Seit dem 30. November 2022 stimmen die Börsen täglich darüber ab, welche Unternehmen zu den Gewinnern gehören und wer vermutlich scheitern wird. Der wilde Ritt der Aktienkurse von Oracle und Alphabet – mittlerweile der zweitgrößte Wert im Fonds – zeigt, wie schnell sich das Urteil an der Börse ändern kann.
Bereits ein Jahr vor dem Launch von ChatGPT hatte ein großes Forscherteam der Stanford-Universität unter dem Titel „On the Opportunities and Risks of Foundation Models“ einen Artikel zu großen Sprachmodellen veröffentlicht. Die Autoren prägten den Begriff „Foundation Model“ und formulierten eine bahnbrechende These: KI befinde sich im Übergang von einer Welt, in der für jede Aufgabe ein eigenes Modell entwickelt wird, hin zu einer, in der ein einziges Modell alle Aufgaben übernimmt. Da das Training solcher Modelle enorme Mengen an Kapital und Daten erfordert, prognostizierten sie, dass nur wenige Unternehmen in der Lage sein würden, sie zu entwickeln – mit der Folge eines zentralisierten Engpasses für die gesamte Softwareindustrie.
Ein Jahr nach dem Launch von ChatGPT stellte Andreessen Horowitz in einem Blog die Frage: „Who Owns the Generative AI Platform?“ Sie analysierten, in welcher Schicht der KI-Wertschöpfung der größte Wert entsteht: auf der Infrastruktur-, der Modell- oder der Applikationsebene. Auch die Autoren dieses Artikels stellten eine ähnliche These auf: Wenn alle Anwendungen auf dieselben Modell-APIs zugreifen, droht die Anwendungsebene zur austauschbaren Commodity zu werden.
Gewinner: große Cloud-Anbieter, Rechenzentren und Stromerzeuger
Die Infrastruktur dieser neuen Welt wird in Rekordzeit von ganz wenigen Unternehmen aufgebaut. Fünf amerikanische Hyperscaler werden dieses Jahr knapp 400 Milliarden und nächstes Jahr über eine halbe Billion Dollar in AI-Fabriken investieren. Auf der Infrastrukturebene stehen die Gewinner bereits heute fest: die großen Cloud-Anbieter, die Betreiber von Rechenzentren, die Ausrüster und – nicht zu unterschätzen – die Stromerzeuger.
Auf der Modellebene ist die Allmacht von wenigen Modellen wie ChatGPT und Google Gemini bisher ausgeblieben. Der Erfolg der Open-Source-LLMs, vor allem aus China, hält den Wettbewerb noch aufrecht. Dennoch ist die Anzahl der relevanten Anbieter überschaubar. „Intelligenz“ ist deutlich günstiger geworden; die Kosten pro Token für Standardaufgaben sind seit Einführung von ChatGPT um 99 Prozent gefallen. Das ist eigentlich eine sehr gute Nachricht für alle Nutzer und für Applikationen.
Verlierer: SaaS-Unternehmen
Doch offensichtlich gehören Software-as-a-Service- (SaaS-) Unternehmen nicht dazu. Sie sind die großen Verlierer an der Börse seit Einführung von ChatGPT. In den letzten drei Jahren ist der Bessemer Cloud Index in Euro gemessen lediglich um wenige Prozent gestiegen. Der Nasdaq-100 hat im gleichen Zeitraum 90 Prozent zugelegt. Sind SaaS-Unternehmen nur CRUD-Datenbanken mit Geschäftslogik und daher reif für die Disruption in der AI-Agent-Welt, wie Satya Nadella vor einem Jahr prognostiziert hat? Eine Antwort bietet eine Metrik, die wir hier schon mehrmals diskutiert haben: Retention, gemessen zum Beispiel über NRR. Solange dieser Wert stagniert, werden wir uns mit Engagement in SaaS-Unternehmen zurückhalten. Es ist auch ein sinnvoller KPI für den Erfolg von AI-Applikationen. Und zumindest hier gibt Andreessen Horowitz Entwarnung: „Retention Is All You Need.“
Und wie sieht die Zukunft von OpenAI aus? Der doppelte Erfolg von Google mit Gemini 3 und den TPUs hat allen Unternehmen im Orbit von OpenAI in den letzten zwei Wochen ordentlich zugesetzt. Doch zumindest kurzfristig sieht man keinerlei Panik in den Nutzer- und Downloadzahlen von ChatGPT. Die Gesamtnachfrage nach Compute wird deshalb auch nicht abnehmen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Alphabet keine weiteren Investitionen in AI-Fabriken ankündigt. Die hohen Investitionen von OpenAI oder Oracle in Rechenzentren sind daher keine „Sunk Costs“; im Zweifel gibt es genügend andere Anbieter, die diese Rechenkapazität übernehmen würden. Sam Altman würde heute wahrscheinlich Mark Twain zitieren: „The reports of my death are greatly exaggerated.“

