Neue Regeln für Immobilienbesitzer

„Ein voreiliger Verkauf ist nicht ratsam“

Seit Jahresbeginn werden bestimmte Immobilien im Erbfall höher besteuert. Warum und wie das den Markt ändern wird, erklärt Thorsten Bader, Geschäftsführer der B&B Optimal GmbH.

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14:06 Uhr | 09. Juni | 2023
Thorsten Bader

„Der realistische Wert der Immobilie ist den meisten unbekannt“: Immobilienexperte Thorsten Bader sprach mit procontra über die neue Steuerregelung beim Vererben und Verschenken von Immobilien und ihre Auswirkungen auf den Markt.

| Quelle: Privat

procontra:

Seit Januar gilt das neue Jahressteuergesetz, wonach die Erbschafts- und Schenkungssteuer für einige Immobilien neu berechnet wird. Infolgedessen rechnet der Eigentümerverband Haus & Grund mit einem Anstieg der Steuersätze um 20 bis 30 Prozent. Ihr Unternehmen prognostizierte kürzlich, dass die neue Regelung unzählige Immobilien auf den Markt spülen werde. Warum?

Thorsten Bader:

Zunächst einmal gibt es natürlich innerhalb der neuen Steuerregelung Freibeträge – trotzdem sind viele Menschen von der Steuererhöhung betroffen, so dass eine große Zahl Vererbungswilliger sicher als Ausweg den Verkauf wählen wird. Sie wollen ihren Kindern keine Last in Form einer höheren Besteuerung hinterlassen und vererben deshalb lieber das so erworbene Kapital. Ein zweiter Grund, der Immobilien auf den Markt spülen wird: Auch mit der Grundsteuerreform hat sich für Eigenheimbesitzer der Kostendruck erhöht. Zusätzlich gilt die Pflicht zu energetischen Sanierungen und dem Einbauen von Wärmepumpen. Dadurch wird eine wahnsinnige Verunsicherung in den Markt gestreut. Es kommen hier also mehrere Faktoren zusammen.

procontra:

Wie hat sich Ihr Beratungsalltag durch das neue Gesetz verändert?

Bader:

Wir bekommen momentan sehr viele Anfragen, die Verunsicherung der Menschen ist spürbar. Sie fürchten die hohe Steuerlast für ihre Erben. Dabei sorgen sich viele auch umsonst, weil sie mit ihrer Immobilie gar nicht in den Bereich kommen, der höher besteuert wird. Die höhere Besteuerung gilt nur in einigen Fällen, beispielsweise wenn regionale Vergleichswerte fehlen. Zudem muss der Immobilienwert oberhalb des Freibetrags von 400.000 Euro liegen.

procontra:

Auf welche Eigenheimbesitzer kommen die größten Veränderungen zu?

Bader:

Von der Gesetzesänderung sind vor allem Wohnungs- und Eigenheimbesitzer aus Ballungsgebieten, wie München oder Hamburg, betroffen. In den wirtschaftsstarken Regionen merkt man auch schon, dass mehr Immobilien auf den Markt kommen. In den A-Lagen rechne ich mit erheblichen Preisrückgängen. Solange wir uns nicht im Luxussegment befinden, werden die Preise auch in den B-Lagen moderat sinken. Kaum Auswirkungen sehe ich in den C-Regionen, beispielsweise in Duisburg, Wilhelmshaven oder Wuppertal.

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procontra:

Neben dem Verkauf gibt es noch andere Möglichkeiten, um der höheren Besteuerung zu entgehen – beispielsweise durch eine Schenkung zu Lebzeiten mit Nießbrauchrecht. Werden Immobilienbesitzer nicht eher diese Option in Erwägung zu ziehen, anstatt direkt zu verkaufen?

Bader:

Das kann man so sicher nicht sagen. Viele unserer Kunden haben diese Sichtweise: Wenn ich meine Immobilie jetzt verkaufe, habe ich das Geld erstmal auf dem Konto. Dann kann ich beispielsweise eine Familienstiftung gründen, in die ich das Geld gebe, um die Immobilie wieder anzukaufen. Auffällig ist, dass seit der Gesetzesänderung bei uns auch die Nachfrage nach einer Teilverkauf-Beratung gestiegen ist.

procontra:

Wem raten Sie zum Verkauf?

Bader:

Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich niemandem zum Verkauf raten. Man muss nur in die Vergangenheit schauen, wenn man wissen will, wie es weitergeht. In Zinshochphasen waren die Gewinner immer die Immobilienbesitzer – weil eine Immobilie, langfristig gesehen, nicht der Inflation unterliegt. Wenn ich heute ein Objekt kaufe, mit einer Mietrendite von 4 Prozent und ich setze eine konservative Inflationsrate von 4 Prozent dagegen, habe ich schon eine Rendite von 8 Prozent erzielt. Das habe ich bei keiner anderen Anlageform. Deshalb ist es falsch, aus einer Verunsicherung heraus die Immobilie voreilig zu verkaufen.

procontra:

Wird mit dem neuen Steuergesetz tatsächlich eine Anpassung an den Markt vollzogen, wie sie die Regierung mit der Gesetzesänderung beabsichtigt hat?

Bader:

Die neue Bewertungsform bildet den Markt ab – aber unter der Voraussetzung, dass viele Komponenten eine Rolle spielen, unter anderem diese: In welchem Zustand ist das Haus? Das wissen die meisten Eigentümer nicht. Gibt es kein Gutachten, legt das Finanzamt den Wert fest. Ich gehe davon aus, dass durch das neue Gesetz die meisten Menschen drauf zahlen – weil ihnen der realistische Wert ihrer Immobilie unbekannt ist.

procontra:

Das neue Gesetz schreibt zwar höhere Steuersätze vor, eine Anpassung der Freibeträge ist darin aber nicht vorgesehen. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Bader:

Ich empfinde das als ungerecht. Denn auf der einen Seite drehe ich an einer Schraube, um mehr Steuereinnahmen zu generieren. Aber auf die andere Seite wird im Gegenzug nicht geachtet.

procontra:

Gibt es weitere Kritikpunkte?

Bader:

Das neue Gesetz ist so kompliziert, dass nur Profis durchsteigen. Deshalb hätte vor Inkrafttreten ein Zeitraum zur Verfügung stehen müssen, in dem sich Immobilienbesitzer in Ruhe informieren können. Stattdessen wurde das Gesetz in einer Art Hauruck-Aktion durchgewuchtet.

procontra:

Abseits der neuen Steuerregelung: Welchen Effekt hat das verabschiedete Gebäudeenergiegesetz auf den Immobilienmarkt?

Bader:

Das ist ein weiterer Treiber für den Wandel. Wenn ich jetzt ein Haus energetisch auf Vordermann bringen will, bin ich schnell bei 60.000 bis 70.000 Euro. Auch deshalb verkaufen viele Menschen lieber, bevor die Last bei ihren Kindern liegt. Es gibt zwar eine Menge Förderprogramme, aber es ist sehr schwer, sich durch das Dickicht zu wühlen. Diese ganze Gemengelage drückt noch stärker Immobilien in den Markt.