pro & contra

Soll die private Pflegeversicherung abgeschafft werden?

Dass die Finanzierung der Pflege in nicht allzu naher Zukunft auf einen Kollaps zusteuert, ist bekannt. Doch soll die private Pflegeversicherung deshalb abgeschafft oder noch gestärkt werden? Darüber streiten VdK-Präsidentin Verena Bentele und PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther.

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13:04 Uhr | 11. April | 2024
Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK und PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK und PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther

| Quelle: VdK/PKV-Verband/procontra

pro: "Die private Pflegeversicherung sollte abgeschafft werden!"

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK

Eine Pflegeversicherung für alle ist eine echte Investition in die Zukunft. Es ist an der Zeit, endlich die Pflegeversicherung zukunftssicher zu machen – und zwar jetzt! Wer sich gegen eine Pflegeversicherung, die alle Menschen mit einbezieht, ausspricht, verkennt die prekäre Situation, in der wir uns jetzt schon befinden. Das System ist am Limit. Pflegebedürftige verzweifeln, weil sie keinen bezahlbaren Pflegeplatz finden. Pflegende Angehörige sind mit ihren Kräften am Ende, weil sie niemanden haben, der ihnen unter die Arme greift. Pflegekräfte drohen unter der Arbeitslast zusammenzubrechen.

Um dem entgegenzuwirken, müssen wir die gesetzliche Pflegeversicherung ausfinanzieren, hin zu einer Pflegevollversicherung, die alle pflegebedingten Kosten deckt. Und das könnte so einfach sein: Würden alle Menschen in Deutschland in einen gemeinsamen Topf einzahlen, wäre das Problem so gut wie gelöst. Doch leider gibt es zu viele, vor allem Wohlhabende, die sich nicht an der Bewältigung der großen Aufgabe für die Gesellschaft beteiligen.

Das muss sich ändern. Die strukturelle Trennung zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung muss aufgehoben werden. Das heißt natürlich nicht, dass sich niemand mehr zusätzlich privat versichern sollte, der sich das leisten kann. Aber die Grundversorgung sollte über eine einheitliche Pflegeversicherung laufen, die von allen Erwerbstätigen finanziert wird. Diese einzuführen wäre kein Problem: Anders als in der Krankenversicherung sind die Leistungen der Pflegeversicherung für privat und gesetzlich Versicherte schon heute bereits identisch. Es ist daher an der Zeit, eine einheitliche Pflegeversicherung auch auf der Finanzierungsseite umzusetzen.

Würden alle Menschen in Deutschland in einen gemeinsamen Topf einzahlen, wäre das Problem so gut wie gelöst. Doch leider gibt es zu viele, vor allem Wohlhabende, die sich nicht an der Bewältigung der großen Aufgabe für die Gesellschaft beteiligen.
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Verena Bentele

Ein Gutachten des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen zeigt eindeutig, dass die Einführung einer einheitlichen Versicherung einen positiven Effekt auf die Einnahmen hat. Neben dem Vorteil, dass durch Hinzunahme der jetzt Privatversicherten mehr – zumeist junge und gesunde Menschen – in die Pflegeversicherung einzahlen würden, hätte zusätzlich vor allem auch noch die Einbeziehung aller Einkunftsarten wie Vermögenseinkommen, Gewinne und Mieteinkünfte einen großen Effekt auf die unverzichtbaren Einnahmen der Pflegeversicherung.

Soziale Gerechtigkeit heißt in Zeiten steigender Kosten und knapper Ressourcen auch, dass die Grundversorgung für alle kein individuelles Risiko sein darf. Jetzt gilt es dafür zu sorgen, dass alle Menschen im Bedarfsfall eine gute Pflege bekommen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich niemand entziehen sollte. Die Zusammenlegung der privaten und gesetzlichen Pflegeversicherung ist ein wichtiger Schritt, um die Pflege grundsätzlich zu reformieren. Es ist höchste Zeit neu zu denken und anders zu handeln.

contra: "Die umlagefinanzierten Sozialen Pflegeversicherung (SPV) ist nicht auf die Folgen der alternden Bevölkerung vorbereitet!"

PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther

Die Sozialversicherungen in Deutschland steuern auf einen Kollaps zu. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten der Ökonomen Stefan Fetzer und Christian Hagist im Februar 2024. Die Analyse zeigt deutlich, dass die umlagefinanzierte Soziale Pflegeversicherung (SPV) nicht auf die Folgen unserer alternden Bevölkerung vorbereitet ist. Dass die SPV vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zu 100 Prozent umlagefinanziert eingeführt wurde, bezeichnen die Autoren als ihren zentralen Konstruktionsfehler. Warum die Befürworter einer Pflege-Bürgerversicherung dieses demografieanfällige Umlageverfahren dennoch weiter ausbauen wollen, ist nicht nachvollziehbar. Zumal aus der Wissenschaft völlig entgegengesetzte Empfehlungen kommen.

Zur nachhaltigen Stabilisierung der SPV empfehlen Fetzer und Hagist den Ausbau der kapitalgedeckten Finanzierung. Zu diesem Ergebnis kommen auch eine ganze Reihe von anderen wissenschaftlichen Analysen. Sowohl der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) als auch der Experten-Rat Pflegefinanzen unter Leitung des Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem plädieren für eine kapitalgedeckte Vorsorge zur Absicherung der stark steigenden Pflegekosten. Die Vorteileliegen auf der Hand, wie schon heute die Private Pflegepflichtversicherung (PPV) zeigt. In der PPV sorgt jede Altersgruppe selbst für ihr mit dem Alter wachsendes Pflegebedürftigkeitsrisiko vor.

Dafür finanzieren die Versicherten mit einem Teil ihrer Beiträge den Aufbau einer verzinslichen Nachhaltigkeitsreserve. Bis heute haben die Versicherten bereits mehr als 50 Milliarden Euro an Alterungsrückstellungen zurückgelegt. Damit ist die PPV gut auf den demografischen Wandel vorbereitet, obwohl das Durchschnittsalter der Versicherten und die Kosten je Pflegebedürftigen schon jetzt höhersind als in der SPV. Dort gehen die Kosten im Umlageverfahren der SPV massiv zu Lastender Erwerbstätigen, deren Beiträge infolge der demografischen Alterung sehr stark steigen werden.

Die private Pflegeversicherung sichert mit ihrer kapitalgedeckten Vorsorge die Solidarität mit den Pflegebedürftigen und mit den kommenden Generationen.
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Florian Reuther

In der PPV hingegen sichern die Versicherten mit ihrer kapitalgedeckten Vorsorge die Solidarität nicht nur mit den Pflegebedürftigen, sondern auch mit den kommenden Generationen. So schützen sie die Jüngeren vor Überlastung und den Staat vor ungedeckten Versorgungslasten. In unserer alternden Gesellschaft müssen wir der umlagefinanzierten Sozialversicherung jetzt ein demografiefestes Element an die Seite stellen, das den Zusammenhalt zwischen Alten und Jungen nicht gefährdet. Das kann nur mit Kapitaldeckung gelingen.

Dafür gibt es mehrere geeignete Wege: Die Politik könnte zum Beispiel private und betriebliche Zusatzversicherungen mit steuerlicher Abzugsfähigkeit sehr einfach fördern. Wir haben als PKV das Konzept eines „neuen Generationenvertrags für die Pflege“ entwickelt, das den Jüngeren mehr Spielraum für individuelle Vorsorge bringen würde. Und der von uns initiierte Experten-Rat Pflegefinanzen hat eine obligatorische Pflegezusatzversicherung vorgeschlagen: kapitalgedeckt und geschützt vor staatlichem Zugriff. Es liegen also mehrere Lösungen auf dem Tisch, die funktionieren. Eine Pflege-Bürgerversicherung, die stur die Fehler der Vergangenheit wiederholt, gehört ganz sicher nicht dazu.