Auswirkung der Pflegereform 2017
Seit dem 1. Januar 2017 ersetzt das neue Pflegebedürftigkeitsmodell mit Pflegegraden das bis dahin geltende System der Pflegestufen. In vielen älteren Pflegerenten-Tarifen bleibt jedoch ein ausdrücklicher Verweis auf die nunmehr weggefallenen Pflegestufen enthalten – ohne eine entsprechende Anpassung. Das Urteil des Bundesgerichtshofs (Az. IV ZR 151/23) äußert sich nun dazu, wie mit solchen Altverträgen rechtlich umzugehen ist.
Der BGH bestätigt, dass das Wegfallen der Pflegestufen zu einer planwidrigen Regelungslücke in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) führt, da dort in älteren Verträgen immer noch von Pflegestufen die Rede ist. In dem ursprünglichen Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom 9. Mai 2023 hatten die Richter versucht, diese Lücke durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Das OLG stellte fest, dass eine Pflegerente bei Einstufung mindestens in den Pflegegrad 2 im Sinne von § 15 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB XI zu zahlen sei.
Doch das halten die höchsten Richter vom BGH für zu kurz gesprungen, da die Reform der Pflegestufen bewirkt hat, dass der Begriff der Pflegebedürftigkeit durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz in § 14 SGB XI deutlich erweitert wurde. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Beklagte (Versicherer) bei Anknüpfung ihrer Leistungspflicht an die Einstufung in den Pflegegrad 2 in erheblichem Umfang Pflegerenten an solche versicherten Personen zu zahlen hätte, die nicht in eine der Pflegestufen I bis III nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. eingestuft worden wären.
Die Richter betonen, dass eine ergänzende Vertragsauslegung nicht zu einer Erweiterung des Leistungsversprechens führen darf. Die Pflegegrade 2 oder höher beinhalten nach dem neuen Recht Kriterien (z. B. kognitive Einschränkungen), die zuvor nur über Umwege berücksichtigt wurden. Somit ist nicht auszuschließen, dass die neue Definition mehr Leistungsfälle umfasst als ursprünglich kalkuliert.
Die BGH-Entscheidung schaut dabei auch auf die versicherungsmathematische Kalkulation: Eine Erweiterung des Leistungsversprechens auf alle Pflegegrad-2-Einstufungen ohne entsprechende Neuberechnung der Prämienstruktur sei für die Versicherung nicht zumutbar. Die Argumentation der Versicherer – gestützt auf aktuarielles Know-how – wird hier ausdrücklich gewürdigt. Eine systematische Anpassung müsse demnach nachvollziehbar kalkuliert sein.
Die Hoffnung auf Leistung bei Pflegegrad 2 ist damit aber nicht komplett ausgeschlossen. Der BGH deutet an, dass stattdessen eine Anpassung des Vertrags nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) denkbar wäre. Allerdings unter klaren Voraussetzungen:
Wesentliche Veränderung der Geschäftsgrundlage (hier: gesetzliche Umstellung)
Unzumutbarkeit des Festhaltens an der alten Regelung für den Versicherungsnehmer
Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Vertragsfreiheit des Versicherers
Zunächst geht der Fall jedoch zurück an das Berufungsgericht, das prüfen muss, ob eine Vertragsanpassung dahingehend, dass als Leistungsvoraussetzung eine den Pflegestufen I bis III entsprechende Pflegebedürftigkeit im Einzelfall durch Sachverständigengutachten nachzuweisen ist, hier angemessen wäre.