Makler in der Pflicht: Schutz vor Vertrauensschäden immer wichtiger
Was Sie erfahren werden
Warum die Zahl der Betrugsfälle in Unternehmen steigt.
Welche Faktoren eine gute Vertrauensschadenversicherung (VSV) ausmachen.
Welche neue Rolle Maklern bei der Risiko-Beratung von Unternehmen zukommt.
procontra: Die Statistik zeigt, dass Wirtschaftsstraftaten zunehmen und damit auch Entschädigungsleistungen steigen. Wie ist das zu erklären?
Dirk Dahlheimer: Die Entwicklung ist tatsächlich signifikant. Eine repräsentative Umfrage aus dem Jahr 2023 hat ergeben, dass 34 Prozent der deutschen Unternehmen in den letzten zwölf Monaten mit wirtschaftskriminellen Sachverhalten konfrontiert waren. Und eine internationale Studie von PwC kommt mit 46 Prozent zu einem noch höheren Wert.
Diese Entwicklung hat mehrere Gründe: Zum einen schafft der technologische Fortschritt immer neue Möglichkeiten, Unternehmen zu schädigen, zum anderen haben Corona und die Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice zu einer gewissen Ent-Emotionalisierung der Arbeitnehmer gegenüber ihren Arbeitgebern geführt. Und dann ist da noch die wirtschaftliche Unsicherheit, die Wirtschaftsstraftaten begünstigt.
procontra: Und welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Hinweisgeberschutzgesetz, das Unternehmen seit 2023 zur Einführung von Hinweisgebersystemen verpflichtet?
Dahlheimer: Das ist natürlich ein zusätzlicher Treiber der Entwicklung. Das Gesetz zielt ja darauf ab, Hinweisgeber, also Whistleblower, strafrechtlich zu schützen. Das hat fraglos zu einer höheren Entdeckungsquote geführt. Früher mussten solche Hinweisgeber unter Umständen mit arbeits- oder sogar strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.
procontra: Und was bedeutet das alles für die Nachfrage nach VSV-Produkten und die Beratungspraxis von Maklern?
Dahlheimer: Mit dem steigenden Risiko steigt natürlich auch die Nachfrage. Gleichzeitig ist die Beratung komplexer geworden. Makler können heute nicht mehr reaktiv agieren, sondern müssen Unternehmen proaktiv über Risiken aufklären und anhand von Risikoanalysen passgenaue Lösungen entwickeln.
procontra: In vielen Bereichen der Gewerbe- und Industrieversicherungssparte herrscht eine Art Deckungsnotstand. Trifft das auf die VSV auch zu?
Dahlheimer: Nein, überhaupt nicht. Der Vertrauensschadenversicherungsmarkt funktioniert reibungslos, das heißt, die Kapazitäten, Risiken am Markt aufzunehmen, sind unverändert gut. Die Preise sind stabil und die Implementierung kann innerhalb eines Tages erfolgen. Diese Marktstabilität unterscheidet im Übrigen die Vertrauensschadenversicherung von der Cyber-Versicherung.
procontra: Was macht ein gutes VSV-Produkt aus? Auf welche Punkte sollten Makler unbedingt achten?
Dahlheimer: Wichtig ist natürlich der Umfang des Versicherungsschutzes. An erster Stelle steht dabei klassischerweise der Schutz des Unternehmens vor finanziellen Schäden durch kriminelle Handlungen von Vertrauenspersonen. Dazu zählen sowohl Mitarbeiter als auch externe Personen. Zudem sollte eine gute Police auch Hackerangriffe und Cyberschäden abdecken, die durch vorsätzliche Handlungen von Mitarbeitern oder Dritten verursacht werden.
Daneben kommt es selbstverständlich auf die Deckungssumme an. Diese sollte für das jeweilige Unternehmen passgenau und ausreichend hoch sein. Dasselbe gilt für die Sublimits verschiedener Schadensszenarien. Das ist definitiv eine Aufgabe, für die das Unternehmen Beratung braucht. Ideal ist eine Police, die die Möglichkeit bietet, aus verschiedenen Modulen den besten Schutz zusammenzustellen. Ein Hersteller von Fleisch und Wurstwaren hat nämlich andere Risiken als zum Beispiel ein Finanzdienstleister.
Es reicht nicht, einmal im Jahr den Kunden zu fragen, ob noch alles in Ordnung sei.Dirk Dahlheimer
Sprecher der Geschäftsführung bei MRH Trowe Credit & Finance
procontra: Gibt es Unterschiede, wie Versicherer Vertrauensschäden regulieren und wie können Makler sicherstellen, dass ihre Kunden eine gute und faire Regulierung erhalten?
Dahlheimer: Da gibt es natürlich Unterschiede hinsichtlich der Geschwindigkeit der Schadenabwicklung, aber auch hinsichtlich der Komplexität einer Schadenmeldung. Grundsätzlich gilt hier: Je weniger Nachweise ich erbringen muss und je einfacher und digitaler die Schadenmeldung ist, desto besser.
Bei hohen Schäden kann immerhin die Liquidität eines Unternehmens und damit auch seine Existenz auf dem Spiel stehen, wenn die Schadenregulierung nicht schnell und unkompliziert erfolgt oder keine vorläufige Entschädigung gezahlt wird. Große Versicherer, das zeigt unsere Erfahrung, regulieren in der Regel schneller als kleine. Dem Makler kommt hier eine zentrale Rolle zu: Er kann zwar nicht selbst regulieren, aber seinen Kunden so beraten, begleiten und unterstützen, dass er schnell zu einer Entschädigung kommt.
procontra: Wie schätzen Sie die Marktentwicklung für die VSV in den kommenden Jahren ein?
Dahlheimer: Die Nachfrage nach der Vertrauensschadenversicherung wird weiter steigen. Dabei wird es sicherlich neue Schwerpunkte und Risiken geben, gerade auch in Abgrenzung zur Cyberversicherung. Dass die Schadenhäufigkeit insgesamt zurückgehen wird, halte ich für wenig wahrscheinlich, weil die voranschreitende technologische Entwicklung und Integration immer wieder neue Möglichkeiten für kriminellen Handlungen eröffnet.
Wer hat sich vor einigen Jahren zum Beispiel vorstellen können, dass Zahlungstransaktionen extern manipuliert werden können oder ganze Rechenzentren gehackt werden. Und dann kommt noch das Thema KI dazu – hier sind die Folgen noch gar nicht absehbar. Früher nannte man im Zusammenhang mit der Vertrauensschadenversicherung als typischen Schaden den Griff in die Kaffeekasse – das ist lange vorbei.
procontra: Wie wichtig ist es für Makler, regelmäßig auf ihre gewerblichen Kunden zuzugehen und ihnen anzubieten, ihre Vertrauensschadenversicherung zu überprüfen und anzupassen?
Dahlheimer: Das ist nicht nur wichtig, sondern unerlässlich. Schon allein deshalb, weil Makler aufgrund ihres Mandates für alles haften, was sie machen und auch für alles, was sie nicht machen. Mit anderen Worten: Makler müssen auch in die Risikoanalyse gehen und ihrer Aufklärungs- und Beratungspflicht nachkommen.
Darüber hinaus muss eine einmal gewählte Lösung regelmäßig überprüft werden, denn sowohl das jeweilige Unternehmen als auch die Risken verändern sich ständig. Das erfordert auf Maklerseite Fachkompetenz. Es reicht nicht, einmal im Jahr den Kunden zu fragen, ob noch alles in Ordnung sei. Die Rolle des Maklers wandelt sich, die Beratung wird intensiver, qualitativ und quantitativ anspruchsvoller.