Pflege

Experten sprechen sich für neue Pflichtversicherung aus

Wie lassen sich die stetig steigenden Eigenanteile in der Pflege in den Griff bekommen? Ein Expertenrat spricht sich nun für die Einführung einer Pflichtversicherung aus. Eine Gesundheitsprüfung soll es nicht geben, Abschlussprovisionen allerdings auch nicht.

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12:04 Uhr | 17. April | 2023
Pflege

Ein Expertengremium hat sich zur Finanzierung der Pflege für eine neue Pflichtversicherung ausgesprochen.

| Quelle: kali9

Pflegebedürftige müssen immer mehr Geld aus eigener Tasche zahlen. Auch Gesetzesreformen änderten wenig daran, dass die Eigenanteile für Pflegebedürftige in der stationären Pflege immer weiter steigen und derzeit im Bundesdurchschnitt bei rund 1.200 Euro liegen – für die reine Pflege wohlgemerkt, Unterbringung und Investitionskosten sind hierbei noch gar nicht berücksichtigt. 

Auch für die Zukunft gehen Experten von einem dynamischen Wachstum der Pflegekosten aus. „Pflege wird teurer werden“, fasst es Jürgen Wasem, Professor für Medizinmanagement an der Universität Essen-Duisburg zusammen. Als Vorsitzender des vom PKV-Verband initiierten Expertenrates Pflegefinanzen stellte der Wissenschaftler am Montag einen Vorschlag vor, wie die Pflege in Zukunft finanzierbar bleiben kann.

Anstatt weiter in der sozialen Pflegeversicherung auf das Umlageverfahren zu setzen, sprechen sich die Experten für eine neue kapitalgedeckte Versicherung aus – die sogenannte Pflege+-Versicherung. Diese soll 90 Prozent der stationären Pflegekosten abdecken, es bleibt also lediglich ein Selbstbehalt von zehn Prozent.

Im Gegensatz zum Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, in der die Parteien die Einführung einer freiwilligen Pflege-Vollversicherung prüfen wollen, soll die Pflege+-Versicherung verpflichtend sein, führte Wasem aus. Jeder muss sich also gegen das Pflegerisiko versichern, die Versicherungsunternehmen dürfen somit niemanden ablehnen. Es besteht folglich Kontrahierungszwang. Eine Gesundheitsprüfung bei Abschluss der Versicherung entfällt.

Wie hoch sind die Kosten?

Die Gebühren für die Versicherung sollen nach dem Vorschlag des Expertengremiums nach Alter gestaffelt werden. Jüngere Altersjahrgänge zahlen geringere Prämien, „da sie eine längere Ansparphase für den Aufbau von Altersrückstellungen haben“, heißt es im Abschlussbericht des Expertenrates.

Wer als 20-Jähriger (Einstiegsalter) die Versicherung abschließt, zahlt eine Prämie von 39 Euro, die paritätisch vom Arbeitgeber mitfinanziert wird. Diese Prämie erhöht sich jährlich im Umfang der allgemeinen Inflationsrate, soll sonst aber konstant bleiben. Dieser Beitrag soll bis zum Rentenalter konstant bleiben, eine konservativ prognostizierte pflegespezifische Inflation wurde hier bereits einberechnet.

Wer zum Zeitpunkt der Prämie älter als 20 Jahre ist, zahlt bis zum Alter von 45 Jahren eine höhere Prämie. Ab diesem Alter sind die Prämien dann bei 52 Euro gedeckelt. Diese altersspezifische Grenze ist vom Expertengremium jedoch nur exemplarisch ausgewählt worden. „Festlegen muss diese die Politik“, so Wasem. Menschen über 45 Jahre zahlen ebenfalls 52 Euro an Prämie, erhalten jedoch geringere Leistungszusagen.

Für über 67-Jährige fällt die zu zahlende Prämie auf 26 Euro, da bei ihnen der Arbeitgeberanteil wegfällt. Allerdings werden für sie auch nur 40 Prozent der zu zahlenden Eigenanteile übernommen. „Die älteren Kohorten haben bereits zu großen Teilen hinreichend vorgesorgt“, begründet Wasem die Entscheidung.

Wie hoch wird der Eigenanteil später sein?

Durch die Pflege+-Versicherung dürfte nach Auffassung des Expertenrates der Eigenanteil spürbar sinken.  Für die jüngeren Kohorten geht das Gremium von einem pflegespezifischen Eigenanteil in Höhe von 125 Euro im Monat aus. Auch für ältere Semester soll der Eigenanteil deutlich nach unten gehen. Ein zum Einführungszeitpunkt 50-Jähriger soll im Bundesdurchschnitt künftig nur noch 219 Euro monatlich statt wie gegenwärtig 1.160 Euro (im ersten Jahr) zahlen.

Was spricht gegen bestehende private Pflegeversicherungen?

Das Angebot an Pflegezusatzversicherungen in verschiedener Ausprägung ist breit. Zwar haben Millionen Menschen eine solche Versicherung abgeschlossen, die Durchdringung gemessen an der Gesamtbevölkerung liegt allerdings nur bei sechs Prozent, stellte Expertenrats-Mitglied Thiess Büttner, Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg, fest. Dies liegt unter anderem daran, dass gerade von jüngeren Menschen das Pflegerisiko unterschätzt wird. „Zudem verlassen sich viele auf die Pflege durch Angehörige oder die Finanzierung im Rahmen des Sozialstaats“, heißt es im Abschlussbericht. Dadurch, dass im Notfall die Kommunen einspringen, werde der Anreiz zur Eigenvorsorge minimiert. „Mit freiwilligen Versicherungen kommen wir nicht weiter“, sprach sich Wasem für das vorgeschlagene Pflichtmodell aus.

Wer soll die Versicherung anbieten?

Vertrieben werden sollen die Pflege+-Versicherungen nach Vorstellung des Expertenrates nicht nur durch die privaten Krankenversicherer, sondern auch durch Krankenkassen. Diese sollen den Wettbewerb um möglichst niedrige Verwaltungskosten weiter anheizen.

Ein Wechsel des Anbieters soll darüber hinaus jederzeit möglich sein, die Altersrückstellungen sollen übertragen werden können. Zwischen den Versicherern soll es einen Risikoausgleich geben, damit die Prämien auch bei größeren Risiken im Bestand einheitlich bleiben können.

Was heißt das für den Vermittler?

Der Vermittler bleibt bei der vorgeschlagenen Pflege+-Versicherung außen vor – Abschlussprovisionen sollen nicht gezahlt werden. Da es sich um eine Pflichtversicherung handelt, ist man auf einen Vertrieb nicht angewiesen.

Wie geht es nun weiter?

Wie die Pflege in Zukunft finanziert werden soll, darüber gehen die Meinung auch in der bestehenden Regierung auseinander. „Mit unserem Vorschlag wollen wir die aktuelle Diskussion befördern“, bemerkte PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther. Die Finanzierung der Pflege sei eine der wichtigsten Herausforderungen der Sozialpolitik, die jedoch nicht nur durch den demografischen Wandel vor enormen Herausforderungen stehe. Die Zeit drängt folglich. „Wir brauchen eine schnelle Lösung“, bemerkte Reuther zum Abschluss.