pro & contra

Gehört Chat-GPT in jede Beratung?

ChatGPT ist in aller Munde, vor allem im direkten Kundenkontakt sind die Möglichkeiten groß. KI in der Beratung? Dazu haben Justus Lücke und Robert Schnoeckel von den Versicherungsforen Leipzig unterschiedliche Meinungen.

10:06 Uhr | 23. Juni | 2023
procontra

Erledigen KI-Modelle Routineaufgaben von Beratern besser oder zerstört ein ungeprüfter Einsatz die Reputation?

| Quelle: procontra

Robert Schnoeckel (Zukunftsforscher neue Technologien, Versicherungsforen Leipzig): Pro

Robert Schnoeckel

Robert Schnoeckel ist Zukunftsforscher neue Technologien bei den Versicherungsforen Leipzig.

| Quelle: Versicherungsforen Leipzig

Schon heute erwarten Kundinnen und Kunden an vielen Stellen individuell zugeschnittene Lösungen, die auf ihre spezifischen Bedürfnisse und Lebensumstände abgestimmt sind. Diese Erwartungen, geprägt durch andere Branchen und Tech-Unternehmen wie Amazon und Google, werden jedoch in unserer Branche längst nicht überall erfüllt. Der Einsatz von ChatGPT in der Versicherungs- und Finanzberatung wird dieses Bedürfnis weiter verstärken und gleichzeitig zum neuen Standard machen.

In naher Zukunft werden Kundinnen und Kunden einfach nicht mehr zu Abstrichen bereit sein. Egal, ob es sich um Fragen zu Versicherungsleistungen oder um die Wahl der besten Police handelt – mit KI-Modellen wie ChatGPT gibt es jederzeit Zugang zu passgenauen Antworten auf individuellen Fragen. Die eigene, zeitaufwendige Recherche von Informationen gehört bald der Vergangenheit an. Diesen Standard werden die Menschen auch von ihrer Finanz- und Versicherungsberatung erwarten sowie deutlich besser vorbereitet und informiert in ein Gespräch gehen.

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KI erledigt Routineaufgaben schneller und mitunter besser

Aber nicht nur Kundinnen und Kunden profitieren vom Einsatz von KI-Modellen. Auch Beraterinnen und Berater sollten sich die Vorteile schnellstmöglich zunutze machen. KI-Modelle werden Routineaufgaben wie das Beantworten von E-Mails oder Zusammenstellen von individuellen Angeboten mindestens schneller, mitunter besser als Menschen erledigen können. An manchen Stellen werden die KI-Modelle Routineaufgaben schlicht erledigen müssen. Denn aufgrund des demographischen Wandels sinkt die Anzahl der Vermittler, die Bestände je Vermittler werden immer größer und die Bestandsbetreuung ist nur durch Automatisierung von Prozessen überhaupt zu gewährleisten. Und das ist gut so, denn in dieser Zeit können diese sich auf den sinnstiftenden, persönlichen Kundenkontakt konzentrieren. Damit ermöglichen KI-Modelle den Beratern, sich auf das zu fokussieren, was wirklich zählt: den Aufbau und die Pflege von Kundenbeziehungen.

Der Einsatz von ChatGPT und anderen KI-Anwendungen in der Finanz- und Versicherungsberatung ist mehr als eine Evolution – sie haben das Potenzial, die Art und Weise, wie Beraterinnen und Berater mit Kundinnen und Kunden interagieren und ihnen Dienstleistungen anbieten, revolutionär zu verändern. Berater, die in der Lage sind, ihre eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen mit denen der KI zu kombinieren, werden einen Wettbewerbsvorteil erzielen und erfolgreicher sein. Der Einsatz von KI ist somit nicht nur ein Gewinn für die Kunden, sondern auch für die Berater selbst. Es ist ein Win-win-Szenario, das ermutigen sollte, die Möglichkeiten, die KI-Anwendungen bieten, voll auszuschöpfen.

Justus Lücke (Geschäftsführer Versicherungsforen Leipzig und Maklerforen Leipzig): Contra

Justus Lücke

Justus Lücke ist Geschäftsführer der Versicherungsforen Leipzig und der Maklerforen Leipzig.

| Quelle: Versicherungsforen Leipzig

Die Veröffentlichung von ChatGPT hat in den letzten Monaten zu einem enormen Hype geführt.  Gleichzeitig gehen mit der hohen Entwicklungsgeschwindigkeit Risiken einher. Das betrifft auch die Kundenberatung. Wer heute ChatGPT oder andere KI-Modelle in der Beratung einsetzt, sollte sich der Verantwortung gegenüber seinen Kundinnen und Kunden bewusst sein, die Schwächen der Anwendung kennen und sie transparent kommunizieren.

Dafür ist zunächst einmal notwendig zu verstehen, dass es sich bei ChatGPT „nur“ um ein leistungsstarkes statistisches Modell handelt. Einfach gesagt: ChatGPT ist sehr gut darin, das nächste passende Wort in einem Satz vorherzusagen. Es versteht dabei weder den Inhalt des Satzes, noch hat es den Anspruch, wahre Aussagen zu treffen. Unwahre Aussagen durch ChatGPT werden als „Halluzinationen“ bezeichnet. Ein aktuelles Beispiel ist die Verleumdungsklage eines amerikanischen Radiomoderators gegen OpenAI. ChatGPT hatte ihm Veruntreuung von Geldern in enormer Höhe unterstellt. Obwohl die Klage aus verschiedenen Gründen wahrscheinlich wenig Aussicht auf Erfolg hat, verdeutlicht sie dennoch das Problem im Umgang von ChatGPT mit personenbezogenen Daten.

Ungeprüfter Einsatz kann erarbeitete Reputation zerstören

Gerade die Kundenberatung für Finanz- und Versicherungsprodukte verlangt ein hohes Maß an Verständnis, Transparenz und Genauigkeit, um die Menschen für bestimmte Lebenssituationen abzusichern. Der ungeprüfte Einsatz von ChatGPT in der Kundenberatung birgt für Beraterinnen und Berater die Gefahr, ihre erarbeitete Reputation zu zerstören. Gleichzeitig besteht die Frage, wer bei einer fehlerhaften Beratung durch ChatGPT die Verantwortung für mögliche Folgeschäden übernimmt.

Weitere Risikofaktoren sind der Datenschutz und die Sicherheit. Bei der Nutzung von ChatGPT gibt es keine Kontrolle über die eingegebenen Daten. OpenAI, das Unternehmen hinter ChatGPT, verwendet die Daten, um ihre KI-Modelle weiter zu trainieren – ohne dass die Löschung persönlicher Informationen derzeit möglich ist oder Klarheit über die entsprechenden Möglichkeiten besteht. Gerade der Umgang mit sensiblen personenbezogenen Daten, die im Versicherungsbereich erhoben werden, erfordert höchste Datenschutzstandards. Ein Thema, das auch im Rahmen der derzeitigen Regulierungsanstrengungen durch den EU AI Act eine Rolle spielt.

Wir müssen die Chancen und Risiken sehr genau betrachten, um sicherzustellen, dass der Einsatz von KI-Modellen in der Versicherungsberatung nicht zum Nachteil für Menschen wird. Kundenberatung durch KI-Modelle sollte momentan nicht ohne menschliche Kontrolle stattfinden. Beraterinnen und Berater müssen die generierten Inhalte kritisch hinterfragen und ihre Verantwortung wahrnehmen. Nur so können die Potenziale von KI genutzt werden, ohne dabei die ethischen und rechtlichen Aspekte zu vernachlässigen.

Sollten Vermittler ChatGPT in ihre Beratung integrieren?