Es ist ein Schlappe für den Gesamtverband der Versicherer (GDV): Verkehrsrechtler und Sicherheitsexperten halten weiterhin an der sogenannten 130-Prozent-Regelung fest. Auch in Zukunft sollen Autobesitzer nach einem Unfall ihr Fahrzeug reparieren lassen können, selbst wenn die Kosten 30 Prozent über dem Wiederbeschaffungswert liegen. Das ist das Ergebnis des 61. Verkehrsgerichtstags (VGT), der vergangene Woche in Goslar stattfand.
Der Arbeitskreis hatte argumentiert, die 130-Prozent-Regel schütze Verbraucher vor den Risiken eines Ersatzkaufs. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Lage. Selbst Gebrauchtwagen sind deutlich teurer geworden, das Risiko beim Kauf betrogen zu werden, sei gestiegen.
Branche befürchtet zunehmende Schadenaufwendungen
Das sieht der GDV allerdings anders. Die Regelung sei demnach nicht mehr zeitgemäß und ein Relikt aus den Sechzigerjahren, als Autos seltener und Ersatz schwieriger zu beschaffen gewesen seien. Der Verband fordert, dass Unfallschäden genauso behandelt werden sollten wie Schäden an anderen Gegenständen. Allein für Oldtimer und Unikate solle laut GDV die 130-Prozent-Rechtssprechung gelten. Die Branche befürchtet offenbar steigende Schadenaufwendungen, gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Bekanntheit der Regelung.
Das Nachhaltigkeitsargument „besser reparieren als neu kaufen“ lässt der GDV nicht gelten. So könnten Teile von Autos, die nicht wieder hergestellt werden, für andere Fahrzeuge wiederverwendet werden.
An anderer Stelle haben die Experten den Autoherstellern einen Strich durch die Rechnung gemacht: Sie sollen ein Konzept vorlegen, das den technischen Zugang zu Fahrzeugdaten sowohl für Nutzer als auch „berechtigten Dritten“ regelt. Damit dürfte das bisherige exklusive Herrschaftswissen der Hersteller vielleicht schon bald der Vergangenheit angehören. „Eine Weiterleitung etwa von Unfall- oder Pannenmeldungen an Dritte ist oft selbst dann nicht möglich, wenn der Autofahrer das möchte“, kritisiert der GDV die derzeitige Regelung.
Keine Meldepflicht bei Fahruntauglichkeit
Auch zum Thema Fahruntauglichkeit haben die Experten ihr Votum abgegeben: Sie lehnen eine ärztliche Meldepflicht fahruntüchtiger Senioren demnach ab, um das Arzt-Patienten-Verhältnis nicht zu belasten. Allerdings soll es weiterhin Ausnahmen geben. Haben Ärzte den Verdacht, dass die Fahreignung fehlt und dabei die therapeutischen oder beratenden Möglichkeiten ausgeschöpft, sollen sie fahruntaugliche Menschen melden können.
Für Fahrer von E-Scooter soll auch weiterhin der Promillegrenzwert von 1,1 gelten. Ab diesem Wert solle jedoch nicht automatisch der Führerschein entzogen werden. Der Grund: E-Scooter seien nicht so gefährlich wie Autos oder Motorräder. Einzelfallabhängig solle stattdessen ein Fahrverbot verhängt werden. Ab 0,5 Promille handele es sich um eine Ordnungswidrigkeit.
Die Empfehlungen des Arbeitskreises haben durchaus Gewicht: Politiker orientieren sich häufig an den Vorschlägen des Forums, das sich aus Juristen und Experten für Verkehrsrecht, Verkehrssicherheit, Fahrzeugtechnik und Verkehrstechnik zusammensetzt.