Interview mit Oliver Mest

„Das sind die Visionen, die die Versicherungswirtschaft anstoßen kann“

Nachhaltigkeit und Kfz-Versicherungen passen auf den ersten Blick so gar nicht zusammen. Dabei lässt sich gerade hier ein großer Hebel ansetzen, findet Oliver Mest. Er ist Geschäftsführer der optimal absichern GmbH und setzt sich seit etwa drei Jahren umfassend mit nachhaltigen Versicherungen auseinander. Warum grüne Kfz-Policen keine Illusion sind, verrät er uns im Gespräch mit procontra.

08:05 Uhr | 02. Mai | 2023
„Das sind die Visionen, die die Versicherungswirtschaft anstoßen kann“

Eine nachhaltige Versicherung ist auch für das Auto Ihrer Kunden möglich.

| Quelle: martin-dm

procontra:

Eine Kfz-Versicherung ist für viele Kundinnen und Kunden erst mal nur ein Vertrag – wo besteht da der Nachhaltigkeitsaspekt?

Oliver Mest:

Ganz klar: In der Umsetzung. Ich kann als Versicherer in der Außenwahrnehmung natürlich die Nachhaltigkeitsthemen in den Fokus rücken, insgeheim aber alles so lassen, wie es ist. Oder aber ich setze aktiv an. Nehmen wir das Beispiel der Schadensregulierung: Ich biete dem Kunden nach einem Totalschaden an, dass er eine höhere Entschädigung erhält, wenn er vom Benziner oder Diesel auf ein E-Auto wechselt. Und natürlich kann ich als Versicherer Produkte auch so gestalten, dass sie grüne Mobilität fördern, indem ich bei E-Autos beispielsweise den Akku mit einem Allgefahrenschutz versehe.

procontra:

Warum haben Sie sich auf eine „grüne“ Beratung spezialisiert – war dies nur dem nachhaltigen Zeitgeist geschuldet?

Mest:

Nein, natürlich nicht. Wir reden hier über nachhaltige Produkte und über deren Auswirkungen weit über die eigene Vorsorge hinaus. Vermittler müssen hier vollkommen neu denken. Wir sprechen mit Menschen, denen die Umwelt und das Wohlergehen der Menschheit am Herzen liegen. Wir reden längst nicht mehr darüber, wie und wo man eine Hausratversicherung zehn Euro günstiger im Jahr bekommt.

procontra:

Zurück zur Mobilität: Warum sollten Kunden eine nachhaltige Kfz-Versicherung abschließen? Wo liegt der Mehrwert – und wie argumentieren hier Vermittler?

Mest:

Es hat ein Umdenken stattgefunden: Immer mehr Kunden möchten, dass sie mit ihrem Geld Gutes tun. Sie sind auf der Suche nach sinnvollen Versicherungsprodukten. Produkte, die sie absichern, mit denen sie aber auch gleichzeitig etwas bewegen können, bzw. mit dem Geld, das sie hier investieren.So können Versicherungsbeiträge durchaus auch in nachhaltige Unternehmen fließen. Nehmen wir beispielsweise eine große Firma, die Fleisch-Alternativen entwickelt und somit dafür sorgt, dass der ökologische Fußabdruck um ein Vielfaches verringert wird. Oder ein Unternehmen, dass sich auf die Erforschung von Wasserstoff spezialisiert hat, um das Fliegen zu revolutionieren. Das sind Visionen, die keine Visionen bleiben müssen und von den Versicherern angestoßen werden können. Und hier liegt natürlich auch der Mehrwert für nachhaltige Versicherungen.

procontra:

Okay – aber wäre es dann nicht sinnvoller, komplett auf das Autofahren zu verzichten?

Mest:

Die Gegenfrage lautet ja: Kommen wir mit Verzicht weiter? Emotional sicherlich nicht. Wirtschaftlich auch nicht, denn wir können nicht von heute auf morgen auf Benziner und Diesel verzichten. Und selbst wenn das politisch gewollt wäre, dann ist die Umsetzung nicht die Aufgabe der Versicherer.Was Versicherer dagegen tun können, ist den Schutz für nachhaltige Mobilität attraktiver zu gestalten als den für klassische Mobilität. Sie können ihn auch günstiger anbieten. Klassische Mobilität vom Markt zu nehmen – hier ist sicherlich entweder die Politik oder die Automobilindustrie gefragt.

procontra:

Nachhaltigkeit ist jetzt stark in Mode. Plakativ ausgedrückt. Worauf müssen Vermittler achten, damit Sie hier wirklich glaubwürdig sind?

Mest:

Dass ihre Produkte tatsächlich grün sind. Das Stichwort lautet: Greenwashing. Unsere Kfz-Kunden, denen Nachhaltigkeit wichtig ist, die wollen nicht nur wissen, ob ihr Akku nun rundum versichert ist oder die Wallbox inkludiert ist. Die wollen wissen, ob der Versicherer auch so denkt, wie er sein Marketing betreibt.Wird alternative Mobilität auch im eigenen Unternehmen praktiziert? Gibt es im Fuhrpark E-Autos? Wird den Mitarbeitern die BahnCard ermöglicht und mitfinanziert, wenn kein Firmenwagen gewünscht ist? Achtet man auf nachhaltige Energiekonzepte und bietet die Kantine regionale Speisen an? All das sind Themen, die dem Kunden zeigen: Der Versicherer hält nicht nur ein Schild in die Luft, auf dem er seine vermeintlich grünen Produkte präsentiert – nein er hat Nachhaltigkeit tatsächlich verstanden!

procontra:

Was wünschen Sie sich persönlich von der Branche?

Mest:

Ich wünsche mir, dass die Versicherer den Vertrieb von nachhaltigen Produkten nicht als lästige Pflicht empfinden, sondern erkennen, dass das Umdenken in Richtung Nachhaltigkeit eine riesengroße Chance für die gesamte Branche ist. Sie haben die einmalige Chance, eine gesunde und nachhaltige Zukunft mitzugestalten und nicht nur irgendwelchen Trends hinterherzulaufen.Wer sich als Versicherer heute das Thema Nachhaltigkeit und Ökologie ebenso wie soziale Gerechtigkeit auf die Fahne schreibt, dem gehört die Zukunft, die er damit besser für uns alle macht. Gute Produkte kommen dann von allein.