pro&contra

Kann eine höhere Beitragsbemessungsgrenze die GKV retten?

Sollen Gutverdiener durch eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze künftig mehr in die Krankenkasse einzahlen? Das schlägt der SPD-Gesundheitspolitiker Christos Pantazis vor. Der stellvertretende Unionsfraktionschef Albert Stegemann (CDU) hält indes nicht viel von der Idee.

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11:07 Uhr | 07. Juli | 2025
SPD-Gesundheitsexperte Christos Pantazis und Albert Stegemann, stellvertretender Unionsfraktionschef

Haben unterschiedliche Vorstellungen von der Stabilisierung des Gesundheitssystems: SPD-Gesundheitsexperte Christos Pantazis und Albert Stegemann, der für Gesundheitspolitik zuständige stellvertretende Unionsfraktionschef

| Quelle: Photothek / Jeske

Es geht nicht um neue Belastungen, sondern um eine Maßnahme für eine faire Lastenverteilung
Christos Pantazis

Gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion

Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist eine der tragenden Säulen unseres Sozialstaats. Doch dieses Solidarsystem steht finanziell unter erheblichem Druck: Demografischer Wandel, medizinischer Fortschritt und steigende Ausgaben – etwa für Arzneimittel und Klinikversorgung – lassen die Kosten Jahr für Jahr in die Höhe schnellen. Gleichzeitig liegt der durchschnittliche Zusatzbeitrag bei historisch hohen 2,5 Prozent. Eine Entlastung ist dringend geboten – nicht durch Leistungskürzungen, sondern durch kluge, sozial gerechte Reformen. 

Die Einnahmeseite im Fokus behalten

Deshalb setzen wir in der SPD-Bundestagsfraktion darauf die strukturellen Reformen, die bereits in der letzten Wahlperiode angestoßen wurden, fortzusetzen, um Effizienzreserven zu heben und Leistungskürzungen zu vermeiden. Mit der angestoßenen Krankenhausreform, der geplanten Reform der Notfallversorgung und einer stärkeren ambulanten Versorgung gehen wir genau diesen Weg: Wir machen das System effizienter, ohne dabei die Leistungen für die Versicherten einzuschränken. Zugleich dürfen wir aber nicht einseitig auf die Ausgabenseite schauen, sondern müssen auch die finanzielle Einnahmeseite im Fokus behalten. 

Ein zentrales Instrument dafür ist die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze (BBG), ergänzt durch eine moderate Anpassung der Versicherungspflichtgrenze. Dabei geht es nicht um neue Belastungen, sondern um eine Maßnahme für eine faire Lastenverteilung – in einer Zeit, in der unsere sozialen Sicherungssysteme und damit auch der gesellschaftliche Zusammenhalt zunehmend unter Druck geraten. 

Starke Schultern können mehr tragen

Die Beitragsbemessungsgrenze (BBG) legt fest, bis zu welcher Höhe das Einkommen zur Finanzierung der GKV herangezogen wird. Aktuell liegt sie bei 5.512,50 Euro brutto im Monat. Jeder Cent darüber bleibt beitragsfrei. Das ist angesichts der wachsenden finanziellen Herausforderungen der GKV kaum noch vermittelbar. Eine moderate Anhebung der BBG in der GKV auf das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung würde insbesondere Menschen mit sehr hohem Einkommen betreffen und für erhebliche Mehreinnahmen für die GKV sorgen. 

Gleichzeitig ist für uns in der SPD-Bundestagsfraktion von zentraler Bedeutung, die breite Mitte der Gesellschaft nicht zusätzlich zu belasten, sondern langfristig zu entlasten. Deshalb gehört zur vorgeschlagenen Reform auch die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze. Diese legt fest, ab wann Versicherte in die private Krankenversicherung (PKV) wechseln dürfen. Eine moderate Anhebung sorgt dafür, dass mehr Gutverdienende in der GKV verbleiben und das System stabilisieren. Das schützt vor weiteren Zusatzbeitragserhöhungen – und wirkt damit entlastend für die Mittelschicht, weil alle gesetzlich Versicherten profitieren, wenn die Einnahmebasis gestärkt wird. 

Ein Schritt, kein Allheilmittel – aber ein realistischer Anfang

Langfristig setzen wir in der SPD auf die Einführung einer solidarisch finanzierten Bürgerversicherung, die alle Berufsgruppen berücksichtigt. Doch solange dafür keine politischen Mehrheiten existieren, braucht es machbare Zwischenschritte. Die Kombination aus Anhebung der BBG- und Versicherungspflichtgrenze ist ein solcher Schritt. Sie ist in der bestehenden Systematik verankert, kurzfristig wirksam und gerecht ausgestaltet. 

Wir leisten uns nach den USA das zweitteuerste Gesundheitssystem der Welt, haben aber nicht den entsprechenden Output
Albert Stegemann

Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Wo wir uns mit der SPD einig sind und wo es überhaupt keinen Dissens gibt, ist, dass wir bei den Kosten im Gesundheitssystem ganz erhebliche Probleme haben. Die Dynamik ist beängstigend. Die Kosten steigen exorbitant. Und deswegen ist es richtig, sich einerseits die Einnahmeseite und damit alle Finanzierungsmöglichkeiten anzuschauen. Die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze wäre dabei sicherlich eine Möglichkeit, um mehr Geld ins System zu bringen. Aber man sollte nicht nur auf die Einnahmeseite schauen, sondern vor allem auch die Kosten in den Blick nehmen. Und dann stellen wir fest, dass wir uns nach den USA das zweitteuerste Gesundheitssystem der Welt leisten, aber nicht den entsprechenden Output haben.

Es gibt zu viele Ineffizienzen im System

Das bedeutet: Es gibt zu viele Ineffizienzen im System und an manchen Stellen versickert schlicht Geld. So haben wir in Deutschland zum Beispiel 9,5 Arztkontakte pro Jahr und Bürger. In Frankreich sind es nur gut halb so viele. Das hat viele Gründe, aber ein Grund ist sicherlich die freie Arztwahl in Deutschland. Deshalb diskutieren wir  jetzt über ein Primärarztsystem für gesetzlich Versicherte.

Hier geht es nicht um Leistungseinschränkungen, sondern um eine zielgenauere Steuerung anhand der Bedarfe und Ressourcen im System. Auch im stationären Bereich müssen wir effizienter werden. Wir haben im Vergleich zu anderen Staaten nach wie vor eine hohe Bettendichte und einen Nachholbedarf, was die Spezialisierung der Häuser anbelangt. Nicht jedes Krankenhaus muss alles machen. Die Krankenhausreform muss daher weiter forciert werden. Das ganze Thema Arzneimittelbeschaffung spielt auch eine große Rolle. Es geht also, kurz gesagt, um mehr Effizienz im System.

Risiko für die Wettbewerbsfähigkeit

Wahrscheinlich werden wir in der Gesamtschau des Defizits von Einnahmen und Ausgaben am Ende nicht drum herumkommen, uns die Einnahmeseite anzuschauen. Doch dann ist es nicht sinnvoll, bei den Leistungsträgern dieser Gesellschaft anzusetzen. Also bei den Facharbeitern, von denen wir jetzt schon wissen, dass es schwer sein wird, sie in diesem Land zu halten.

Eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und der Versicherungspflichtgrenze würde nur zu einer weiteren Belastung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber führen. Das ist in meinen Augen nicht nur leistungsfeindlich. Vor allem würde dies ganz maßgeblich die Arbeitskosten in die Höhe treiben und wir würden damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft noch weiter riskieren.

Für das System der dualen Krankenversicherung gibt es gute Gründe

Und natürlich wäre aus Sicht derjenigen, die sich gerade für die Anhebung aussprechen, ein angenehmer Nebeneffekt, mehr Menschen in die gesetzlichen Krankenversicherung zu bringen. Wir wissen ja, wie die Sozialdemokraten zum Thema Bürgerversicherung stehen. Wir sollten aber nicht glauben, dass wir durch das Zusammenlegen von privater und gesetzlicher Krankenversicherung automatisch zu wettbewerbsfähigen Strukturen kommen.

Für das System der dualen Krankenversicherung gibt es gute Gründe. Wenn ich mir das System der privaten Krankenversicherung anschaue, dann sehe ich, dass dort in mancher Hinsicht besser gearbeitet wird. Vor allem fördert dies den Wettbewerb, der zu einer besseren Versorgung für alle Versicherten führen kann.

Richtig ist aber, dass die gesetzlichen Krankenkassen von versicherungsfremden Leistungen befreit werden müssen. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass die Beitragszahler die Krankenkosten für Bürgergeldempfänger übernehmen. Das sind Kosten, die müssen aus dem Bundeshaushalt kommen.

Pro & Contra: Mehr GKV-Beiträge für Gutverdiener?

Pro

  • Mehr Einnahmen: Höhere Beiträge entlasten das Solidarsystem.

  • Sozial gerecht: Starke Schultern tragen mehr.

  • Entlastung der Mitte: Stabilere Beiträge für alle Versicherten.

Contra

  • Höhere Arbeitskosten: Belastet Unternehmen und Arbeitnehmer.

  • Leistungsfeindlich: Risiko für Abwanderung von Fachkräften.

  • Falscher Fokus: Ursachen liegen oft in Systemineffizienzen.

Sollen Gutverdiener in Zukunft mehr in die Krankenkasse einzahlen?