Lebensversicherungen: Mehr Wert für's Geld?

Die Versicherungsaufsicht will Versicherer dazu bringen, ihren Lebensversicherungskunden einen angemessenen Wertzuwachs zu bieten. Das bedeutet aber für Vermittler: Es geht wieder mal um ihre Vergütung.

14:11 Uhr | 18. November | 2022
Prof. Dr. Matthias Beenken von der FH Dortmund. Bild: Beenken

Die BaFin will die Kosten der Lebensversicherer stärker in den Blick nehmen. Dabei wird es in erster Linie aber wieder um die Abschlussprovisionen der Vermittler gehen, befürchtet Prof. Dr. Matthias Beenken von der FH Dortmund. Bild: Beenken

Ende Oktober startete die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) eine Konsultation für ein neues „Merkblatt“. Es geht darin um „wohlverhaltensaufsichtliche Aspekte bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten“ oder kurz um die Frage, wie fair Lebensversicherer ihre Kunden behandeln sollen.

Kundennutzen nur gleich Rendite?

Im Zentrum steht ein „angemessener Kundennutzen“. Der soll aus einem „realen Anlageerfolg“ bestehen, das heißt, eine Rendite mindestens oberhalb der langfristig erwarteten Inflation. Problematisch sind dabei drei Stellgrößen: Die Renditeerwartung der ausgewählten Anlagen, in der Regel wohl Fonds, die Kosten und die Inflation. Der Versicherer muss eine attraktive Rendite glaubhaft machen, aber eben auch die Effektivkosten begrenzen und damit rechnen, dass die derzeit noch mit zwei Prozent als Mittelfristziel der Europäischen Zentralbank bezifferte Inflationserwartung im Laufe der Zeit angepasst werden kann. Das Ganze soll in Szenarien dargestellt werden.

Keine wirkliche Beachtung finden dagegen qualitative Faktoren, wie sie die Europäische Versicherungsaufsicht EIOPA in einem am selben Tag erschienenen Merkblatt (EIOPA-BOS-22/482) auflistet. Da geht es auch um Wert und Umfang der Beratung, digitale Services oder die Nachhaltigkeit der Anlagen.

So wurden gerade im August für Versicherungsvermittler die neuen Frage- und Beratungspflichten zu Nachhaltigkeitspäferenzen der Kunden eingeführt. Die Bundesregierung schätzt allein diesen Mehraufwand in einem aktuellen Entwurf einer neugefassten Finanzanlagenvermittlungsverordnung (FinVermV) auf 101 Millionen Euro – und das für nur rund 39.000 betroffene Finanzanlagenvermittler im Vergleich zu über 192.000 Versicherungsvermittlern.

Ideen aus der Provisionsdeckel-Diskussion

Die BaFin diskutiert ausführlich einzelne Kostenpositionen bei Lebensversicherungen, die alle durch die Vermittlervergütung verursacht werden. Vieles kommt einem bekannt vor aus dem Entwurf eines Provisionsdeckelgesetzes von 2019, das schließlich nur für die Restschuldversicherung umgesetzt wurde. Auch wenn es nun nur ein „Merkblatt“ werden soll, ist damit zu rechnen, dass die Versicherer sich in ihren internen Produktfreigabeverfahren verstärkt nach diesen Vorstellungen ausrichten müssen.

Ein zentraler Angriffspunkt ist die Abschlussprovision. Kritisiert wird deren renditemindernde Wirkung im Frühstornofall. Dabei ist diese durch die fünfjährige Stornohaftung und die Reduzierung der Zillmerfähigkeit der Einmalkosten bereits entschärft worden. Fast mag man die Frage stellen, ob der frühstornierende Kunde sozusagen zum Leitbild des Verbraucherschutzes geworden ist. Aus gesellschafts- und aus fiskalpolitischer Sicht müsste dagegen der bis zum Rentenalter durchhaltende Altersvorsorgesparer das Leitbild sein, um Altersarmut und Belastungen der kommunalen Haushalte durch Grundsicherungsleistungen zu vermeiden.

Jedenfalls sahen das frühere Bundesregierungen so, als sie erst die Riester- und dann die Basisrente einführten, bei denen der Kunde seine Ersparnisse ganz oder überwiegend erst im Alter genießen kann. Der Wechsel in die nachgelagerte Besteuerung hat denselben Zweck, Anreize für langfristiges Sparen im Erwerbsalter und gerade nicht für kurzfristige Rendite- und Steueroptimierungsmodelle zu schaffen. Die EIOPA zum Beispiel führt aus, dass man jedenfalls beim Storno nach nur einem Vertragsjahr vernünftigerweise von einem Verlust ausgehen sollte.

Seite 1: Bedeutet Kundennutzen lediglich Rendite?Seite 2: Mehrnutzen durch laufende ProvisionSeite 3: Zwei Forderungen sind nachvollziehbar

Mehrnutzen durch laufende Provision?

Auch ist durchaus nicht klar, worin der Kundennutzen bei einem vollständigen Wechsel von der frontlastigen zur laufenden Provision bestehen sollte.

Eine einfache Überlegung: Die Abschlussprovision reduziert die Fondsguthaben oder das Deckungskapital und fügt dem Kunden einen Verlust in Höhe der entfallenden Rendite zu. Nehmen wir an, das seien sechs Prozent Rendite.

Alternativ könnte der Vermittler, der seine Vergütung für sich und seine Angestellten jetzt und nicht erst in jahrzehntelangen Häppchen braucht, entweder einen Bankkredit aufnehmen oder seine Forderungen auf künftige Provisionszahlungen an ein Factoringunternehmen verkaufen. Ob er wohl Banken und Factoringinstitute finden wird, die mit sechs Prozent Kosten zufrieden sind? Anders ausgedrückt, muss die laufende Provision relativ höher ausfallen als die Einmalprovision und der Kundennutzen ist rein finanzmathematisch identisch – außer der Kunde erwirbt Altersvorsorgeverträge zum Zweck der Frühstornierung.

Abkehr vom HGB bei der Vergütung?

Als Abschlussprovision definiert die BaFin keineswegs nur die bei Vertragsbeginn fällige Provision, sondern auch die laufenden Provisionen. Kriterium ist, dass sie „allein an einen Bestand von Versicherungsverhältnissen anknüpfen“, und zwar selbst dann, wenn damit die während der Laufzeit erbrachte Beratung bezahlt wird.

Eine Umdefinition der laufenden Provision in eine „Bestandspflegeprovision“ reicht ebenfalls nicht aus. Der Versicherer müsste eine adäquate Ersparnis im eigenen Betrieb nachweisen und belegen können, dass die „Bestandspflege“ beim Vermittler nicht teurer eingekauft wird als bei einem externen Dienstleister. Das wird als „arm‘s-length-Prinzip“ bezeichnet. Der Versicherer müsste detailliert nachhalten, welche Leistungen der Vermittler wann erbracht hat. Spätestens mit dem Rechtsstatus eines Versicherungsmaklers wäre aber ein entsprechendes Auskunftsersuchen nicht mehr zu vereinbaren. Selbst bei Vertretern könnten Umständen Indizien für eine Scheinselbstständigkeit geschaffen werden.

Was man nicht vergessen darf: Die Provision ist die vom Handelsgesetzbuch vorgegebene Vergütung der Handelsvertreter und auch beim Makler seit Jahrhunderten üblich. Das HGB kennt kein „arm‘s-length-Prinzip“, sondern das Erfolgsprinzip: Der Vermittlungserfolg soll vergütet werden, und zwar aus dem Umsatz, den Vertreter oder Makler dem Versicherer zuführen. Der dabei entstehende Aufwand spielt keine Rolle.

Seite 1: Bedeutet Kundennutzen lediglich Rendite?Seite 2: Mehrnutzen durch laufende ProvisionSeite 3: Zwei Forderungen sind nachvollziehbar

Kundennutzen und Honorarberatung

Aber vielleicht soll durch die Hintertür die Honorarberatung in den Markt gedrückt werden, die freiwillig immer noch kaum von Kunden angenommen wird? Die Strategie wäre einfach: Die Vermittlungskosten werden aus dem Lebensversicherungsprodukt herausgenommen, der Kundennutzen geht dank deutlich geringerer Renditeminderung in die Höhe. Dafür bekommt der Kunde eine separate Rechnung, ganz gleich ob als Honorar oder als Kostenausgleich bezeichnet. Wo aber ist dann „unter dem Strich“ der Kundennutzen?

Zwei Forderungen der BaFin sind nachvollziehbar. Zum einen will sie der Quersubventionierung besonders teurer Vertriebswege einen Riegel vorschieben. Das dürfte vor allem manchen Bank- und Finanzvertrieben sowie Pools wenig schmecken. Allerdings müsste der Gleichbehandlungsgrundsatz im Versicherungsaufsichtsgesetz aufgegeben werden. Ein und dieselbe Versicherung könnte anschließend im einen Vertriebsweg günstiger, im anderen teurer zu kaufen sein. Denkbar wären neue Vergleichsportale, die dem Nutzer zeigen, bei welchem Vertriebspartner sie die Lebensversicherung am billigsten erwerben können. Ob das aber dem Kundennutzen in Gestalt einer guten Beratung dient? Das ist fraglich. Dennoch ist es ein Ärgernis, wenn überzogene Vergütungsforderungen Einzelner im Multikanal-Vertriebsmix versteckt werden können.

Zum anderen geht es um Rückvergütungen der Fondsgesellschaften, die nicht an den Versicherer und damit – zumindest teilweise – ins Produkt zurückfließen, sondern daran vorbei direkt an den Vermittler. Der Kunde darf in einem solchen Fall wenigstens erwarten, dass die ins Produkt einkalkulierten Kosten und damit letztlich die direkte Vermittlervergütung günstiger ausfallen. Die Konsultation läuft noch bis zum 15. Januar. Diese Dialogbereitschaft der Aufsicht sollte die Branche nutzen.

Seite 1: Bedeutet Kundennutzen lediglich Rendite?Seite 2: Mehrnutzen durch laufende ProvisionSeite 3: Zwei Forderungen sind nachvollziehbar