Pflegereform ab 1. Juli

Die größten Änderungen für Versicherte

Höhere Beiträge für Kinderlose und mehr Entlastungszuschläge für Pflegebedürftige: Am 1. Juli tritt die neue Pflegereform von Karl Lauterbach in Kraft. procontra hat die wichtigsten Neuerungen zusammengefasst.

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14:06 Uhr | 26. Juni | 2023
Zersprungene Glühbirne

Führen die in der neuen Pflegereform enthaltenen Ideen tatsächlich zum Ziel? Schon jetzt mehrt sich Kritik an dem ab 1. Juli geltenden Gesetz.

| Quelle: Rost-9D

Das Defizit in der gesetzlichen Pflegeversicherung summiert sich aktuell auf 4,5 Milliarden Euro, die Eigenanteile steigen unaufhörlich weiter und lagen zuletzt Anfang des Jahres im Schnitt bei durchschnittlich 2.411 Euro pro Monat: Der Reformbedarf der gesetzlichen Pflegeversicherung ist demnach groß – brachte doch die seit Januar 2022 geltende, von Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf den Weg gebrachte Reform bislang kaum Verbesserung. Daher legte nun Spahns Nachfolger Karl Lauterbach mit dem Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz (PUEG) nach, im Mai erteilten Bundesrat und Bundestag der neuen Pflegereform grünes Licht. Das Gesetz, das schon jetzt etliche Kritiker auf den Plan ruft, tritt am 1. Juli in Kraft. Das sind die wichtigsten Neuerungen:

Höhere Beiträge für Kinderlose

Für Millionen von Arbeitnehmern wird die Pflegeversicherung teurer. Am drastischsten fällt der Anstieg für Kinderlose aus: Für sie erhöhen sich ab 1. Juli die Beitragssätze um 0,6 Prozentpunkte auf dann 4,0 Prozent. Arbeitnehmer mit Kindern zahlen weniger beziehungsweise profitieren von einem reduzierten Beitragssatz. Konkret bedeutet das: Eltern von nur einem Kind zahlen 0,35 Prozentpunkte mehr, ihr Beitragssatz liegt künftig bei 3,4 Prozent. Eltern von mehreren Kindern unter 25 Jahren müssen in Zukunft weniger Kosten stemmen: Bei Versicherten mit zwei Kindern reduziert sich der Beitragssatz um 0,25 Prozentpunkte auf 3,15 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens, bei drei Kindern liegt der „Rabatt“ bei 0,5 Prozentpunkten. Eltern mit fünf oder mehr Kindern müssen künftig 2,4 Prozent ihres bruttopflichtigen Einkommens für die Pflegeversicherung abtreten.

Mit der Differenzierung des Beitragssatzes nach der Kinderzahl reagiert die Bundesregierung auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 7. April 2022.

Kinderzahl

Beitragssatz

Arbeitnehmer-Anteil

Kein Kind

4,0 %

2,3 %

1 Kind, unabhängig vom Alter

3,40 %

1,7 %

2 Kinder, jünger als 25 Jahre

3,15 %

1,45 %

3 Kinder, jünger als 25 Jahre

2,90 %

1,2 %

4 Kinder, jünger als 25 Jahre

2,65 %

0,95 %

Ab 5 Kinder, jünger als 25 Jahre

2,40 %

0,7 %

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Pflegebedürftige bekommen mehr Pflegegeld

Um Pflegebedürftige finanziell zu entlasten und pflegende Angehörige zu unterstützen, werden parallel die Leistungsbeträge angehoben. Zum 1. Januar 2024 soll zunächst das Pflegegeld um fünf Prozent angehoben werden, auch die Leistungsbeträge für ambulante Sachleistungen – also häusliche Pflegehilfen durch ambulante Pflege- und Betreuungsdienste – steigen um fünf Prozent. 2025 und 2028 sind weitere Anpassungen der Geld- und Sachleistungen entsprechend der Preisentwicklung vorgesehen.

Steigende Eigenanteile in den Griff bekommen  

Ein weiteres Kernelement der Reform: Um den seit Jahren steigenden Eigenanteilen Herr zu werden, werden die 2022 eingeführten Entlastungszuschläge ab 1. Januar 2024 angehoben – abhängig von der Aufenthaltsdauer im Pflegeheim. Bei einem Heimaufenthalt von bis zu einem Jahr reduziert sich in Zukunft der Eigenanteil um 15 statt wie bisher um fünf Prozent. Im zweiten Jahr sind es 30 statt 25 Prozent und im dritten Jahr des Heimaufenthaltes sollen die Eigenanteile um 50 statt bisher 45 Prozent zurückgehen. Ab dem vierten Jahr ist eine Reduzierung um 75 Prozent geplant (bisher: 70 Prozent). Die Zuschläge beziehen sich allerdings lediglich auf die reinen Pflegekosten. Die Kosten für die Unterbringung und Verpflegung im Heim tragen die Menschen weiterhin komplett allein.

Verbesserung beim Pflegeunterstützungsgeld

Auch beim Pflegeunterstützungsgeld gibt es Änderungen: Wer einen Angehörigen pflegt, kann künftig für bis zu zehn Arbeitstage pro Kalenderjahr je pflegebedürftiger Person finanzielle staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen. Eine Verbesserung des Status quo: Bisher war das Pflegeunterstützungsgeld auf einmalig zehn Arbeitstage je pflegebedürftiger Person begrenzt.

Etwas mehr Transparenz

Zudem soll mit dem PUEG die Transparenz für Versicherte größer werden. Bisher waren die gesetzlichen Pflegekassen verpflichtet, Versicherten eine Übersicht über die von ihnen in Anspruch genommenen Leistungen und den Kosten zu übermitteln. Ab 1. Januar 2024 ist eine solche Übersicht auf Wunsch jedes Kalenderhalbjahr möglich.

Dass die neue Reform geeignet ist, um das marode System der sozialen Pflegeversicherung zu sanieren, wird aus etlichen Richtungen angezweifelt. Kritik gab es bereits aus den Reihen von Politikern und Sozialverbänden. Aktuell geht auch eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) mit dem Gesetz hart ins Gericht. Demnach fülle die Reform in der vorliegenden Form die klaffende Finanzierunglücke nicht. Die geplante Entlastung von Pflegebedürftigen und pflegenden Angehören sei „fehl am Platz“, schreiben die IW-Ökonomen. Schließlich sorge der Fachkräftemangel für steigende Arbeitskosten, zudem würden die Pflegefallzahlen infolge der demografischen Entwicklung weitersteigen. „Das allein wird die Finanzierungserfordernisse weiter in die Höhe treiben“, resümieren die Studienautoren. Zusätzliche Leistungsversprechen würden das Problem verschärfen anstatt es zu lösen.