinformation mitzuteilen, welche Art von Vergütung der Vermittler erhält. Unter dem Strich könnte sich die Aufregung um die zugegebenermaßen unklaren Aussagen im rein englischsprachigen Text des Richtlinienvorschlags als Sturm im Wasserglas herausstellen.

Ernst nehmen muss man den Vorschlag einer Revisionsklausel. Nach dem neuen Artikel 29a Absatz 6 IDD würde die Kommission bevollmächtigt, in Abstimmung mit den europäischen Versicherungs- und Wertpapieraufsichten zu bewerten, ob es immer noch schädliche Interessenkonflikte durch Vergütungspraktiken gibt, und dann Vorschläge für Verschärfungen an das Europäische Parlament und den Rat zu machen. Selbst wenn es die Lobbyisten schaffen, einen entschärften Text zum Thema Provision zu erreichen, wird das Thema auf der Tagesordnung der europäischen Regulierer bleiben.

Vermittleraufsicht den neuen Pflichten gewachsen?

Darüber ist vielleicht aus dem Blick geraten, dass die IDD-Änderung andere, gravierende Änderungen für Versicherungsmakler mit sich bringen kann. Beispiel Vermittleraufsicht und grenzüberschreitende Vermittlung: Die EU-Kommission möchte den Mangel beheben, dass sie keine Daten über Art und Ausmaß grenzüberschreitender Versicherungsvermittlungen besitzt. Die Europäischen Aufsichtsbehörden können lediglich die Anzahl sogenannter Notifizierungen benennen, also wie viele Vermittler angegeben haben, im EU-Ausland von der Dienstleistungs- oder der Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen. Nach einem neuen Artikel 9a IDD sollen die Mitgliedsländer alle Vermittler mit mehr als 50 Kunden im EU-Ausland verpflichten, jährliche Berichte zu Art und Umfang der Auslandsaktivitäten in welchen Ländern und eventuellen Beschwerdefällen abzugeben.

Und darin liegt eine ersthafte Herausforderung: In Deutschland müssten die Industrie- und Handelskammern (IHK) die Umsetzung und Einhaltung der Berichtspflicht sicherstellen. Diese sind aber für solche Aufgabe organisatorisch, personell und finanziell nicht vorbereitet.

Sofern Deutschland nicht erneut in die Kritik geraten will, bei der IDD-Umsetzung zu patzen, muss das Aufsichtssystem überarbeitet werden. Insbesondere muss das eher unkoordinierte Nebeneinander einer Bundesaufsicht über Versicherer und deren gebundene Vertreter durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf der einen und von 16 Landesaufsichten über Vermittler mit Gewerbeerlaubnis durch 79 IHK plus lokale Vollzugsbehörden (Ordnungsämter) auf der anderen Seite auf den Prüfstand gestellt werden. Auch könnte es sein, dass analog den Versicherungsunternehmen künftig auch Versicherungsvermittler die Kosten ihrer laufenden Beaufsichtigung und des Berichtswesens per Umlage regelmäßig tragen müssen. Bisher ist das nicht der Fall.

Verschärfte Pflichten rund um Versicherungsanlagen

Eine nicht ganz unbedeutende Änderung gibt es laut dem Kommissionsentwurf bei den Bildungspflichten nach Artikel 10 IDD: Die notwendigen Bildungsinhalte werden erheblich ausgeweitet, damit Vermittler bei Versicherungsanlageprodukten die Kostenstrukturen und Szenariotechniken verstehen, Anlagen bewerten und dafür auf volkswirtschaftliche Grundkenntnisse zu Finanzmärkten zurückgreifen können. Auch werden endlich die Pflichten rund um die Nachhaltigkeit in der Richtlinie verankert, bisher gibt es dazu nur eine delegierte Verordnung der EU-Kommission.

Das wirft die praktische Frage auf, ob Erlaubnisinhaber sowohl der Versicherungs- als auch der Finanzanlagenvermittlung sozusagen mit ein und derselben Bildungsmaßnahme auf beiden Seiten die Aus- und Weiterbildungspflichten erfüllen kann oder nicht. Zudem korrespondieren diese Bildungsinhalte mit einer deutlichen Erweiterung der Pflichten beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten.

Diese sehen vor, dass unter anderem die Makler Produktangebote der Versicherer auf die Vollständigkeit der Berücksichtigung von Kosten sowie auf deren Angemessenheit hin überprüfen müssen. Dafür soll es Benchmarks der Europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA geben. Die Verantwortung für die Produktkonzeption könnte damit ein Stück in Richtung Makler verschoben werden. Spannend wird die Frage, wie die EIOPA Benchmarks definieren will, die europaeinheitlich trotz aller nationalen Besonderheiten fair den Markt abbilden und nicht etwa einseitig den Markt verzerren.

Zu jedem neuen Tarif eine Bildungsmaßnahme?

Zurück zu den Weiterbildungspflichten: Hier wird betont, dass insbesondere bei neuen Produkten Trainings erforderlich werden. Bei der Flut neuer Tarife von unterschiedlichsten Versicherern jedes Jahr dürften 15 Stunden bei weitem nicht ausreichen, wenn Makler diese Weiterbildungspflicht ernst nehmen wollen. Außerdem schwebt der EU-Kommission mehr Verbindlichkeit beim Nachweis der erfolgten Weiterbildung vor, diese soll durch Zertifikate belegt werden.

Neben dem etablierten, allgemeinen Produktinformationsblatt und dem Basis-Informationsblatt für Altersvorsorgeprodukte will die Kommission ein weiteres, spezifisches Produktinformationsblatt für Biometrieprodukte haben. Welchen Mehrwert das bietet, ist unklar, nur wird die Vielfalt der vom Makler zu prüfenden Dokumente dadurch sicher nicht kleiner.

Vorsicht sollte in Zukunft walten lassen, wer Werbung oder andere Marketingkommunikation zu Versicherungsanlageprodukten macht. Die extrem kleinteiligen, neuen Vorgaben eines Artikels 26a IDD könnte man so zusammenfassen, dass Werbung im eigentlichen Sinn für diese Produktkategorie nicht mehr statthaft ist, sondern im Grunde umfassende Produktinformationen verbreitet werden sollen. Erneut stellt sich die Frage des Mehrwertes für Kunden wie für Vertrieb, abgesehen vielleicht von der Abmahnanwälte-Industrie.

Gegen unfaires Pricing bei Schadensversicherungen

Auch jenseits der Kleinanlegerstrategie tut sich etwas, was Makler beachten sollten, die Schadenversicherungen vermitteln. Im Februar hat die EIOPA ein aufsichtliche Stellungnahme zur Preisdifferenzierung im Nichtlebensversicherungs-Geschäft veröffentlicht, durch die die nationalen Aufsichtsbehörden in die Pflicht genommen werden. Es geht dabei darum, unfaire Preisgestaltungen zu verhindern, beispielsweise Beliebigkeitsrabatte und Abschöpfungsstrategien unterschiedlicher Zahlungsbereitschaften, wie man das aus anderen Branchen und insbesondere beim Internetvertrieb unter dem Begriff Yield Management kennt. Preisunterschiede müssen immer eine versicherungstechnische Begründung aufweisen, so die Forderung.

Ausgangspunkt war wieder einmal ein Skandal in Großbritannien, das unabhängig vom Brexit immer noch den Schritt in der verbraucherorientierten Regulierung vorgibt. Dort war festgestellt worden, dass vor allem „vulnerable“ Kunden, also ältere, weniger gebildete und einkommensschwächere Kunden unter einem differenzierten Pricing leiden. Auslösender Faktor war die Bereitschaft, sich Jahr für Jahr erneut mit seinen Sachversicherungsverträgen zu beschäftigen und immer wieder auf attraktivere Neukundenkonditionen umzudecken. Der Treue war der Dumme, so könnte man die Kritik zuspitzen.

BaFin rüstet sich für zusätzliche Aufgaben

Noch ist nicht abzusehen, ob und wie die deutsche Versicherungsaufsicht auf diese Stellungnahme reagieren wird. Eines wurde aber vor kurzem auf der BaFin-Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht klar: Die Zeiten eher formalistischer Kontrolle nur der Versicherungsunternehmen zur Sicherstellung eine abstrakten Verbraucherschutzes vorwiegend durch solide Solvenzkennzahlen sind zu Ende gegangen.

Die BaFin hat personell aufgerüstet und interessiert sich zunehmend für das konkrete Vertriebsgeschehen im Markt. Durch intensive Marktbefragungen, Auswertung von Onlinevertriebsseiten oder eigene Testkäufe schauen die Aufseher inzwischen genauer hin, was in der Praxis passiert. Wenn man nun wieder den Bogen zu möglichen Folgen der deutschen Umsetzung einer Kleinanlegerstrategie schlägt, lassen sich Mandatsausdehnungen auch auf die Vermittler-Vertriebspraxis erahnen.

Allerdings gehört auch zur Wahrheit, dass das nur diejenigen Vermittler schrecken muss, die ihr Handwerk zu Zeiten des „AUA-Vertriebs“ (Anhauen, Umhauen, Abhauen) erlernt und noch nicht in jeder Hinsicht auf kundengerechte und intelligente Verkaufs- und Betreuungsprozesse umgesattelt haben.