pro & contra

Rentenpaket II: Großer Wurf oder großer Fail?

Konträre Meinungen zu den Chancen der Kapitaldeckung in der Altersvorsorge haben Anja Schulz (FDP) und Michael Popp vom Sozialverband VdK.

11:03 Uhr | 25. März | 2024
Anja Schulz (FDP) Michael Popp (VdK)
| Quelle: Anja Schulz (FDP); Michael Popp (VdK)

pro: Mit dem Generationenkapital leiten wir einen Paradigmenwechsel in der gesetzlichen Rente ein

Anja Schulz, MdB und Berichterstatterin für Rentenpolitik (FDP)

Mit dem Generationenkapital leiten wir einen Paradigmenwechsel in der gesetzlichen Rente ein: Indem wir die teilweise Kapitaldeckung einführen, schaffen wir ein dringend benötigtes zweites Standbein – neben Beitragszahlungen und Steuermitteln. Unser umlagefinanziertes Rentensystem passt nicht zu unserer Bevölkerungsstruktur. Das wissen wir seit Jahrzehnten. Trotzdem gab es in dieser Zeit deutlich mehr Leistungsausweitungen als nachhaltige Reformen zur besseren Finanzierbarkeit. Bei der Einführung des aktuellen umlagefinanzierten Systems in den 50er Jahren haben sechs Beitragszahler eine Rente finanziert. Heute sind es nicht einmal mehr zwei. Das bedeutet, dass die entstandenen Finanzierungslücken mit Steuergeld gestopft werden. Also beteiligen sich die heutigen Arbeitnehmer doppelt am Rentensystem: zum einen durch ihre Beiträge und zum anderen mit einem immer größer werdenden Anteil ihrer Steuern. Der Generationenvertrag ist zur Einbahnstraße geworden.

Kritik zum Generationenkapital beruht fast ausschließlich auf Unwissenheit

Dieser Entwicklung dürfen wir nicht weiter zusehen. Wir brauchen Lösungen, die in Jahrzehnten gedacht sind. Viele andere Länder setzen schon längst auf die Chancen des Kapitalmarkts, um ihre Sozialversicherung besserzustellen. Damit lösen sie sich ein stückweit von den oben beschriebenen Faktoren und profitieren vom Wachstum anderer Volkswirtschaften. So wird die Prämienrente in Schweden bis 2030 20 Prozent der gesamten Rentenzahlung ausmachen, obwohl hierfür nur ein Zehntel des Beitragssatzes aufgewandt werden. Bei einer Rendite von bisher 11 Prozent pro Jahr ist das sehr realistisch. In Norwegen stehen pro Einwohner rund 200.000 Euro zur Verfügung. Zwar ist die Finanzierung des dortigen Staatsfonds eine andere, doch die Performance des Fonds der letzten 20 Jahre verdeutlicht anschaulich, welche Chancen der Kapitalmarkt bietet.

Unser umlagefinanziertes Rentensystem passt nicht zu unserer Bevölkerungsstruktur.
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Anja Schulz

MdB und Berichterstatterin für Rentenpolitik (FDP)

Deutschland kann es sich nicht mehr leisten, diese Potenziale ungenutzt zu lassen. Vor allem dann nicht, wenn die Kritik zum Generationenkapital fast ausschließlich auf Unwissenheit beruht. Ist aktuell also von „Casino-Rente“ und „Zockerei“ die Rede, kann die Antwort hierauf nur Finanzbildung sein. Dass diese Mythen überhaupt verfangen, erklärt, weshalb die Deutschen Sparbuch-Weltmeister sind – und ihrer eigenen Vorsorge dadurch schaden. Insofern ist es sinnvoll, dass der Staat mit gutem Beispiel voran geht, und für seine Bürger langfristig und breit gestreut am Kapitalmarkt investiert. Bis Mitte der 2030er Jahre soll der Kapitalstock sich auf mehr als 200 Mrd. Euro belaufen. Die Rendite soll der Rentenversicherung zugutekommen, um künftige Beitragssatzsteigerungen abzufedern. Davon profitieren vor allem junge Arbeitnehmer und diejenigen, die es bald sein werden. Auch sie haben das Recht darauf, in der Rentenpolitik mitgedacht zu werden. Richtung Generationengerechtigkeit ist es noch ein weiter Weg, aber der erste Schritt dorthin ist der wichtigste.

contra: Die Stiftung Generationenkapital ist nicht dazu geeignet, die Rentenfinanzen in Ordnung zu bringen.

Michael Popp, Referent für Alterssicherung beim Sozialverband VdK

Mit dem Rentenpaket II beginnt eine neue Ära. Nicht mehr ein möglichst niedriger Beitragssatz, sondern eine angemessene Rente ist zukünftig das Ziel. Für den Sozialverband VdK ist die Garantie eines Mindestrentenniveaus von 48 Prozent bis zum Jahr 2039 ein erster wichtiger Schritt, um das Vertrauen und die Akzeptanz der gesetzlichen Rente auch für zukünftige Generationen zu sichern.

Diesem ersten Schritt müssen aber weitere folgen. Das Mindestrentenniveau sollte über das Jahr 2039 hinaus festgeschrieben und auf 53 Prozent angehoben werden. Deutschland hinkt im Vergleich mit Volkswirtschaften wie Österreich oder den Niederlanden mit Blick auf die Bruttoersatzrate, also dem Anteil der Renten am Verdienst vor Rentenbeginn, deutlich hinterher. Weder die staatlich geförderte private noch die betriebliche Altersvorsorge kann in der Breite die Lücke im Versorgungsniveau schließen.

Um ein gutes Rentenniveau zu finanzieren, müssen endlich alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen.

Dafür müssen wir aber auch langfristig die Rentenfinanzen in Ordnung bringen. Die Stiftung Generationenkapital ist dazu nicht geeignet. Sie soll schuldenfinanzierte Darlehen des Bundes auf dem Kapitalmarkt anlegen. Aus den Renditen sollen die Zinsen des Bundes bezahlt und Erträge an die Rentenkasse überwiesen werden. Ab 2024 sind dafür zwölf Milliarden Euro vom Bund vorgesehen. Dieser Betrag steigt jährlich um 3 Prozent an, und 2036 wären 200 Milliarden Euro auf dem Kapitalmarkt angelegt. Ab dann sollen daraus jährlich nur zehn Milliarden Euro Rendite zur Entlastung an die gesetzliche Rente fließen.

Der Beitrag des Generationenkapitals ist zu gering, kommt zu spät und ist nicht verlässlich prognostizierbar.
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Michael Popp

Referent für Alterssicherung beim Sozialverband VdK

Dieser Beitrag des Generationenkapitals ist zu gering, kommt zu spät und ist nicht verlässlich prognostizierbar. Das haben im Vorfeld der Sachverständigenrat, die Bundesbank und der Sozialbeirat vorgerechnet. Kritisch sehen wir, dass negative ökologische und soziale Auswirkungen durch nicht nachhaltige Investitionsstrategien im Bereich der Daseinsvorsorge und ökologisch schädliche Investitionen gesetzlich nicht ausgeschlossen sind. Aufgrund der hohen Renditeerwartungen an einen öffentlichen Fonds sind sie sogar wahrscheinlich.

Um ein in unseren Augen gutes Rentenniveau zu finanzieren, braucht es andere Quellen: Alle Erwerbstätigen müssen endlich in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Außerdem sollten hohe Einkommen stärker an der Finanzierung der Rente beteiligt werden. Und wir schlagen eine überproportionale Beteiligung der Arbeitgeber an den steigenden Rentenbeiträgen vor, so wie es in Österreich der Fall ist. Um nicht-beitragsgedeckte Ausgaben aus der Rentenkasse zu finanzieren, müssen die Zuschüsse des Bundes in die gesetzliche Rentenversicherung dauerhaft erhöht werden.

Der stärkste Renten-Booster aber wäre, die Erwerbsbeteiligung von Frauen, Menschen mit Behinderung und Geflüchteten zu erhöhen und gute Löhne zu zahlen. Das würde das Rentensystem nachhaltig stabilisieren.