Investments in Emerging Markets

„Anleger suchen Alternativen zu China“

Unter den Schwellenländern Asiens rückt Indien immer mehr in den Anlegerfokus. Andreas Köchling, Fondsanalyst bei der Ratingagentur Scope, sprach mit procontra über die aktuellen Entwicklungen.

15:07 Uhr | 24. Juli | 2023
Andreas Köchling, Fondsanalyst bei Scope

Warum Indien immer stärker als Anlageziel in den Fokus rückt, erklärt Andreas Köchling, Fondsanalyst bei Scope.

| Quelle: Privat

procontra:

Unter den Schwellenländern Asiens scheint Indien als Anlageziel mehr und mehr in den Fokus zu rücken im Vergleich zu China. Wie ist Ihre Beobachtung?

Andreas Köchling:

Ein Shift bei den Mittelflüssen ist sicherlich zu beobachten. Bei dem Akronym „BRIC“ war Indien früher der unbekannteste oder am wenigsten beachtete Aktienmarkt. China war das größte Thema von diesen Emerging Markets. Nun aber schauen viele auf Indien, weil man es doch etwas vernachlässigt hat und bemerkenswerte Nachrichten zur Volkswirtschaft hinzukommen. Die wichtigste ist, dass Indien jetzt mehr Einwohner hat als China. Dazu kommen die Deglobalisierung und das Thema USA versus China. Die politischen Spannungen wirken sich auf die Wirtschaft und die Finanzmärkte aus.

procontra:

Inwiefern?

Köchling:

Das Kapital, das in Emerging Markets angelegt werden soll, sucht dann Alternativen für China – und Indien ist ein sehr großer Markt mit einem funktionierenden Kapitalmarkt. Das war der Beginn einer Mittelbewegung, die weiterhin anhält. Inwieweit dies die Hauptursache für den Shift ist, lässt sich nicht eindeutig definieren, da es für Mittelbewegungen noch zahlreiche weitere Einflussfaktoren gibt. Hinzu kommt, dass sich der indische Aktienindex Sensex sehr positiv entwickelt hat. Seit dem Tief zu Beginn der Coronaphase im Frühjahr 2020 hat er sich mehr als verdoppelt. Zum Stand vor Corona hat er ein Plus von mehr als 50 Prozent verbucht. Eine weitere positive Wertentwicklung scheint möglich zu sein.

procontra:

Was sind aus Ihrer Sicht die maßgeblichsten Schwellenländer in der Kapitalanlage?

Köchling:

Die Länder, die im Aktienindex MSCI Emerging Markets enthalten sind, sind die maßgeblichen Schwellenländer, insbesondere die großen Player. Dort haben wir China mit einem Anteil von nahezu 30 Prozent wegen seiner Größe und Bedeutung für den Weltmarkt. Trotzdem ist das Land für den Kapitalmarkt weniger wichtig als für die Realwirtschaft, Chinas Wirtschaft ist in absoluten Zahlen riesig. Taiwan mit 16 Prozent Gewichtung im Index ist eine Hightech-Schmiede ohnegleichen. Indien ist ein sehr großer Markt und hat eine funktionierende Wirtschaft. Dessen Anteil liegt bei 14 Prozent, die des nächstgrößten Vertreters Südkorea bei 13 Prozent. MSCI wird Südkorea früher oder später als Industrieland einstufen, ähnlich wie es andere Indexanbieter bereits getan haben. Brasilien ist ebenfalls schon wegen seiner Größe mit einem Anteil von fünf Prozent eines der bedeutendsten aufstrebenden Länder. Ein weiteres großes Land ist Russland – das aber derzeit vom Kapitalmarkt abgeschnitten und daher nicht im Index vertreten ist. In der internationalen Kapitalanlage spielt das Land im Zuge des Ukraine-Krieges momentan keine Rolle.

procontra:

Was sind Ihre aktuellen Einschätzungen zum russischen Aktienmarkt?

Köchling:

Inländischer Börsenbetrieb ist am russischen Aktienmarkt möglich. Aber das hilft Ausländern nichts. Die Preisnotierungen sind wegen dieser Einschränkungen mehr oder weniger willkürlich. Hiesigen Anlegern, die in russische Wertpapiere investiert haben, würde ich zwei Hinweise geben. Erstens: Geduld haben. Zweitens: Rechne mit dem Schlimmsten. Wenn kein Handel möglich ist, ist das Wertpapier, egal ob Aktie oder Anleihe, schlicht illiquide. Daher bleibt fast nichts anderes übrig, als Geduld zu haben. Sollte eines Tages wieder ein geordneter Handel mit ausländischen Anlegern stattfinden, wird es zu großen Kursbewegungen kommen. In welche Richtung sie dann laufen, hängt von den Umständen ab.

procontra:

Welche zum Beispiel?

Köchling:

Eines ist klar: Ein Handel wird erst wieder stattfinden, wenn sich die wirtschaftlichen Beziehungen normalisiert haben. Und die wirtschaftlichen Beziehungen werden sich erst wieder normalisieren, wenn der Ukraine-Krieg in irgendeiner Form beendet ist. Hierfür sind die unterschiedlichsten Szenarien denkbar. Um nur zwei mögliche Extreme zu betrachten: Die Ukraine kann die Besatzungsmacht Russland komplett zurückschlagen. Das wäre etwas ganz anderes, als wenn die USA das Interesse an Mitteleuropa verlieren würden und die ganze Ukraine von Russland besetzt wäre. Es herrscht Krieg. Dies alles ist daher mit wirtschaftlichen Maßstäben nicht zu prognostizieren. Wann ein Börsenhandel wieder möglich ist und wie sich das konkret auf die Kurse auswirkt, lässt sich nicht seriös voraussagen.

procontra:

Was würden Sie zum Thema Schwellenländer in der Kapitalanlage noch ergänzen?

Köchling:

Schwellenländer sind stark betroffen vom derzeitigen Trend der Deglobalisierung. Das kann überdurchschnittliche Risiken hervorbringen – bei einigen Ländern vielleicht auch deutliche Chancen. Insgesamt sollten die einzelnen Länder noch differenzierter betrachtet werden als in den vergangenen zwanzig Jahren, weil es auch dort einen großen Umbruch gibt. Alte Trends einfach fortzuschreiben wäre jetzt ein großer Fehler. Umso mehr ist es sinnvoll, Investments in diesen Regionen Fachleuten zu überlassen. Sonst gerät man sehr schnell in uninformierte Spekulation.