Vertriebe in der Kritik 1/3

Provisionssperre, Aufhebungsverträge und lange Fristen – was „Strukkis“ bei einer Kündigung ärgert

Strukturvertriebler beklagen den Umgang mit ihnen bei Ausspruch einer Kündigung. Dabei scheinen die Details ihrer Verträge den wenigsten vollends bewusst.

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15:01 Uhr | 17. Januar | 2023
Wütende Fäuste auf dem Tisch vor Vertragsdokument
| Quelle: Vaselena

Das Verhältnis zwischen Strukturvertrieben und dem freien Maklervertrieb ist zunehmend angespannt und emotional aufgeladen. Ehemalige Strukturvertriebler beklagen die Hürden bei einem Ausstieg, die Vertriebe wettern gegen Fremdgeschäft und Abwerbeaktivitäten am Markt (procontra berichtete). In den Gesprächen mit (ehemaligen) Strukturvertrieblern bzw. Handelsvertretern wird klar: Es fehlt oftmals an Wissen, worauf man sich eingelassen hatte, als man sich vertraglich einem Strukturvertrieb anschloss.

procontra recherchiert seit Längerem zu den Wechselbewegungen und -gründen von Strukturvertrieblern. In den vergangenen Monaten erreichten die Redaktion dazu zahlreiche Zuschriften, in denen Handelsvertreter von Strukturvertrieben den Umgang mit ihnen beklagten, sobald sie ihre Kündigung eingereicht hatten. Im Kern geht es um eine Provisionssperre, ausgelöst durch eine Art „Henne-Ei-Problematik“, bei der sich beide Seiten im Recht sehen. Doch der Reihe nach.

Presseanfrage ruft Anwaltskanzlei auf den Plan

Über eine erste formelle Presseanfrage an Strukturvertriebe wurden zunächst die Dauer der Kündigungsfristen und die Handhabe von Provisionszahlungen und Stornohaftung während der Kündigungsfrist erfragt. Schon bei diesen Formfragen fielen die Reaktionen sehr unterschiedlich aus: Die DVAG und tecis antworteten sachlich und umfänglich, Bonnfinanz reagierte auch auf Nachfrage gar nicht, OVB erkundigte sich nach den Beweggründen der Anfrage und verzichtete anschließend auf eine Antwort.

Bei der Telis kam die Antwort direkt aus der Anwaltskanzlei. Ungefragt schickte diese zusätzlich eine Korrespondenz zwischen Telis und Fonds Finanz sowie eine einstweilige Verfügung (EV) gegenüber einem ehemaligen Mitarbeiter/einer ehemaligen Mitarbeiterin zur Kenntnis mit. Ein Novum für die Redaktion.

Ferner wurden in einem fünfseitigen Schreiben zwar die Formfragen beantwortet, jedoch auch die journalistische Intention angezweifelt. Der Grund unserer Presseanfrage sei „kein die Öffentlichkeit und noch nicht einmal die Verkehrskreise der Handelsvertreter oder Makler aktuell beschäftigendes Thema“ und „die Themen Kündigungsfristen, Handhabung der Provisionszahlungen und der Stornoreserve wären auch keine, die uns persönlich eingefallen wären“, hieß es.

Natürlich tangieren diese Themengebiete und Entwicklungen der Vertriebswege die procontra-Fachredaktion tagtäglich. Die Reaktion zeigte vielmehr, wie sehr es hinter den Kulissen brodelt. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich die Telis-Vorstände Stefanie Alt und Martin Pöll für die Art und Weise der Reaktion ihrer Anwaltskanzlei bei der procontra-Redaktion persönlich entschuldigten.

Unwissenheit bei (Quer-)Einsteigern

Strukturvertriebe wie Telis, tecis, DVAG oder auch OVB gewinnen häufig Quereinsteiger, die bislang kaum Berührungspunkte mit den Rechten und Pflichten eines Handelsvertreters hatten. Motiviert durch ein Einsteiger-Seminar mit Tschaka-Tschaka-Ambiente wird oft voreilig ein Vertrag unterschrieben, ohne sich vorab mit den Details – vor allem im Falle einer späteren Trennung – auseinanderzusetzen. Das führt zwangsläufig zu Konflikten.

Stefan Erken (Name durch Redaktion geändert) war so ein Quereinsteiger. Bei der Telis kletterte er innerhalb kurzer Zeit auf die dritte Stufe des Kanzleimanagers. „Strukturvertriebe finde ich vom System her super. Gerade der Start in die Selbstständigkeit ist dank der Führungskraft sehr einfach. Die Aus- und Weiterbildungen sind inhaltlich hochwertig und vernünftig geregelt. Dafür gibt man am Anfang eben den Großteil seiner verdienten Provision ab. Das finde ich sogar noch halbwegs vertretbar“, lobt Erken das System.

Schon nach kurzer Zeit habe ich komplett eigenständig gearbeitet und mich gefragt, warum ein Großteil des Umsatzes noch an die Stufen über mich fließen.
Stefan Erken*, Ex-Telisianer

*Name durch Redaktion geändert

Doch nach dem Start kam die Erkenntnis: „Schon nach kurzer Zeit habe ich komplett eigenständig gearbeitet und mich gefragt, warum ein Großteil des Umsatzes noch an die Stufen über mich fließen. Teilweise verdienen Leute an meinem Geschäft, die noch nicht einmal wissen, wer ich bin.“ Darauf hatte Erken keine Lust mehr und kündigte. Heute weiß er: Der eigene Umsatz füttert auch die Struktur darüber. So funktioniert Strukturvertrieb, und das bedeutet vor allem für die erste Stufe: viel Arbeit, wenig Ertrag.

Von der Courtage des vermittelten Geschäfts bekommt der Handelsvertreter nur einen bestimmten Teil. Der Rest geht an die höheren Karrierestufen in der Struktur.
Courtageverteilung im Strukturvertrieb

Kurz nach seiner Kündigung bekam Erken dann ein Schreiben der besagten Anwaltskanzlei der Telis. Der procontra-Redaktion wurden solche Schreiben von mehreren ehemaligen Mitarbeitern vorgelegt. Darin wurde vorbehaltlich, unter Anerkennung des Kündigungswunsches, erinnert:


(...) Sofern Ihnen nunmehr durch Dritte in Aussicht gestellt wird, dass Sie noch während der laufenden Kündigungsfrist keine Tätigkeit mehr für die Telis Finanz Vermittlung AG erbringen sollen, sondern stattdessen über Decknummern anderer Vermittler bei anderen Gesellschaften Geschäfte einreichen sollen, ist dies – sicherlich auch nach Ihrem Verständnis – offensichtlich rechtswidrig.

Dies kann aber zu einer Gefährdung der eigenen wirtschaftlichen Existenz führen, da derartige Fremdvermittlungstätigkeiten regelmäßig, früher oder später in gerichtlichen Verfahren oder bei Hausdurchsuchungen durch die Staatsanwaltschaft nachgewiesen werden.  (...)

Laut Handelsvertretervertrag ist es untersagt, während der Beschäftigungsdauer – also auch während der Kündigungsfrist – Geschäft anderweitig einzureichen. Doch trotz dieser Vertragsgrundlage und der Erinnerung durch das Anwaltsschreiben halten sich nicht alle Mitarbeiter daran, wie auch Erken bestätigt: „Nicht alle Mitarbeiter verlassen den Betrieb vertragsgemäß und sauber.“ Er selbst habe während seiner Zeit nie Fremdgeschäft eingereicht. Seine Kündigungsfrist betrug auch nur drei Monate. procontra liegen Fälle vor, in denen die Kündigungsfrist jedoch bis zu 24 Monate beträgt (zum Beispiel DVAG, SwissLifeSelect). Fließen während einer so langen Frist weniger oder auch gar keine Provisionen, entstehen ernsthafte Existenznöte. Doch wie kann es dazu überhaupt kommen?

Während der gesamten Beschäftigungsdauer (inklusive Kündigungsfrist) ist es Handelsvertretern untersagt, Geschäft selbst oder über Dritte anderweitig einzureichen. Wer hier zuwiderhandelt, begeht Vertragsbruch und riskiert hohe Geldstrafen.
Verbot von Fremdgeschäftvermittlung

Provisionssperre – Ausnahme oder Regel?

Ein Passus im Handelsvertretervertrag erlaubt es den Vertrieben, während der Kündigungsfrist von weiteren Provisionsvorschüssen abzusehen. Beispielsweise heißt es dazu im Handelsvertretervertrag der Telis unter den allgemeinen Provisionsbedingungen:

„Im Zeitraum zwischen Ausspruch und Wirksamwerden einer Kündigung ist Telis berechtigt, von der weiteren Bevorschussung von Provisionen abzusehen und eine Sicherheiten-Quote von 100% (auch für noch offene Provisionen) festzulegen.“

Auch die OVB bestätigt, dass nach Zugang einer ordentlichen Kündigung von einem automatischen auf einen nicht automatischen Auszahlungsprozess umgestellt wird. „Diese Umstellung ist erforderlich, weil sich unter Umständen eine veränderte Risikolage vor allem für die Frage der Bevorschussung der Abschlussprovisionen ergibt“, begründet eine Sprecherin der OVB. Im Anschluss erfolge eine individuelle Einschätzung der Risikosituation des scheidenden Mitarbeiters.

Im Klartext: Wird diese Option gezogen, werden erst mal keine Abschlussprovisionen mehr ausgezahlt, bis die gewünschte Sicherheiten-Quote erfüllt ist. Vielen sind diese vertragliche Option und die Faktoren, die diese Entscheidung beeinflussen, nicht bekannt. Kommt es dann zum Provisionsstopp, entstehen vor allem bei langen Kündigungsfristen Existenznöte. So berichten es mehrere Strukturvertriebler, die sich teilweise noch in der Kündigungsfrist befinden, gegenüber procontra.

Die Umstellung auf einen nicht automatischen Auszahlungsprozess ist erforderlich, weil sich unter Umständen eine veränderte Risikolage vor allem für die Frage der Bevorschussung der Abschlussprovisionen ergibt.
Sprecherin der OVB

„Mit meiner Kündigung wurden Provisionszahlungen eingestellt und meine Zugänge zum Beratungsrechner und E-Mail-Postfach gesperrt“, klagt beispielsweise ein Ex-OVBler gegenüber procontra, der laut eigenen Angaben 2017 bei der OVB einstieg. Im Mai 2021 reichte dieser seine Kündigung ein, Vertragsende war dann erst der 31. Dezember 2022. Der Option auf einen „nicht automatisierten Auszahlungsprozess“ nach Kündigung und dessen Bedingungen war auch er sich nicht ausreichend bewusst. „Rund eineinhalb Jahre musste ich private Reserven aufbrauchen, um über die Runden zu kommen“, so der ehemalige Strukturvertriebler.

Daniel Berger, Rechtsanwalt Wirth Rechtsanwälte

Daniel Berger, Rechtsanwalt der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte

| Quelle: Wirth Rechtsanwälte

In allen Fällen, wo uns bereits Unterlagen zur Abrechnung vorliegen, wurde bei Telis eine Provisionssperre eingerichtet.
Daniel Berger, Rechtsanwalt der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte

Wirth Rechtsanwälte

Doch was sind die Entscheidungsgrundlagen für die Option auf eine Provisionssperre, und wie oft wird sie gezogen? Eher selten, meint zumindest Telis-Vorstand Pöll: „Mir liegt jede Kündigung persönlich vor. Ich schaue mir dann bestimmte Qualitätskennziffern und weitere Faktoren des Mitarbeiters an und entscheide individuell, ob die Stornoabsicherung auf 100 Prozent überhaupt eingestellt wird“, erklärt er und ergänzt: „Wer gutes Geschäft macht, ist von dieser Option kaum betroffen.“ Doch Rechtsanwalt Daniel Berger von der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte sieht darin eher die Regel als eine Ausnahme. „Aktuell betreue ich über 50 ehemalige Telisianer. In allen Fällen, wo uns bereits Unterlagen zur Abrechnung vorliegen – das sind mittlerweile rund 30 –, wurde eine Provisionssperre eingerichtet. Ich gehe davon aus, dass es in den restlichen Fällen ebenfalls der Fall sein wird.“

Mir liegt jede Kündigung persönlich vor. Ich entscheide dann individuell, ob die Stornoabsicherung auf 100 Prozent überhaupt eingestellt wird.
Martin Pöll

Vorstand Telis-Finanz

Die Gretchenfrage hierbei: Wann wird die Option auf eine Provisionssperre gezogen? Hier schieben sich die Parteien den schwarzen Peter zu, was die erwähnte „Henne-Ei-Problematik“ erzeugt. Provisionsvorschüsse und Stornoreserven werden unter Berücksichtigung des Neugeschäfts und der Stornoquoten des Handelsvertreters kalkuliert. Flattert die Kündigung ins Haus, schaut der Vorstand ganz genau auf diese Entwicklung und befragt mitunter die jeweilige Führungskraft zum Mitarbeiter. So können auch subjektive Einschätzungen zum Tragen kommen. Die Praxis zeige dann oft, dass der scheidende Mitarbeiter seine Neugeschäftsaktivitäten bereits einige Zeit vor seiner Kündigung zurückgefahren hat. Steigt dann auch noch die Stornoquote (durch eventuelle Umdeckungen über Dritte), dann verschlechtert sich die Risikolage. So die Sicht der Vertriebe.

Die Argumentation von Vertrieblern in der Kündigungsphase hingegen: „Warum soll ich noch Neugeschäft einreichen, wenn ich gar keine Provisionen mehr bekomme?“ Oder: „Wie soll ich Neugeschäft generieren, wenn mir der Zugang zum Beratungssystem gesperrt wurde?“ Auch hier beobachtet Anwalt Berger bei den betreuten Telisianern: „Wesentliche Funktionen des Telis-Online-Systems werden gesperrt. Betroffen sind insbesondere auch solche Funktionen, die der Mitarbeiter zur Ausübung seiner Handelsvertretertätigkeit benötigt.“ Eine Aussage mit Sprengkraft – würde dies für alle Strukturvertriebler während der Kündigungsphase gelte.

Telis-Vorstand Pöll versichert hingegen im Exklusiv-Interview mit procontra: „Wenn jemand kündigt, gewährleisten wir ein System, das die ordnungsgemäße Betreuung der Mandanten und die Generierung von Neugeschäft jederzeit ermöglicht.“ Auch die OVB bestreitet, dass Mitarbeiter ab dem Zeitpunkt ihrer Kündigung eingeschränkt werden: „Es gibt keinen Prozess, Zugänge zu unseren Systemen zu sperren, nachdem das Vertragsverhältnis mit einer Finanzvermittlerin oder einem Finanzvermittler ordentlich gekündigt worden ist“, so eine Sprecherin. Das sehen ehemalige Mitarbeiter anders. Ein weiterer ehemaliger OVBler, der selbst fast 20 Jahre im Vertrieb tätig war, meint gegenüber procontra: „Es ist schon eher die Regel als eine Ausnahme, dass nach der Kündigung alle Konten und Zugänge (Provision, E-Mail, Beratungssoftware) gesperrt werden.“

Es steht Aussage gegen Aussage. Was allerdings bleibt: Beide Seite haben sich in ein echtes Dilemma manövriert, in dem sich fehlendes Neugeschäft und Provisionssperre gegenseitig verstärken. Scheidende Handelsvertreter müssen sich angesichts der bestehenden Option auf Provisionssperre die Frage gefallen lassen, wie sie – auch schon unmittelbar vor ihrer offiziellen Kündigung – agiert haben. Wurde Neugeschäft im gewohnten Umfang erzielt oder bis zur Aufnahme der neuen Tätigkeit „aufgespart“? Hat sich die Stornoquote nachteilig entwickelt – auch weil bereits Umdeckungen über Dritte stattfanden? In jedem Fall müssen sich Handelsvertreter darüber im Klaren sein, dass ihre Einkommenssituation während der Kündigungsfrist im Zweifel von der Entscheidung eines Vorstands abhängt, der dabei auch subjektive Kriterien ansetzen kann.

Während der Kündigungsfrist ist der Vertrieb mitunter berechtigt, von einer weiteren Bevorschussung der Abschlussprovisionen, auch aus subjektiven Gründen, abzusehen.
Provisionsvorschüsse während der Kündigungsfrist

Obacht bei Aufhebungsverträgen

In den Fällen, die sich an procontra wandten, sind die Fronten verhärtet. Ex-Telisianer Erken war vom Provisionsstopp ebenfalls betroffen. Bei seiner Kündigungsfrist von drei Monaten ließ sich das noch aussitzen. Felix Hansen (Name durch Redaktion geändert) ist Handelsvertreter bei SwissLifeSelect und muss noch bis 2024 warten, um „endlich frei zu sein“, wie er sagt. Seine Kündigungsfrist beträgt satte 24 Monate. Dieser Zeitraum lässt sich finanziell nicht mehr so leicht überbrücken. Für viele Handelsvertreter steigt mit einer langen Frist die Verlockung, bzw. sie sehen sich aufgrund der Provisionssperre gezwungen, Geschäft doch über Dritte einzureichen. Unabhängig vom Auslöser – es wäre Vertragsbruch. Diesen will Hansen nicht begehen und den Zeitraum stattdessen mit privaten Reserven überbrücken.

Bei einem Aufhebungsvertrag werden oft unwissentlich Vereinbarungen unterschrieben, die im Anschluss nachteilig für den ehemaligen Mitarbeiter sind.
Rechtsanwalt Stephan Michaelis

Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte

Wenn lange Kündigungsfristen nicht ausgesessen werden können oder wollen, könnte ein Aufhebungsvertrag die „schnelle Lösung“ für ein vorzeitiges Ende sein. Von einer voreiligen Unterzeichnung ist jedoch abzuraten. procontra sprach dazu mit Rechtsanwalt Stephan Michaelis von der Hamburger Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte, der in seiner Laufbahn viele ehemalige Strukturvertriebler bei einem Ausstieg begleitet hat. Er empfiehlt, die genauen Formulierungen eines Aufhebungsvertrages prüfen zu lassen. Vor allem was ein anschließendes Wettbewerbsverbot, eine Karenzentschädigung bzw. einen Ausgleichsanspruch betrifft. Hier würden oft unwissentlich Vereinbarungen unterschrieben, die im Anschluss nachteilig für den ehemaligen Mitarbeiter sind.

Kein Anspruch auf Karenzentschädigung

Sein Kollege Berger wird konkreter und bewertet die ihm bekannten Aufhebungsverträge der Telis als einseitig und unangemessen: „Der Vertrag sieht ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ohne Karenzentschädigung vor. Der Telis-Mitarbeiter darf dann zwei Jahre lang keine Telis-Kunden ‚anfassen‘. Hierfür sieht das Gesetz eigentlich eine Karenzentschädigung für den Handelsvertreter nach Paragraf 90a HGB vor, welche jedoch in dem Telis-Aufhebungsvertrag umgangen wird.“

Entscheidend dafür ist das unter „§1 – Vertragsaufhebung“ genannte Datum, zu dem der Vertrag enden soll. Unterzeichnet eine der beiden Parteien erst nach diesem Datum, gilt der Vertrag als „rückwirkend“ aufgehoben und der gesetzliche Anspruch auf Karenzentschädigung entsteht nicht. Telis-Vorständin Stefanie Alt bestätigt: „Eine Pflicht zur Zahlung einer Karenzentschädigung nach dem Paragrafen 90a HGB entsteht bei einer rückwirkenden Aufhebung oder einer Regelung gleichzeitig mit dem Aufhebungsvertrag nicht.“ Der Vertriebler steht dann unter Umständen, trotz eines vereinbarten Wettbewerbsverbots, ohne Karenzentschädigung da.

procontra liegt ein Exemplar eines Aufhebungsvertrages der Telis vor. Darin steht außerdem, dass frei werdende Beträge aus der Stornoreserve nur auf Anforderung ausgezahlt werden („§3 – Auszahlung Stornoreserve“). Der ehemalige Mitarbeiter muss also seine Ansprüche über die Jahre selbst im Blick behalten und jedes Mal aktiv eine fällig werdende Auszahlung anfordern, andernfalls verbleibt das Geld bei der Telis, wie Vorständin Alt bestätigt. Sie begründet: „Aufgrund der langen Stornofristen haben sich in der Vergangenheit erhebliche Probleme bei der Auszahlung der Beträge ergeben, insbesondere dann, wenn sich die Daten des ehemaligen Mitarbeiters verändert haben.“

Auch hier kann man wieder argumentieren, dass es eine Vereinbarung ist, die beide Seiten einvernehmlich unterzeichnen. Doch sind solche juristischen Feinheiten und die finanziellen Konsequenzen nicht jedem Handelsvertreter bewusst. Diese sollten sich unbedingt Rechtsbeistand holen, bevor sie einen Aufhebungsvertrag unterzeichnen.

Bei einer rückwirkenden Auflösung des Handelsvertreterverhältnisses erlischt der gesetzliche Anspruch auf Karenzentschädigung bei einem Wettbewerbsverbot.
Anspruch auf Karenzentschädigung

Gesamtpaket entscheidend

Der Wettbewerb um gute Finanzberater wird anhalten. Erfreulicherweise finden auch immer mehr junge Menschen den Weg in die Finanzberatung. Ihnen ist nahezulegen, sich mit den vertraglichen Begebenheiten vorab intensiver auseinanderzusetzen und sich selbst zu befähigen, den für sie passenden Vertriebsweg zu wählen. Sie sollten sich über die genannten Themen und Vertragsdetails genau informieren und sowohl Poolchefs als auch Führungskräften und Vertriebsvorständen vorab grundlegende Fragen stellen, bevor Sie sich für ein System entscheiden:

Ist eine kostenfreie Ausbildung an eine zeitliche Bindung an das Unternehmen geknüpft? Unter welchen Umständen sind finanzielle Zuwendungen aus Start-Programmen oder jährliche Sonderzahlungen zurückzuzahlen? Wie verhält es sich mit einem Bürokostenzuschuss (während der Kündigungsfrist)? Welche Leistungen müssen erbracht werden, um ein bestimmtes Provisions- oder Courtageniveau zu erhalten? Wovon ist die Länge von Kündigungsfristen abhängig? Wem gehören die Kunden? Kann ich mich unternehmerisch so entfalten, wie ich es mir vorstelle?

Beim Wettbewerb um Vermittler sollten sich die Beteiligten auf die Darstellung eigener Stärken beschränken. Andernfalls schaden die Scharmützel weiter dem Image eines Berufsbildes, das beim allgemeinen Ansehen ohnehin um jeden Vertrauenspunkt beim Kunden kämpfen muss.

Langfristig werden Beraterinnen und Berater einem attraktiven und zeitgemäßen Gesamtpaket folgen. Die Bewertung dafür ist individuell vom Typ Mensch und nicht pauschal vom System abhängig. Die steigende Transparenz über die Vor- und Nachteile einzelner Vertriebswege regt hoffentlich auch dazu an, sich mit den eigenen Baustellen auseinanderzusetzen und Missstände zu beseitigen. Das würde das Arbeitsumfeld von Vertretern und Maklern gleichermaßen verbessern, was in einer besseren Finanzberatung für Kunden münden könnte. Und dieses Ziel dürften alle Beteiligten gleichermaßen verfolgen.