Nachhaltigkeit in der Beratung

Ein langer Weg zur Akzeptanz

Die Regulierung erschwert die Vermittlung. Woran es bei Abfrage und Umsetzung der Nachhaltigkeitspräferenzen in der Kundenberatung noch hakt.

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08:01 Uhr | 13. Januar | 2023
Weg auf grünem Hügel

Mit der ESG-Abfragepflicht ist die Nachhaltigkeit in der Finanzberatung fest verankert. Doch in der Verordnung schlummern noch etliche Schwachstellen.

| Quelle: Sholikhul Bakhmid

Die Nachhaltigkeit ist in der Finanzberatung nun fest verankert – zumindest auf dem Papier. Denn seit 2. August 2022 sind Versicherungsvermittler, und seit 11. November auch Finanzanlagenvermittler, dazu verpflichtet, von ihren Kunden einerseits die Nachhaltigkeitspräferenzen zu eruieren und andererseits diese dann bei der Auswahl geeigneter Produkte entsprechend zu berücksichtigen.

Einige Monate nach dem Stichtag lässt sich eine erste Zwischenbilanz ziehen: den Vermittlern stehen mehrere, meist ähnlich ausgearbeitete Leitfäden für die Einbettung einer konkreten Abfragelogik in ihre Beratungsstrecke zur Verfügung. Die Systematik richtet sich an den drei folgenden Kriterien aus: der Taxonomie, den ESG-Kriterien nach SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation) und den sogenannten PAI (Principal Adverse Impacts). „Bei den PAI handelt sich ausschließlich um Indikatoren, die eine nachteilige ESG-Wirkung haben und daher so weit wie möglich reduziert werden sollen. Generell wird jede positive Ausprägung eines PAI als schädlich auf Nachhaltigkeit angesehen“, erläutert Sarah Lemke, Syndikusrechtsanwältin der Netfonds Gruppe. Insgesamt umfassen die PAI 18 Leistungskennzahlen, darunter etwa den CO2-Fußabdruck, Anteil gefährlicher Abfälle, Wasserverschmutzung, aber auch die Geschlechtervielfalt in Aufsichtsgremien.

Produktauswahl eingeschränkt

Mithilfe diverser Vertriebstools lässt sich nach Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen beim Kunden eine Liste geeigneter Produkte eruieren. „Alle relevanten Vergleichsrechner haben dieses Thema in den Beratungsprozess integriert, allerdings ist die Abfragetiefe und die Produktempfehlung noch sehr uneinheitlich“, sagt Michael Hinz, bei Signal Iduna zuständig für das Spezialistenmanagement Leben. Klar scheint nach Branchenstimmen aus dem Vertrieb jedoch: Je restriktiver vorgegangen wird, also je nachhaltiger der Kunde eingestellt ist, desto weniger Produkte stehen dem Berater am Ende zur Auswahl.

Das Problem: Die stufenweise Regulierung erscheint vielen Betroffenen äußerst holprig, denn die verschiedenen Verordnungen sind zeitlich nicht aufeinander abgestimmt. Erst zum Jahresbeginn 2023 treten etwa die technischen Regulierungsstandards zur Taxonomie-Verordnung in Kraft. Diese sind aber essenziell für die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen und umfassen zudem bisher nur die ersten zwei der sechs definierten Umweltziele. Auch im Jahr 2023 werden demnach noch Lücken in den Informationen zur Nachhaltigkeit bestehen, mit denen die Produktgeber ihre Angebote kennzeichnen. Seit August verwendet die Branche hierzu eine erste Version des European ESG Template (EET). Das Template wurde unter der Koordination der FinDatEx (Financial Data Exchange) entwickelt, einem Joint Venture der wesentlichen Verbände der europäischen Finanzdienstleistungsindustrie.

Das EET ist im Grunde eine große Excel-Tabelle, die dem Datenaustausch zwischen Produktherstellern und Vertriebstellen, Versicherern sowie Dachfondsinvestoren erleichtert. „Dort finden sich mit der Bezeichnung des Kriteriums die Erläuterung, welche Messgröße gefragt wird und wie das dargestellt werden soll. Die Tabelle müssen alle ausfüllen, die mit Anlageprodukten zu tun haben. Wenn ich an die Komplexität des gesetzlichen Rahmens denke, ist ein guter Prozess daraus geworden, der noch weiter ausgebaut wird. Die Vermittelnden können sich daher auf die Daten verlassen“, beurteilt Ellen Ludwig, Aktuarin und Abteilungsleiterin Personenversicherung bei softfair das Prozedere.

Lücken in den Datensätzen

Versicherer und Fondsgesellschaften liefern die Daten im EET-Format ein, das Unternehmen WM Daten stellt sie über Schnittstellen den Datenprovidern für Plattformen und Tools zur Verfügung. So gelangen die Nachhaltigkeitsdaten – aufbereitet für die jeweiligen Anwendungen – über die eingesetzten Tools und Services zu den Vermittlern. In den Datensätzen klaffen aber noch Lücken, denn die technischen Standards wurden wie erwähnt erst im Sommer veröffentlicht und gelten erst ab Januar 2023. Leere Felder werden für eine nachhaltige Kennzeichnung nicht herangezogen. Die Branche muss die Lücken nun auffüllen. Eine neue Version des EET (V1.1) soll zum 1. Dezember 2022 bereitgestellt werden, mit einer Toleranzfrist für die Umstellung bis 30. April 2023.

„Wegen des Aufwands wurden die Informationen zunächst nur für ausgewählte Fonds veröffentlicht. Seither wird das Angebot laufend erweitert“, erläutert ein Sprecher des deutschen Fondsverbands BVI. Für die Verfügbarkeit der Informationen im Vertrieb habe das Datum 1. Januar 2023 keine Bedeutung. „Allerdings ändert sich, dass die Informationen ab dann in den Fondsprospekten veröffentlicht werden müssen und damit gegenüber den Anlegern verbindlich zugesagt werden. Auch für Berater gibt es damit mehr Rechtssicherheit“, so der BVI-Sprecher gegenüber procontra.

Kritik kommt vom Bundesverband der Versicherungskaufleute (BVK): „Die Klassifizierung vieler Anlageprodukte und Investments ist noch nicht abgeschlossen und es ist noch strittig, inwieweit einzelne Produkte als nachhaltig gelten können. Hier hat die EU Vorgaben gemacht, die weder die Versicherungsunternehmen noch die Versicherungsvermittler in der Kürze der Zeit erfüllen können, um rechts- und haftungssicher nachhaltige Versicherungsanlageprodukte zu vertreiben“, betont BVK-Präsident Michael H. Heinz. Die Zeit zur Umsetzung der technischen Regulierungsstandards sei definitiv zu knapp bemessen.

Der Verband erwartet im Frühjahr 2023 aufgrund der Informationsdefizite ein schwieriges Vertriebsumfeld, was er durch Ergebnisse einer aktuellen Vermittlerumfrage bestätigt sieht. Demnach bewerten mehr als zwei Drittel (69 Prozent) der Vermittler die derzeitigen Abfragetools als überwiegend ungeeignet. Noch mehr (78 Prozent) stört es, dass sie unterschiedliche Abfragelogiken verwenden müssen. Der Branche war es trotz Bemühungen der Verbände AfW und Votum nicht gelungen, eine branchenweit einheitliche Abfragehilfe zu zimmern.

Viele Vermittler wurden nie auf ESG-Präferenzen angesprochen

Es ist kein Geheimnis, dass die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden in der Praxis längst nicht flächendeckend stattfindet. Bei Ausschließlichkeitsvertretern etwa findet sie derzeit nur in jedem fünften Beratungsgespräch über Versicherungsanlageprodukte statt, so das Ergebnis einer aktuellen Mystery-Shopping-Studie der Prüfungs- und Beratungsfirma EY. Bei Vermittlern insgesamt laut der BVK-Umfrage ist das nur in jeder vierten Beratung der Fall. Das Ignorieren der Abfragepflicht fällt scheinbar leicht, denn Verstöße können nicht unmittelbar geahndet werden. Der DIHK besitzt keine Handhabe, denn die Nichtbeachtung stellt keine Ordnungswidrigkeit dar.

Jedoch können Wettbewerber eine Abmahnung veranlassen, falls sie nachweisen können, dass die Abfrage nicht erfolgt. Insbesondere Makler könnten zudem in die Haftung genommen werden, wenn es im Nachgang zu einem Streitfall über das vermittelte Produkt kommt und die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen nicht erfolgt oder nicht dokumentiert wurde. Falls der Kunde auf Rückabwicklung klagt, weil er bei richtiger Aufklärung ein anderes Produkt gewählt hätte, wird die Verantwortung kaum beim Produktgeber, sondern beim Vermittler landen.

Dazu passt das Fazit von AfW-Vorstand Norman Wirth, der im procontra-Interview davon spricht, dass die große Komplexität zu einem deutlichen Verlust an Akzeptanz bei den Vermittlern geführt hat. Laut der BVK-Umfrage ist aber auch noch viel Aufklärung bei den Kunden vonnöten. Zwei von drei Vermittlern in der Umfrage gaben an, sie seien in den letzten vier Wochen nicht, beziehungsweise überhaupt noch nie auf Nachhaltigkeitsaspekte angesprochen worden. Nach ihrer Einschätzung wissen viele Kunden gar nicht, welche Nachhaltigkeitspräferenzen sie haben und vertrauen hier einfach auf den Vermittler.

So einfach darf es aber nicht sein – denn auch wenn der Kunde mit „nein“ antwortet auf die Frage, ob er wichtige Nachhaltigkeitspräferenzen berücksichtigen möchte, kann der Berater das Thema noch nicht ad acta legen. Er muss zumindest nachfragen, ob der Kunde überhaupt verstanden hat, was Nachhaltigkeit eigentlich bedeutet. Klar ist: Das Thema wird ein Dauerbrenner im Vertrieb bleiben, auch über 2023 hinaus. Die Informationspflichten der Unternehmen und Produktgeber werden schließlich noch erweitert. Viele Detailfragen sind noch zu klären, darunter auch, inwieweit die Nachhaltigkeitsabfrage auch für Bestandskunden gelten soll und wann ein Makler als Sachwalter auch bei sich verändernden Nachhaltigkeitspräferenzen seines Kunden reagieren muss.