Blau Direkt: „KI kann für hohe Zusatzcourtagen sorgen“
procontra: Herr Pradetto, im Sommer gab es die Schlagzeile, dass blau direkt Courtagesätze für die Gruppe der so genannten „X-Partner“ gesenkt hat. Ist eine solche Maßnahme nicht gefährlich für die Außenwirkung? Makler könnten zur Konkurrenz abwandern.
Oliver Pradetto: Ja, das hat medial für Aufruhr gesorgt, dabei ist die Senkung minimal. Aber unsere Courtagesätze waren über 20 Jahre stabil und wir zahlen nach wie vor 11 Prozent mehr als jeder andere Pool.
procontra: Ihre X- und Enterprise-Partner zahlen aber auch deutlich mehr für die Poolzugehörigkeit.
Pradetto: Dafür bieten wir eine bessere individuelle Betreuung, wir sind kein Massenanbieter. Hinter der Courtagesenkung steckt zudem ein Paradigmenwechsel: Wir reichen alle Vorteile, die wir aushandeln, komplett an unsere X-Partner durch und finanzieren das durch die Gebühr. Wenn diese wiederum mehr Geschäft machen, bekommen wir bessere Konditionen und verdienen an den übrigen Maklern mehr. Das hat uns bis heute ununterbrochen Wachstumsrekorde verschafft. Allerdings ist die X-Partnerschaft dadurch auch immer attraktiver geworden, 60 Prozent der neuen Partner fahren dieses Modell. Für uns bedeutet das einen strategischen Nachteil: Wenn ich mit einer Gesellschaft eine Courtage verhandele und sie komplett an den Premium-Makler weiterreiche, habe ich davon keinen Cent Profit. Am Ende verdienen wir als Pool also nur noch an 20 Prozent unserer Makler und landen im Interessenkonflikt, selbst nicht mehr von verbesserten Konditionen mit den Anbietern zu profitieren. Das schwächt ein Geschäftsmodell und hat die Senkung notwendig gemacht.
procontra: Wie haben die betroffenen Makler also reagiert?
Pradetto: 95 Prozent von ihnen haben das mit Achselzucken quittiert. Die anderen fünf Prozent mosern natürlich. Es sind immer die gleichen – oft wenig umsatzstarken – Makler, die sich permanent beschweren und damit für Imageschäden sorgen. Gleichzeitig wollen sie den Pool aber leider nicht verlassen, weil sie auf unsere Technik bauen. In diese investieren wir hingegen jedes Jahr und bieten immer mehr Services. In der Summe arbeiten wir heute also für weniger Geld.
procontra: Statt Strategien zu finden, um sie loszuwerden, geht es Pools in der Regel eher darum, Makler zu gewinnen oder zu binden. Was sind die dafür wichtigsten Maßnahmen?
Pradetto: Die Dienstleistung muss stimmen! Es muss sich für unsere Makler monetär rechnen und sie müssen sich mit der Betreuung wohlfühlen. Der zentrale Punkt ist jedoch die von uns gebotene Technologie. Im Versicherungsgeschäft gibt es kaum Innovationen – die meisten Neuerungen sind Marketingpackungen. Wie bei den großen Digitalkonzernen dieser Welt wird auch in unserer Branche im Kern nicht mit Produkten gehandelt, es geht immer mehr um Algorithmen- und Datenmodelle. In Deutschland liegen wir da immer noch stark zurück. Das einzige, das Makler im Wettbewerb wirklich voranbringt, ist eine leistungsfähige Technologie. Zumal die zunehmende Regulierung ihm immer mehr Kosten verursacht.
procontra: … was die oft ohnehin nicht allzu hohen Einnahmen weiter schmälert.
Pradetto: Jeder vierte Makler macht unter 25.000 Euro Umsatz im Jahr! Da ist sogar ein Zeitungsausträger besser dran. Unter einem Umsatz von 80.000 Euro müssten Makler eigentlich sofort ihre Selbstständigkeit aufgeben. Die Branche verdient nicht gut, daher ist es umso wichtiger, dass wir sie mit vereinfachten Prozessen entlasten. Mit unseren Services können sie auf ein Sekretariat verzichten und ihre Innendienste verkleinern. Dadurch bekommen die Makler finanziell Luft. Durch automatisierte Touchpoint-Kundenbindungssysteme stärken sie ihren Vertrieb – und davon profitieren wir natürlich auch als Pool. Das ist unsere Strategie: Wir gewinnen zwar pro Jahr nur 3,4 Prozent mehr Partner, können unseren Umsatz aber um 36 Prozent steigern, weil die einzelnen Partner viel mehr verdienen.
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procontra: Wenn Sie mehr auf den Aufbau der Makler setzen als darauf, neue zu gewinnen: Ist das Nachwuchsproblem der Branche dann kein Thema für Sie?
Pradetto: Darüber bin ich überhaupt nicht traurig – das ist eine Wahnsinnschance! Wir begrüßen es, dass ein Drittel der Makler in den nächsten zehn Jahren aufhört. Je mehr Makler aufhören, desto mehr Bestände können wir übernehmen. Auf Nachwuchs sind wir daher kaum angewiesen. Alle anderen Pools versuchen neue Makler zu gewinnen, statt aus den bestehenden mehr rauszuholen – das ist keine kluge Strategie. Es ist viel mehr gewonnen, wenn wir Maklern mehr Zeit für die Akquise verschaffen, weil sie dank intelligenter Technologie nicht stupide Daten in Computer hacken müssen. Also beschäftigen wir uns eher mit der Frage, wie wir ihnen das Leben weiter erleichtern können.
procontra: Und – welche weiteren Pläne gibt es dafür?
Pradetto: Seit Mitte September bieten wir eine neue Software an, die den Bestand eigenständig in einer Größenordnung von 5 bis 6 Prozent ausbaut. Zieht ein Kunde beispielsweise um und meldet sich wegen seiner Hausratsversicherung, bekommt er in Abständen automatisierte Angebote, die weitere Bedürfnisse – in diesem Fall zum Beispiel zur Wohngebäudeversicherung – abfragt. Im klassischen Vertrieb wäre ein Anruf des Maklers im Umzugschaos wahrscheinlich abgeblockt worden. Der Bedarf ist aber da und unser neues Tool erkennt aufgrund der Basisdaten mögliche Szenarien und versendet regelmäßig unaufdringliche personalisierte E-Mails.
procontra: Künstliche Intelligenz ist also besser als der persönliche Vertrieb? Der Makler wird dadurch immer abhängiger von der Technologie.
Pradetto: In diesem Fall kann KI für riesige Zusatzcourtagen sorgen – nicht weil der Vertrieb darüber besser ist als ein guter Verkäufer es sein könnte – aber weil Lücken abgedeckt werden, die ein mittelguter Vertriebler womöglich verpassen würde, weil ihm die Zeit oder Energie zum regelmäßigen Nachhaken fehlt.
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procontra: Sie beschreiben es als den großen Trumpf Ihres Pools „technologieführend“ zu sein. Welche anderen Bereiche managen denn andere Pools besser als blau direkt?
Pradetto: Da fallen mir leider sogar sehr viele ein. Ich finde die VEMA macht hervorragendes Education Marketing und bildet ihre Makler fachlich extrem gut aus. Damit steigert sie die Maklerloyalität und -bindung. Das sollten wir uns abgucken. Auch im Gewerbebereich ist die VEMA unsere Benchmark – hier sind wir aber im Begriff aufzuholen. Maxpool ist Vorreiter, was die Unterstützung von Betreuungshonoraren anbelangt. In diesem Bereich werden wir selbst nicht aktiv, aber das ist eine spannende Idee.
procontra: Bei Ihnen gab es eine andere Neuerung in diesem Jahr. Nach 20 Jahren bauen Sie einen Investmentbereich auf und haben dafür Oliver Lang als Manager gewinnen können. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Pradetto: Es gibt für Makler heute drei Kernbereiche: Versicherungen, Investment und Finanzierung. Wir haben lange die Philosophie verfolgt, uns auf eine Sache zu fokussieren, die wir dann auch richtig gut können. Bei den meisten Allrounder-Pools sind die Umsätze zwischen den Bereichen sehr ungleich verteilt. Nachdem wir das Versicherungsgeschäft nun so weit vorangetrieben haben, können wir uns heute eine neue Großbaustelle leisten. Der zweite Aspekt liegt in der Personalie begründet: Oliver Lang ist ein erfahrener und guter Manager – ich selbst habe zu wenig Ahnung vom Investment-Thema. Unser Ziel ist aber auch künftig nicht, eine eigene Investmentsoftware zu programmieren – da gibt es bestimmt acht Unternehmen, die das besser können.
procontra: Wie sieht dann die Zukunftsstrategie für diesen Teilbereich aus?
Pradetto: Entweder wir kaufen einen der Anbieter komplett auf, der uns diese Leistungen zur Verfügung stellt oder wir starten in eine Kooperation. Das verschafft uns den Vorteil, sofort Spitzenkonditionen am Markt zu haben, die wir mit unserer Stärke kombinieren: der Organisation von Arbeitsprozessen des Maklers. Der kann dann alle seine Verträge in einer Software pflegen, seine Depots vom bisherigen Anbieter abziehen und bei uns ins System einpflegen.
procontra: Und wen haben Sie da als Partner im Blick?
Pradetto: Wir sind gerade mit einem großen möglichen Partner in der Verhandlung, das wird zum Jahresende spruchreif. Unser ambitioniertes Ziel ist es, zum neuen Jahr damit zu starten. Als Komplett-Anbieter werden wir dann sicherlich auch neue Makler gewinnen und in einem eigentlich erschlossenen Markt zu den fünf Top-Anbietern gehören. In fünf Jahren planen wir, über 10 Milliarden verwaltetes Kapitalanlagevolumen zu verfügen.
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