Schreiben an Lindner und Scholz

Kassen und Sozialverbände fordern höhere Steuergelder für die Pflege

Auf 4,5 Milliarden Euro summiert sich das Defizit in der sozialen Pflegeversicherung, eine grundlegende Reform blieb bislang aus. Derweil steigen die Eigenanteile weiter. Nun appellieren Pflegekassen und Sozialverbände an den Bund, mehr Geld einzutreiben.

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12:02 Uhr | 24. Februar | 2023
Christian Lindner und Olaf Scholz

Mit einem Schreiben an Bundesfinanzminister Christian Lindner und Kanzler Olaf Scholz wollen Pflegekassen und Sozialverbände dafür sorgen, das Milliardendefizit in der sozialen Pflegeversicherung abzubauen.

| Quelle: Sean Gallup / Staff

Vor ein paar Tagen versetzte eine DAK-Studie in Alarmbereitschaft: Wegen der stetig gestiegenen Eigenanteile müssen immer mehr Pflegebedürftige Sozialhilfe beantragen. Bis 2026 werde ihr Anteil bei 36 Prozent liegen. Die gesetzliche Pflegeversicherung ist tief in den roten Zahlen – und das Defizit wächst weiter, eine grundlegende Reform legte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bisher nicht vor.

Das ruft nun die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen sowie die großen Sozialverbände auf den Plan: Mit einem Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner machten sie die Notwendigkeit deutlich, das marode gesetzliche System auf ein zukunftssicheres Fundament zu stellen. Nach einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland fordern sie in dem Schreiben, die Finanzierungslücke rasch durch Steuermittel in Milliardenhöhe auszugleichen. Kein Adressat des Schreibens war Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Es sei an ihn lediglich „nachrichtlich“ versandt worden, hieß es.

Liquidität nicht zu Lasten der Beitragszahler

Um das System kurzfristig im laufenden Jahr zu stabilisieren, seien bereits mindestens 4,5 Milliarden Euro nötig, schreiben die Kassen und Verbände. Konkret heißt es in dem schriftlichen Appell: „Wir bitten Sie daher eindringlich, die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung durch Bundesmittel schnell zu stabilisieren, damit die notwendige Sicherung der Liquidität nicht ausschließlich zu Lasten der Beitragszahlenden erfolgt.“

2022 hatte die Finanzierungslücke in der gesetzlichen Pflegeversicherung bei 2,25 Milliarden Euro gelegen; für das laufende Jahr wird ein weiterer Fehlbetrag von drei Milliarden Euro erwartet. Das Schreiben verweist darauf, dass die wachsende Zahl von Pflegebedürftigen und die steigenden Ausgaben, die unter anderem durch die seit September geltende Tarifpflicht für Angestellte verursacht werden, die Pflegekosten weiter in die Höhe treiben werden. Hinzu komme: Bislang habe der Bund die durch die Corona-Pandemie entstandenen Mehrkosten von insgesamt 5,5 Milliarden Euro nicht erstattet.  

Daher solle der Bund diese Mehrkosten überweisen und zudem die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige in Höhe von rund drei Milliarden Euro übernehmen. „Eine solidarische und dauerhaft verlässlich finanzierte Pflegeversicherung leistet einen bedeutenden Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit in unserem Land“, formulieren die Unterzeichner des Schreibens. Es müsse eine zusätzliche finanzielle Belas­tung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler vermieden werden.

PKV lehnt die Steuerfinanzierung ab

Ein hohes Armutsrisiko im Pflegefall sieht der PKV-Verband hingegen nicht. Dass die Eigenanteile bei den Pflegekosten immer mehr Sozialfälle auslösen, wie es die DAK-Studie kürzlich formulierte, stimme nicht, erklärte Verbandsdirektor Florian Reuther in einem Statement. „Vor der Einführung der Gesetzlichen Pflegeversicherung waren über 80 Prozent der Heimbewohner von Sozialhilfe abhängig, dieser Anteil ist durch die Pflegeversicherung auf unter ein Drittel gesunken und seither stabil“, sagte er. Die Pflegeversicherung erfülle daher weiterhin „erfolgreich ihren sozialpolitischen Auftrag“.

Eine Steuerfinanzierung der Pflegeversicherung lehnt der Verband ab. Sie führe „zu zusätzlichen Schulden und noch mehr Lasten auf den Schultern der Jüngeren“. Ohnehin könnten sich aktuell fast 70 Prozent der Rentnerhaushalte eine vollstationäre Pflegeversorgung für mehrere Jahre leisten, ohne dass sie finanzielle Hilfe benötigten. Für alle anderen erfüllte der Sozialstaat seine Aufgabe der „gezielten Unterstützung nach Bedürftigkeit“.