Viridium-CEO Tilo Dresig im Interview

"Mittelfristig werden einige Run-off-Deals kommen"

Die IT-Herausforderungen in der Versicherungslandschaft werden den Run-off-Markt beleben, davon ist Tilo Dresig überzeugt. procontra sprach mit dem Virdium CEO über Marktpotenziale, den geplatzten Zurich Deal und die Eigentümerstruktur.

Author_image
12:02 Uhr | 29. Februar | 2024

 procontra: Viridium hatte 2019 rund vier Millionen Verträge und Kapitalanlagen im Wert von 45 Milliarden Euro übernommen. Die Tariffamilie bestand aus mehr als 900 Tarifen. Wie aufwändig ist die Migration auf eine Plattform?

Dresig: Unser Geschäftsmodell beziehungsweise unser Fokus liegt darauf, bestehende Verträge für unsere Kundinnen und Kunden attraktiver zu machen, indem wir bestehende Bestände modernisieren. Wir tauchen dabei tief in die Bestände ein und finden hierbei natürlich auch kritische Punkte. Bei der Generali Leben, die heute Proxalto heißt, haben wir ein umfassendes Modernisierungsprogramm umgesetzt. In der Lebensversicherung sind die IT-Systeme oftmals nicht für die Laufzeit der Verträge ausgelegt – gleichzeitig gibt es eine hohe Anzahl an verschiedenen Tarifen.

Diese Herausforderung, Altbestände in moderne IT-Strukturen zu überführen und zu managen, haben alle Gesellschaften. Das hat nichts mit Run-Off zu tun, sondern ist ein generelles Problem, das die meisten Lebensversicherer zu lösen haben. Wir haben bei der Proxalto eine der größten und anspruchsvollsten IT-Modernisierungen in Deutschland umgesetzt. Dabei haben wir rund 900 Tarife und 2,2 Millionen Verträge aus dem Altsystem genommen und auf eine neue IT-Plattform übertragen. Allein die reine IT-Migration hat uns 250 Millionen Euro gekostet.

Diese Kosten wurden komplett von Viridium und damit vom Aktionär getragen. Das ist ein finanzieller Kraftakt. Um ein solches Projekt durchführen zu können, braucht es eine moderne Plattform, die passenden Experten und entsprechende Ressourcen. Die Generali-Übernahme war bereits unsere vierte große Akquisition. Wir haben aus den vergangenen Bestandsübertragungen viel gelernt, insofern profitiert Viridium von einer in der deutschen Lebensversicherung einzigartigen Lernkurve. So konnten wir die IT-Modernisierung des Generali-Bestands in dreieinhalb Jahren umsetzen und abschließen.

 procontra: War von vornherein beabsichtigt, dass Sie diese 250 Millionen Euro in die IT investieren müssen? Oder hat sich das im Nachhinein herausgestellt, dass da noch was nötig ist, weil, wie sie schon sagten, die Altsysteme nicht mehr so funktionieren, wie sie sich das gerne gewünscht hätten?

Dresig: Die vollständige IT-Modernisierung war immer geplant. Aber die Kosten waren höher als erwartet.

 procontra: Was heißt das genau?

Dresig: Also das war schon deutlich teurer als geplant. Wir reden über einen hohen Betrag.

 procontra: 2019 wurde davon gesprochen, dass Viridium vier Millionen Verträge übernommen hat. Anfang 2023 sprachen Sie in einer Pressemitteilung von 2,2 Millionen Verträgen, die migriert wurden. Was ist mit dem Rest?

Dresig: Bei den 2,2 Millionen handelt es sich um alle individuellen Lebensversicherungsverträge. Und diese haben wir alle, wie auch bei den anderen Akquisitionen, auf eine einheitliche, moderne Plattform migriert. Hinzu kommen noch sämtliche bAV-Verträge. Und zusätzlich müssen Sie berücksichtigen, dass mit der Zeit natürlich auch Lebensversicherungsverträge auslaufen.

 procontra: Die Bafin hatte im Zusammenhang mit der IT-Migration bei der Proxalto deutliche Kritik an Ihrer IT geübt. Sind die Probleme behoben?

Dresig: Absolut. Sowohl die IT-Systeme als auch der Kundenservice laufen längst wieder im Normalbetrieb. Die temporären Service-Einschränkungen waren der Nebeneffekt dieser umfangreichen IT-Migration.

 procontra: Wie bewerten Sie rückwirkend die Übernahme?

Dresig: Run-Off war grundsätzlich ein neuartiges Geschäftsmodell in Deutschland. Deswegen gab es zunächst viele grundsätzliche Fragen: Funktioniert es? Wie funktioniert es? Funktioniert es nicht? Viridium gibt es jetzt seit zehn Jahren und daher können wir inzwischen anhand von Zahlen und Fakten zeigen, welche Vorteile das Run-Off-Modell bietet. Es ist insgesamt sehr positiv für die Kunden. Und genau das sehen wir nun auch bei der Bewertung der Proxalto-Übernahme.

Mit unserem Geschäftsmodell steigern wir den Rohüberschuss, weil wir die LV-Verträge effizienter managen. Der größte Teil des Rohüberschusses geht an die Kunden. Den verbleibenden Anteil bekommt der Aktionär. So funktioniert die Mindestzuführung der deutschen Lebensversicherung. Damit hat der Aktionär ein Interesse daran, dass die Kundinnen und Kunden deutlich mehr erhalten. Die umfangreichen operativen und finanziellen Modernisierungen lohnen sich.

Wir wollen, dass die Verträge weiter gut betreut werden.
Tilo Dresig

procontra: Welchen Anteil bekommen denn die Kunden? Im Markt spricht man davon, dass die Kunden rund 70 Prozent erhalten und der Rest an die Aktionäre geht. Ist das korrekt?

Dresig: Das sind wirklich grobe Zahlen. Dies hängt ganz stark vom Einzelbestand und von den Gewinnquellen ab. Wir haben unterschiedliche Gewinnquellen, die unterschiedlich verteilt werden. 70 Prozent ist ein grober Mittelwert, der Rest verteilt sich auf Steuern und Aktionäre.

procontra: Sie sprachen von höheren Rohüberschüssen und effizienterem Management. Wie steht es mit den Provisionen für die Vermittler?

Dresig: Wir bezahlen immer noch unverändert die Bestandsprovisionen. Der Vertrieb bekommt weiterhin genau das, was er vorher erhalten hat. Da haben wir nichts verändert. Denn wir wollen, dass die Verträge weiter gut betreut werden.

procontra: Viridium verwaltet rund 65 Milliarden Euro an Kapitalanlagen. Wer managt das Kapital?

Dresig: Wir verwalten das Vermögen selbst. Zu den finanziellen Modernisierungsmaßnahmen gehört auch die Umstrukturierung der Kapitalanlagen. Hierfür haben wir unser eigenes Team, das die Strategic Asset Allocation durchführt, also bestimmt, wie die Kapitalanlagen investiert werden. Im Rahmen der Proxalto-Modernisierung haben wir beispielsweise alle Büro- und Wohnimmobilien im Rahmen des Projekts Millenium 2019 verkauft.

Das Volumen dieser Transaktion belief sich auf rund 2,7 Milliarden Euro. Das Asset-Liability-Management und die Absicherung gegen Zinsrisiken führen wir auch selbst durch. Die Umsetzung der Mandate geben wir allerdings an externe Asset-Manager. Hier arbeiten wir aktuell mit über 40 Gesellschaften im Markt zusammen. Dazu gehört etwa Generali Asset Management, Goldman Sachs, JP Morgan und auch HPS. Die Bandbreite ist relativ groß, wir suchen uns erstklassige Asset Manager aus.

 procontra: Stichwort Kapitalanlagen: Wie hoch ist der Anteil der Staatsanleihen bei Ihnen im Bestand, üblicherweise ist der bei Versicherern ja sehr hoch?

Dresig: Das ist richtig. Bei uns ist das auch so. Übrigens auch aus guten Gründen, weil Sie die Sicherheit aufgrund der Laufzeit und des Risikoprofils benötigen. Staatsanleihen machen bei uns gut zwei Drittel der Kapitalanlagen aus. Hinzu kommen rund 35 Prozent an illiquiden festverzinslichen Wertpapieren. Dazu gehören unter anderem Bauspardarlehen, Infrastrukturinvestitionen und Private Debt. Das sind alles Anlagen mit einer entsprechenden Laufzeit. Diese passen perfekt zur Lebensversicherung. Aktien spielen in unserer Kapitalanlage hingegen keine Rolle.

 procontra: Im Juni 2022 hatten Viridium und Zurich einen Vertrag zur Übernahme von rund 720.000 Versicherungspolicen und Kapitalanlangen im Wert von rund 20 Milliarden Euro geschlossen. Die BaFin hat den „Deal“ jüngst untersagt. Wie bewerten Sie die Absage, zumal die Übernahme des Generali-Portfolios 2019 von der Bafin nicht beanstandet wurde?

Dresig: Die BaFin hatte uns darüber informiert, dass wir vor dem Hintergrund unserer bisherigen Eigentümerstruktur das Portfolio der Zurich nicht übernehmen können. Wir bedauern das sehr. Denn die geplante Transaktion hätte aus unserer Sicht sehr klare und signifikante Vorteile für die Kunden geboten. Das ist aber weder eine generelle Absage der Bafin an künftige Transaktionen noch eine Absage der Bafin an Run-Off im Allgemeinen.

Und es ist auch keine generelle Absage an Viridium. Es handelt sich hier um eine sehr spezielle Konstellation. Und deswegen wird sich für unser operatives Geschäft auch nichts ändern. Wir werden als Viridium unsere Strategie weiterverfolgen und perspektivisch Wachstumschancen wahrnehmen.

 procontra: Was heißt perspektivisch Wachstumschancen wahrnehmen?

Dresig: Wir sehen im deutschen Lebensversicherungsmarkt sehr viel Potenzial. Der deutsche Lebensversicherungsmarkt ist hochfragmentiert. Derzeit gibt es rund 80 Lebensversicherer in Deutschland. Davon haben 70 Prozent Kapitalanlagen mit weniger als zehn Milliarden Euro.

Viridium hat eine hochmoderne Plattform, sowohl auf der Kundenservice- als auch auf der IT-Seite. Aufgrund ihrer Größe und dem hohen IT-Entwicklungsstand haben wir dort enorme Vorteile. Hierzu muss perspektivisch das Thema Eigentümerstruktur gelöst werden, dann können wir auch wieder zukaufen. Deswegen sind wir sehr zuversichtlich.

 procontra: Sie sprachen auf einer Veranstaltung in Hamburg Mitte Februar davon, dass das Thema „Eigentümerstruktur “ adressiert werden muss. Gibt es bereits Gespräche mit potenziellen Interessenten?

Dresig: Was man sagen kann: Die Eigentümer werden sich das Thema Eigentümerstruktur ansehen und werden prüfen, welche strategischen Optionen es für die Eigentümerstruktur perspektivisch gibt. Damit wir weiterwachsen können und die BaFin-Bedenken ausgeräumt werden. Ich sage das tatsächlich so vorsichtig, weil es derzeit verschiedene Ideen und Möglichkeiten gibt. Es ist noch zu früh, Konkretes zu sagen. Cinven ist seit zehn Jahren unser Eigentümer und wir haben Cinven stets als sehr erfahren, konstruktiv und unterstützend erlebt.

 procontra: Viridium war in der Vergangenheit leider kaum transparent und kommunikativ. Was letztlich zu deutlicher Kritik beim Verbraucherschutz geführt hat.

Dresig: Wir haben dazugelernt und in Sachen Transparenz inzwischen sehr viel getan und sind im kontinuierlichen Dialog mit Medien und anderen Interessensgruppen. An der positiven Resonanz sehen wir, dass wir inzwischen schon viel Aufklärung geleistet haben: Die Lebensversicherung ist ein gutes und wichtiges Produkt als Bestandteil der Altersvorsorge.

Gleichwohl kann man bestehende Lebensversicherungen noch attraktiver machen – mit einer hohen Rendite, einer hohen, stabilen Solvenzquote und einer richtig gut aufgestellten IT sowie einem verlässlichen Kundenservice. Dazu trägt Viridium als führender Bestandsspezialist in Deutschland erheblich bei. Das Volumen der deutschen Lebensversicherungen beträgt insgesamt zirka 1600 Milliarden Euro. Da gibt es viel zu verbessern, und das ist dann für alle Beteiligten eine gute Sache.

procontra: Was lässt sich konkret verbessern?

Dresig: Es geht um operative und finanzielle Maßnahmen. Die Modernisierung der IT und des Kundenservice ist wichtig, damit das Bestandsmanagement der LV langfristig operativ gut funktioniert. Zudem geht es darum, die Kunden in dem Portfolio vor steigenden Kosten zu schützen.  Zu den finanziellen Maßnahmen gehört die Neustrukturierung der Kapitalanlagen. Dazu gehört auch, die bilanziellen Risiken zu minimieren, also das Portfolio gegen Zinsveränderungen abzusichern und eine stabile, hohe Kapitalquote zu ermöglichen.

Am Ende sind es drei Dinge, die Kunden interessieren: Sie wollen erstens hohe Überschüsse, zweitens, dass die Gesellschaft eine hohe, stabile Kapitalstärke hat und drittens, dass es operativ ordentlich funktioniert. Das sehen wir sehr gut an den Beständen, die wir kaufen: Wenn man zu Beginn der Übernahme viel Geld für Modernisierungen in die Hand nimmt, ist es langfristig eine richtig gute Investition. Dazu braucht es allerdings jemanden, der dazu bereit ist.

procontra: Teile des Verbraucherschutzes befürchteten deutliche Nachteile für die Kunden. Allerdings sind die Renditen deutlich besser, wie mehrere Studien der Kölner Rating-Agentur Assekurata zeigen. Für das Jahr 2024 haben Sie die Überschussbeteiligungen deutlich angehoben. Warum kommt der Zinssprung erst jetzt? Hat das mit den gestiegenen Marktzinsen zu tun?

Wenn Sie aber auf die rund 80 deutschen Lebensversicherungen mit ihren Herausforderungen schauen, bin ich sicher: da werden mittelfristig einige Transaktionen kommen.
Tilo Dresig

Dresig: Das hat nichts mit dem Zinsumfeld zu tun. Nachdem wir die Generali Leben übernommen hatten, brauchten wir einige Jahre, um die Modernisierungsprogramme umzusetzen. Das zeigt jetzt Wirkung. Wir haben mehr für die Kunden verdient, weshalb wir nach vier Jahren schon die Verzinsung für die Kunden verdoppeln konnten, das war letztes Jahr die mit Abstand höchste Anhebung der Überschüsse im deutschen Markt. Das sehen Sie auch in den Ergebnissen der Assekurata-Studie.

Die Kundenüberschüsse, die in die RfB eingestellt werden, haben wir im Drei-Jahres-Vergleich bei Viridium, im Vergleich zu der Zeit vor der Übernahme, um über 50 Prozent gesteigert. Das heißt, das sind jedes Jahr 200 Millionen Euro mehr, die den Kunden bereitgestellt wurden. Deswegen konnten wir auch die Überschüsse signifikant steigern. Das ist das Resultat der operativen und finanziellen Maßnahmen, an denen wir vier Jahre gearbeitet hatten.

 procontra: Experten von KPMG erwarten zwei bis zehn Run-Off-Deals bis Ende 2025. Sehen Sie das ebenso?

Dresig: Diese Zahlen kann ich nicht kommentieren. Ich glaube, da sind externe Berater näher an all denen dran, die überlegen, was sie als nächstes mit dem traditionellen Lebensgeschäft machen. Wenn Sie aber auf die rund 80 deutschen Lebensversicherungen mit ihren Herausforderungen schauen, bin ich sicher: da werden mittelfristig einige Transaktionen kommen.

 procontra: Gibt es eigentlich Überlegungen, das Run-Off-Geschäft auch auf den Sachversicherungsmarkt auszudehnen? Experten sehen hier ein Geschäftsvolumen von über 100 Milliarden Euro.

Dresig: Eine unserer Stärken ist, dass wir hochfokussiert sind. Wir machen nur Lebensversicherungen, regional konzentriert. Wir glauben, dass dieser deutliche Fokus auf ein einziges Thema erfolgreich ist. Wir haben in der Lebensversicherung klare Spezialisierungsvorteile – darauf setzen wir.