Verbraucherschützer fordern Vertriebsverbot
Privatanleger, die ihr Geld einst in den Windkraftbetreiber Prokon, den Finanzvertrieb UmweltDirektInvest (UDI) oder in den Containeranbieter P+R gesteckt, dürfte diese Nachricht zumindest einhellige Zustimmung entlocken: Verbraucherschützer fordern auf Grundlage eines aktuellen Gutachtens ein Verbot des aktiven Vertriebs von derlei Produkten des Grauen Kapitalmarkts.
Besagte Finanzprodukte benötigen nämlich teils keine Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), werden also nicht kontrolliert. Damit ist weder die Seriosität und Zahlungsfähigkeit der Anbieter gewährleistet, noch ist klar, wie tragfähig das Geschäftsmodell überhaupt ist. Im Fall von Prokon, UDI und P+R mussten Anleger diese Erkenntnis mit hohem Lehrgeld bezahlen: Sie verloren ihr investiertes Geld – der Gesamtverlust liegt bei etwa 3,38 Milliarden Euro.
Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber den Vertrieb der Produkte in der Vergangenheit bereits eingeschränkt: So dürften die hochriskanten Graumarktprodukte nur noch in Bussen beworben werden – und zwar nur mit entsprechenden Warnhinweisen versehen. Auch wurden sogenannte Blindpool-Anlagen, bei denen die konkreten Anlageobjekte bei Prospekterstellung noch nicht feststehen, verboten. Das geht Verbraucherschützern allerdings nicht weit genug. Sie fordern seit langem ein Ende des unregulierten Kapitalmarkts.
Strukturelle Probleme
„Die Skandale haben am Grauen Kapitalmarkt System“, sagt Dorothea Mohn, Leiterin Team Finanzmarkt beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Ein neues Gutachten, das der vzbv am Mittwoch vorgestellt hat, belegt diese Aussage. Zehn der größten Anbieter von grauen Vermögensanlagen wurden zwischen 2015 und 2020 untersucht. Darunter: P+R mit einem Marktanteil von 33,3 Prozent, UDI (29,8 Prozent) und Thomas Lloyd (10,2 Prozent). Dabei wurde das Augenmerk auf die finanzielle Situation, die Veröffentlichungspolitik und die Transparenz gegenüber Anlegern gelegt. Das Fazit: Es fehlten Kontroll-, Informations- und Mitspracherechte, die Anleger bei Nachrangdarlehen ohnehin nicht zugestanden werden. Auch vor bilanziellen Tricks schreckten die Anbieter nicht zurück.
Das Problem liegt auch schlichtweg in der Natur der Sache: Anleger erwerben meist kein Eigentum an den Sachwerten. Ihr Geld fließt in Zweckgesellschaften, die es an andere Firmen weiterleiten. Die Folge dieser Verflechtungen: intransparente Kosten. „Die begrenzten Chancen der Anleger:innen stehen häufig in keinem Verhältnis zu den bis hin zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals reichenden Risiken“, heißt es im Gutachten. Professionelle Investoren würden eine derartige Konstellation zahlreicher Vermögensanlagen nicht akzeptieren.
12 zentrale Erkenntnisse
Der vzbv zieht vor dem Hintergrund der aktuellen Untersuchung folgende Erkenntnisse:
1. Statt Assets werden den Anlegern Finanzkonstrukte wie Nachrangdarlehen angeboten, bei denen Anleger weder Kontroll- noch Mitspracherechte, sowie fast keine Informationsrechte haben; dabei werden häufig fällige Ansprüche ohne nähere Begründung verweigert.
2. Das Verhältnis von Chancen und Risiken ist bedenklich: Bei Darlehenskonstrukten sind die Chancen auf die Verzinsung begrenzt. Die Verluste gehen zulasten des Anlegerkapitals. Die Verzinsung ist oft nicht risikoadäquat.
3. Das Blind-Pool-Verbot ist unwirksam: Eine wirtschaftliche Beurteilung der Assets sei für den Anleger nicht möglich, da wesentliche Beurteilungskritierien wie Kaufpreise, Verkehrswerte und Höhe der Mieteinnahmen fehlen. Als Beispiele nennt der vzbv hier diverse Container-Investments.
4. Bedenkliches Konstrukt-Hopping: Obwohl Anbieter bereits alternative Investmentfonds nach dem Kapitalanlagegesetzbuch aufgelegt hatten, wechselten die Anbieter anschließend wieder auf Produkte nach dem Vermögensanlagegesetz.
5. Leistungsbilanzen werden häufig nicht veröffentlicht.
6. Die gesetzlichen Vorgaben zu den Angaben für eine qualifizierte Anlageentscheidung werden oft missachtet (reduzierte Prospektqualität), was eine Risikobeurteilung verhindert.
7. Verflechtungen verhindern Kostentransparenz.
8. Die Rechnungslegung ist nicht transparent genug, die Ausnahmen für die Anbieter sind zu großzügig. Oft werde die Einreichungsfrist von sechs Monaten missachtet.
9. Spärliche Ad-hoc-Pflichten: Seit 2015 müssen Anbieter Umstände, die eine Rückzahlung der Anlegergelder erheblich beeinträchtigen, sofort bekanntgeben. Allerdings sind die Meldungen zu unkonkret und zu allgemein, wodurch Anleger die Lage kaum konkret einschätzen können. Anleger können so weder die Ursachen noch die Höhe des Ausfallrisikos und des gefährdeten Volumens korrekt einschätzen.
10. Die Wirtschaftsprüfertestate sind unzugänglich: Anleger von Nachrangdarlehen können bei der Bestellung nicht mitbestimmen. Transparenzverstöße werden nicht geprüft.
11. Die Prospektverantwortung wird auf die Anlagegesellschaft (Emittent) selbst abgeschoben, obwohl diese meist reine Zweckgesellschaften sind. Die Inhalte der Verkaufsprospekte sind nicht ausreichend definiert. Die Haftung bei fehlerhaftem Verkaufsprospekt ist auf grob fahrlässige Unkenntnis begrenzt.
12. Die Zielgruppenauswahl ist unzureichend: Seit 2015 müssen Verkaufsprospelte die Anlegerzielgruppe beschreiben, allerdings sind dazu keine Kriterien vorgegeben. Eine Anlagevermittlung ohne Geeignetheitsprüfung ist weiter erlaubt. Die Aufsicht der Finanzanlagenvermittler ist nach wie vor nicht auf die BaFin übertragen.
Zu lasche Regulierung seitens der Politik
Mohn fordert nun ein härteres Durchgreifen seitens der Politik. Es müsse „Schluss sein mit dem gesetzgeberischen Kleinklein“. Gleichwohl im Koalitionsvertrag eine stärkere Regulierung vorgesehen sei, bleiben die Ausführungen jedoch zu vage, so Mohn.
So heißt es im Koalitionsvertrag nur: „Wie werden die Fähigkeiten der BaFin bei der Prüfung von Vermögensanlageprodukten weiter stärken.“ Außerdem solle die BaFin damit beauftragt werden, Regulierungslücken im Grauen Kapitalmarkt zu identifizieren. Konkrete Handlungsanweisungen: Fehlanzeige. „Die Politik muss den Verkauf von unregulierten und damit risikoreichen Anlagen verbieten“, fordert sie. „Keine Werbung, keine Beratung, keine Vermittlung“, heißt es in dem Papier.
Die Folgen für Finanberater und -vermittler
Nach wie vor gibt es Finanzberater, die beispielsweise Nachrangdarlehen ihren Kunden anbieten. Der Grund: Anbieter der Produkte locken mit sehr hohen Zinsen. „Meiner Meinung nach ist das Risiko des Totalausfalls für Berater und Kunden allerdings viel zu hoch“, so Peter Mattil, Fachanwalt für Bank- und Kapitalrecht in München, gegenüber procontra.
Entschließen sich geprellte Anleger eines solchen Produkts zu einer Klage, haften Berater beziehungsweise Vermittler. Schließlich richtet sich der Ärger zunächst einmal gegen sie, weil Privatanleger mit den Anbietern meist keinen direkten Kontakt haben. „Als Berater würde ich mir also genau überlegen, ob ich solche Produkte anbiete“, warnt Mattil. Wenn Berater ihre Kunden nicht nach deren Erfahrungen, der Risikobereitschaft und den finanziellen Verhältnissen befragen, können sie auf Schadenersatz verklagt werden.
Der vzbv fordert nun, dass Falschberatungen am Grauen Kapitalmarkt frühestens nach 20 Jahren verjähren sollten. Bisher greife eine Verjährung häufig bevor der Schaden deutlich werde, so der vzbv. Sollten den strukturellen Defiziten am Grauen Kapitalmarkt und bei dem Vertrieb der Produkte keinen Riegel vorgeschoben werden, seien weitere Skandale mit Vermögensverlusten in Milliardenhöhe vorprogrammiert.