„Für Standardrisiken und Massenpolicen braucht es keinen Makler mehr“
procontra: Was sind die Ursachen dafür, dass im Industrie- und Gewerbegeschäft zunehmend von „Deckungsnot“ und langen Bearbeitungszeiten die Rede ist?
Marcus Schmalbach: Die Ursachen liegen auf mehreren Ebenen. Einerseits sind klassische Versicherungsprozesse fragmentiert, papierlastig und stark von manueller Prüfung abhängig. Das führt unweigerlich zu langen Bearbeitungszeiten – sowohl in der Policierung als auch in der Schadenregulierung. Andererseits sehen wir eine zunehmende Risikokonzentration bei gleichzeitigem Rückzug vieler Versicherer aus komplexen Bereichen. Risiken wie Cyber, ESG oder geopolitisch bedingte Lieferausfälle sind kaum noch zu tragbaren Bedingungen versicherbar. Diese „Deckungsnot“ trifft besonders jene Unternehmen, die nicht in klassische Risikoraster passen. Die Folge: Entweder keine Deckung oder keine rechtzeitige.
procontra: Gibt es mittlerweile digitale Tools zur Risikoübertragung und -bewertung?
Schmalbach: Ja. Mit der Parametrischen Risikotransfer Lösung (PaRTL) haben wir ein digitales Framework geschaffen, das Risiken datenbasiert bewertet, modelliert und automatisiert transferiert. Dabei geht es nicht mehr um die nachträgliche Bewertung eines konkreten Schadens, sondern um die vorherige Definition eines objektiven Auslösers – eines sogenannten Triggers. Wird dieser erreicht, erfolgt die Auszahlung automatisch – ohne Gutachter, ohne Verzögerung.
procontra: Wie kann man sich das vorstellen?
Schmalbach: Ein innovativer Anwendungsfall ist ein CO₂-basierter Risikotransfer. Denken Sie an ein produzierendes Unternehmen, das Lithium-Zellen aus Südostasien bezieht. Steigt die CO₂-Konzentration am Produktionsstandort in drei aufeinanderfolgenden Tagen über 450 ppm – etwa infolge eines Smog-Ereignisses – greifen lokale gesetzliche Notfallpläne: Produktionsstopp, Werkschließungen, Fahrverbote. Die Lieferkette ist gestört, das Risiko real. Mit PaRTL wird bei Eintritt dieses Triggers automatisch eine Zahlung ausgelöst – etwa zur Finanzierung alternativer Beschaffung oder zur Aktivierung grünerer Lieferanten. Keine Schadenmeldung nötig, keine Wartezeit. Das ist nicht nur effizient, sondern verbindet erstmals ESG-Kriterien mit realwirtschaftlichem Risikotransfer.
Wir sehen eine zunehmende Risikokonzentration bei gleichzeitigem Rückzug vieler Versicherer aus komplexen Bereichen.Marcus Schmalbach
procontra: Da steckt noch mehr hinter, oder?
Schmalbach: Neben der technischen Komponente geht es aber um noch mehr: Risiken werden durch PaRTL handelbar. Sie werden zur Asset-Klasse. Wir sprechen hier über die nächste Evolutionsstufe: Risiko nicht nur absichern, sondern bewerten, standardisieren und am Markt handeln. Genau an diesem Punkt positioniert sich das Unternehmen RYSKEX – als eine Art „Bloomberg für den Risikotransfer“. Unsere Kunden kommen aus Europa und den USA, aktuell erschließen wir im Rahmen einer strategischen Kooperation mit Hongkong auch den chinesischen Markt. Besonders im Fokus: Kohlenstoffausgleich und der globale Handel mit CO₂-basierten Risikostrukturen.
procontra: Da freut sich die Finanzindustrie über neue Geschäftsmöglichkeiten. Aber ist das mit Blick auf die Probleme in der Industrie- und Gewerbeversicherung auch ein Werkzeug gegen lange Wartezeiten von Kunden bei Policierung und Schadenregulierung?
Schmalbach: Absolut. Die klassische Versicherung folgt dem Prinzip: erst Schaden prüfen, dann zahlen. Das ist bei komplexen Risiken langwierig und führt zu Frustration, Liquiditätsengpässen oder sogar Rechtsstreitigkeiten. PaRTL dreht dieses Prinzip um: erst Ereignis definieren, dann zahlen – automatisch. Der Kunde muss keinen Schaden beweisen, sondern nur, dass der Trigger eingetreten ist. Das geschieht in Echtzeit, per Datenfeed und Blockchain-basierter Smart Contract-Infrastruktur. Die Auszahlung erfolgt oft binnen Minuten. So entsteht nicht nur Effizienz, sondern auch Vertrauen.
Wir sprechen hier über die nächste Evolutionsstufe: Risiko nicht nur absichern, sondern bewerten, standardisieren und am Markt handeln.Marcus Schmalbach
procontra: Wie genau wird Vertrauen gewährleistet?
Schmalbach: Durch Transparenz und Automatisierung. Hier spielt Blockchain eine Schlüsselrolle. Smart Contracts ermöglichen es, die Versicherungsbedingungen fälschungssicher und transparent im Code zu hinterlegen. Jede Transaktion – ob Trigger-Erfassung, Prämienzahlung oder Schadenersatz – ist dokumentiert, nachvollziehbar und unveränderlich gespeichert. Das reduziert Missverständnisse, schafft Beweisbarkeit und senkt gleichzeitig Kosten. Vor allem im internationalen Geschäft, wo kulturelle oder regulatorische Unterschiede Vertrauen erschweren, ist das ein echter Game Changer.
procontra: Welche digitalen Lösungen entstehen sonst noch?
Schmalbach: Das Zusammenspiel aus IoT, KI und Blockchain verändert grundlegend, wie wir Risiken managen. Sensoren ermöglichen heute eine kontinuierliche Überwachung von versicherten Objekten, wie Maschinen, Windturbinen oder Serveranlagen. Echtzeitdaten fließen ins Risikomodell ein, ermöglichen prädiktive Wartung, dynamisches Pricing oder automatische Abschaltungen vor Eintritt eines Schadens. Der Fokus verschiebt sich damit von der Kompensation hin zur Prävention – genau das, was Industrieunternehmen in der VUCA-Welt brauchen, also in einer – ins Deutsche übersetzt – von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit geprägten Welt.
procontra: Gibt es für die Tools bereits Anwendungsfälle?
Schmalbach: PaRTL ist keine Theorie, sondern wird aktiv eingesetzt. Beispielsweise in Kombination mit Carbon Credits, bei ESG-basierten Lieferketten oder zur Absicherung wetterbedingter Produktionsausfälle, sowie Pandemie- und Cyberrisiken. In unserer eigenen Captive-Struktur „Veritas ex Machina“ in Connecticut setzen wir PaRTL ein, um klimabezogene Risiken parametrisch zu versichern – teilweise mit CO₂-basierten Triggern, wie im Lithium-Zellen-Beispiel. Im Bereich IoT sehen wir Einsätze in der Maschinenversicherung, bei denen Sensoren Temperatur, Vibration und Betriebsstunden erfassen, nicht nur zur Risikobewertung, sondern zur aktiven Risikosteuerung. Die Technologie ist Realität – nur noch nicht flächendeckend angekommen.
procontra: Versicherer und Unternehmen via Technik verbunden. Bedroht die Digitalisierung den Beruf des Industrie- und Gewerbemaklers?
Schmalbach: Nein, aber sie verändert ihn fundamental. Standardrisiken und Massenpolicen werden zunehmend automatisiert. Für diese Geschäftsmodelle braucht es keinen Makler mehr. Aber: Je komplexer der Risikotransfer, je parametrischer das Modell, desto wichtiger wird der Makler – als Architekt und Übersetzer zwischen Datenmodell, Kundenbedarf und Risikokapitalgebern. Wer sich technisch weiterbildet und die neuen Tools nutzt, wird nicht ersetzt, sondern gewinnt an Relevanz. Digitalisierung ersetzt nicht den Makler, sondern den Makler, der Digitalisierung ignoriert. Wie immer gelten die alten Weisheiten der Branche: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit und wer schreibt, der bleibt.
Mehr Hintergründe zu den Strategien der Versicherer, den Missstand zu beseitigen und zu möglichen Spezialisierungen von Maklern lesen Sie in der aktuellen Printausgabe der procontra 03/25.